Der arbonische Staat - Zentralstaatliche Institutionen

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Zentralstaatliche Institutionen in Emendons Reich

Wenn der arbonische Staat also aus zehn autonomen Gebilden besteht, innerhalb derer die Führungsverantwortung klar verteilt ist, warum unterwerfen sich die lokalen Oligarchen überhaupt einem gemeinsamen Herrscher und Reichsgesetzen? Oder anders gefragt: Warum gibt es nicht zehn arbonische Staaten, die ihre jeweiligen Probleme selbst lösen? Ganz einfach: Sie können es nicht und niemand will es so.

Es liegt auf der Hand, dass ein einziger großer Staat weitaus besser dazu in der Lage ist militärisch zu agieren, als zehn kleine Staaten. Diese Einsicht gab es schon zu Zeiten, als noch niemand von Baronien oder sonstigen Verwaltungsbezirken eines trigardonischen oder sonstwie gemeinsamen Reiches reden konnte. Hier liegen die Wurzeln des arbonischen Staatswesens: Vor wenigen Jahrzehnten war es nicht mehr als ein Kriegsbündnis verschiedener Sippen und regionaler Bevölkerungsgruppen. In der arbonischen Geschichtswahrnehmung war dieses Bündnis immer nur dann erfolgreich, wenn es sich einer einzelnen kriegerischen Führungsfigur unterordnete und diese die richtigen Entscheidungen traf. Rituale wie die (keineswegs demokratische) Wahl des Stammesoberhauptes durch die Heerversammlung und Regeln zu Tributleistungen und Kriegsdienst waren die einzigen überall spürbaren Institutionen. Sie dienten der militärischen Handlungsfähigkeit. Kurz: Der Stamm der Arbonier wurde als Heerverband gedacht.

Die konkrete politische Entwicklung zur heutigen Herrschaft des Hochfürsten Trigardons verlief meist unübersichtlich und sehr konfliktreich. Doch die Kontinuität in der Emendons Reich steht, ist in der Rückschau erstaunlich bruchlos: Der Staat wird vor allem als militärische Organisation mit starkem arbonischem Kern gesehen. Er funktionierte immer dann gut, wenn die Hierarchien klar und übersichtlich waren, die Autorität des Staatsoberhauptes in Kriegsfragen unbestritten galt und zentrale strategische Planung stattfand. Daher gilt auch heute, dass zentralstaatliche Maßnahmen auf allgemeine Akzeptanz treffen, wenn sie offensichtlich militärische Ziele verfolgen und in diesem Sinne als vernünftig angesehen werden. Lokale Oligarchen müssen sich dem unterordnen. Ihre Autorität wird nicht zuletzt deshalb vollumfänglich anerkannt, weil sie integraler Bestandteil der militärischen Strukturen und damit zugleich Repräsentanten des Reiches sind. Die aus dieser Rolle erwachsende zusätzliche Legitimation wissen sie zu schätzen – einige von ihnen sind sogar davon abhängig, weil sie in ihren Verwaltungsbezirken gar nicht so fest im Sattel sitzen. An geeigneter Stelle mehr dazu.

Die Vorstellung des Staates als straff organisiertes, hierarchisches Heerwesen mit oberstem Anführer, mittlerer und unterer Führungsebene und einem Volk von Wehrpflichtigen existiert. Aber das bedeutet nicht, dass sie im Kriegsfall immer besonders effektiv (oder überhaupt) angewendet wird. Die kollektive Verteidigung funktioniert augenscheinlich tatsächlich sehr gut, weil alle Seiten viel dafür tun. Doch darüber hinaus ist es häufig gar nicht das Reich, das als Kriegspartei auftritt, sondern bestimmte Adelsgruppen und sonstige bewaffnete Verbände. Auch hatten die meisten bewaffneten Konflikte der letzten Jahrzehnte eher bürgerkriegsähnlichen Charakter – und nicht alle davon gingen gut für das Staatsoberhaupt aus.

Dennoch hat die Vorstellung vom Staat als Heer den Rahmen geschaffen, innerhalb dessen eine "arbonische" politische Kultur weitere Normen und Institutionen pflegt, welche Gesetzgebung, Rechtsprechung und sogar eine rudimentäre Finanzpolitik ermöglicht und nicht zuletzt ein Gemeinschaftsgefühl auch über ethnische Grenzen hinaus erzeugt hat. Heute ist der arbonische Staat weit mehr als eine nur militärische Organisation.

Die politische Kultur des Arbonischen Staates

Systematische Staats- oder Verfassungslehren wie sie in der realen Welt von Gelehrten wie Aristoteles, Augustinus, Machiavelli oder Rousseau verfasst wurden, stecken in Trigardon bestenfalls in den Kinderschuhen. Das Umfeld, in dem sich spirituelle Autoritäten ernsthaft Gedanken um die Natur des Gemeinwohls machen und ihre Ideen zu Papier bringen können, gibt es erst seit sehr kurzer Zeit. Daher sind es religiöse Moralvorstellungen und die Mythologie, welche die "theoretischen Grundlagen" für die politische Kultur des arbonischen Staates zur Verfügung stellen. Kurz: Glaube und Überlieferungen sagen den Menschen, was Recht und Sitte ist.

Konkret gibt es drei Quellen für "Glaube und Überlieferung":

  • Die (stark mythologisch verformte) historische Erfahrung,
  • Mythologie und Lehren der Siebenfaltigkeit
  • und die mit Beidem eng verbundene Gedankenwelt der arbonischen Ahnenkulte.

Das Gemeinwohl wird mit der Sprache und den Denksystemen verhandelt, die aus diesem spirituellen Kontext kommen. Auch da, wo die ethnische Gruppe der Arbonier oder die Anhänger der Siebenfaltigkeit in der Minderheit sind. Denn das hat an sich nichts mit Glauben oder Abstammung zu tun. Die Zugehörigkeit zu Emendons Reich erfordert, das alle politischen Akteure sich entsprechend "Recht und Sitte" (also entsprechend der arbonischen politischen Kultur) verhalten.

"Recht und Sitte" stellen drei Hauptforderungen an das Wesen des Staates:

  • Ein Gemeinwesen, das die Gültigkeit von Recht und Sitte garantiert, muss überhaupt existieren. Konkret muss das das Hochfürstentum Trigardon sein.
  • In Trigardon müssen die Lehren der Siebenfaltigkeit Vorrang vor allen anderen religiösen und philosophischen Denkschulen haben.
  • Die Zustände müssen im Sinne der siebenfaltigen Lehre möglichst "gerecht" sein. Das Reich hat die Aufgabe, die Zustände gerechter zu machen.

Schauen wir uns nun an, wie es um die Erfüllung dieser Forderungen bestellt ist:

  • Garantiert das Gemeinwesen die Gültigkeit von Recht und Sitte?

In Emendons Reich sind die zentralstaatlichen Strukturen stärker und im Leben der Menschen präsenter als es im kollektiven Gedächtnis jemals zuvor der Fall gewesen ist. Trotz ständiger Kriegsgefahr in Nord und Süd glaubt niemand, dass der Arbonische Staat in seiner Existenz bedroht ist. Recht und Sitte werden zumindest in der politischen Rhetorik und bei der Organisation der regionalen Strukturen ernst genommen.

  • Hat die Siebenfaltige Lehre Vorrang?

Die Siebenfaltigkeit ist die einzige Religion im arbonischen Staat, die eine vernetzte und überall im Reich präsente Geistlichkeit vorweisen kann. Alle Staatsakte, die eine religiöse Komponente beinhalten, verwenden dabei die Ritualsprache der Siebenfaltigkeit unter Einbeziehung ihrer Priester. Jeglicher Gelehrtendiskurs mit nennenswerter Tragweite findet unter Verwendung siebenfaltiger Philosophie statt. Der Hochfürst und die überwiegende Mehrheit des Adels verstehen sich als "Beschützer des (wahren/siebenfaltigen) Glaubens". Im Stamm der Arbonier gibt es schlicht keine anderen Religionsgemeinschaften und in allen anderen Bevölkerungsgruppen hat man den Eindruck, dass die Anhängerzahl der Siebenfaltigkeit wächst.

  • Herrschen gerechte Zustände?

Um diese Frage zu beantworten, müsste man sich eigentlich mehr mit dem Siebenfaltigen Gerechtigkeitsbegriff beschäftigen. An geeigneter Stelle mehr dazu. Trotzdem lässt sich feststellen: Es gibt kein Massenelend. Die meisten Konflikte von Einzelpersonen und Gruppen werden unblutig gelöst. Alle Untertanen des Hochfürsten haben einen sozusagen "staatlich garantierten" Zugang zur Rechtsprechung. Auch wenn es aus logistisch-technischen und zuweilen auch sozialen Gründen oft Probleme dabei gibt, existieren keine offensichtlich rechtsfreien Räume. Für ein Land wie Trigardon mit seiner chaotischen, blutigen Geschichte ist das eine enorme Leistung! Die Rechtsprechung selbst orientiert sich an Normen und Gesetzen, die ein Mindestmaß an richterlicher Neutralität gewährleisten. Auch das ist in Trigardon keine Selbstverständlichkeit.

Auf den ersten Blick erfüllt Emendons Reich die Forderungen seiner politischen Kultur also recht gut. Man hat eine grundlegend positive Einstellung zum Staat. Trotzdem ist die derzeitige Lage nicht ganz unproblematisch.

So hatte man schon länger keinen größeren Krieg mehr. Man könnte die relativ friedlichen letzten Jahre (die allerdings immernoch viel Raum für kleinere Feldzüge, blutige Aufstände und hartnäckige Fehden boten) für einen Erfolg der gut durchdachten Verteidigungsstrategien halten. Aber die Arbonier denken darüber etwas anders. Die Vorstellung, dass lange Friedenszeiten das Volk "weich" machen, ist stark. Dazu im Widerspruch steht die Beobachtung, dass die messbaren Anteile der Kriegsbereitschaft (Zustand von Festungen, Größe des Reiteraufgebots, Menge an Getreidespeichern, etc.) keinesfalls unter dem Frieden gelitten haben – im Gegenteil! Trotzdem sorgt der lange "Frieden" für eine gewisse Nervosität in der Kriegergesellschaft. Wäre Emendons Reich dazu fähig, wirklich gefährlichen äusseren Bedrohungen standzuhalten? Wäre man dazu in der Lage, einen Eroberungskrieg zu führen?

Ein weiteres Problem ist, dass die zentralistischen Strukturen des arbonischen Staates sehr auf die Person des Hochfürsten ausgerichtet sind, die Nachfolgefrage aber nicht ganz eindeutig geregelt ist. Bei Emendon laufen nicht nur unterschiedliche Traditionen der Machtausübung, sondern auch verschiedene mögliche Nachfolgeregelungen zusammen: Sowohl das Wahlrecht, als auch dynastische Erbfolge könnten angewendet werden. Denkbar wäre es, sowohl einen Alleinerben oder eine Alleinerbin zu bestimmen, oder eine Erbteilung anzuwenden. In diesem Fall könnte für einige Herrschaftsrechte das Wahlprinzip, für andere das dynastische Prinzip bevorzugt werden. In jedem Fall könnten politische Führer aus dem anderen Reichsteil versuchen, das Ergebnis zu beeinflussen. Der Hochfürst ist zwar noch in den besten Jahren, aber ein unerwarteter Tod ohne eindeutige Regelung der Nachfolge würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Krieg führen.

Und schließlich ist das Hochfürstentum Trigardon eigentlich als das Reich der Siebenfaltigkeit gedacht. Doch seit der Teilung in das Reich des Hochfürsten und das Reich der Hochfürstin gibt es de facto zwei (mit dem Fürstentum Yddland sogar drei) siebenfaltige Staaten. Das verursacht zwar keine spürbaren Probleme im Leben der meisten Menschen, aber bei Rechtsgelehrten beider Reichsteile eine gewisse ideologische Unsicherheit: Aus historischen Gründen und aufgrund religiöser Texte gibt es zwei höchste Instanzen der Rechtsfindung, das Reichsthing und das Tribunal. Beide Institutionen kann es nach der ihnen eigenen Logik nur einmal geben. Kein Reichsteil kann darauf verzichten, die jeweils eigene Version des Tribunals als die "wahre" zu proklamieren und niemand kann seine Erlasse durch das Reichsthing legitimieren. Die Gemeinschaft der Gläubigen, für die Gerechtigkeit das höchste Gut ist, hat also keine Mittel der Rechtsfindung, die wirklich von allen Gläubigen anerkannt werden.

Die "Forderungen" von Recht und Sitte an das Wesen des Staates sollte man sich nicht wie ein ausformuliertes Manifest vorstellen. Die politische Kultur basiert zwar darauf, dass Konsens bei den oben genannten Punkten (Existenz eines Staates, Vorrang der Siebenfaltigkeit, gerechte Zustände) besteht. Aber das wird sehr unterschiedlich verhandelt. Edle, Geistliche und Sippenoberhäupter inszenieren ihre Vorstellungen von Moral und Tradition regelmäßig auf neue Weise, streiten und verhandeln darüber, suchen Zustimmung und sichern ihre Entscheidungen vielfach ab. Das immer-wieder-neu-Erfinden der politischen Kultur beginnt schon bei der Erziehung von Angehörigen der Oberschicht. Recht und Sitte sind umstritten und anpassungsfähig, müssen aber gleichzeitig den Nimbus von Altehrwürdigkeit und Unverrückbarkeit bewahren. In einer argumentativen Auseinandersetzung hat für gewöhnlich die Seite den besseren Stand, die diesen Nimbus überzeugender für sich vereinnahmt. Die andere Seite kann dann eigentlich nur noch versuchen, mit überzeitlichen religiösen Wahrheiten zu kontern.

Der Priesterschaft der Siebenfaltigkeit kommt beim Aushandeln von Recht und Sitte eine Schlüsselstellung zu. Das hängt besonders damit zusammen, dass hier eine in allen Provinzen lebende soziale Schicht auf ungefähr gleichem (hohem!) Bildungsniveau fortwährend dazu motiviert ist, sich sehr qualifiziert über Recht und Sitte auszutauschen. Natürlich liegt es auch am großen Einfluss der Religion auf die politische Kultur. Diesen Einfluss wissen aber nicht nur die Priester zu nutzen. Letztlich versuchen alle politischen Akteure, ihre Ansichten als besonders göttergefällig darzustellen, schließlich sind die Götter als höchste Schicksalsmächte hauptverantwortlich für das Scheitern oder Gelingen jedes politischen Projekts. Damit liefert die Religion nicht einfach eine von mehreren Argumentationsweisen, sondern die Sprache des Politischen schlechthin. Die Priesterschaft hat kein Monopol auf diese Sprache, sondern einfach nur das größte Fachwissen. Und auch das beste Fachwissen konnte hin und wieder schon von mächtigen Edlen mit der simplen Behauptung weggewischt werden, dass die Götter auf der Seite des Erfolges stehen – zumindest solange, wie diese Edlen auch sichtlich erfolgreich waren, also Reichtum, Nachkommen und Siege im Krieg vorweisen konnten.

Man argumentiert also gerne religiös und gibt sich gerne den Nimbus des Altehrwürdigen. Daher überrascht es nicht: Die religiöse Ausdeutung der Geschichte kann selbst zum politischen Argument werden. Zu diesem Zweck haben sich zwei verschiedene Stile der geschichtlichen Überlieferung herausgebildet: Der eine Stil handelt von heldenhaften Ahnen und ihren unermüdlichen Erfolgen. Das ist der Stil der Totenrede, der fester Bestandteil der Ahnenkulte des arbonischen Adels ist. Daneben gibt es den klösterlichen Stil, der quasi nur als politisch motivierte Auftragsarbeit vorkommt. Seine Geschichten handeln von tragischen historischen Helden, deren Straucheln mit ihrer Unmoral oder den Fehlern ihrer Vorfahren erklärt oder entschuldigt wird – was die Autoren nicht daran hindern muss, ihre Helden trotzdem mit Lobeshymmnen zu überschütten. Man weiß natürlich, dass die Totenreden den älteren Stil darstellen, während der klösterliche Stil jünger ist. Darin spiegelt sich auch wieder, dass die Machtstellung der Sippenoberhäupter und Edlen viel älter ist, als die der Geistlichen. Wenn man also "Konservative" und "Reformer" im modernen Sinne auch im arbonischen Staat ausmachen will, sollte man die Konservativen unter den Grundbesitzern und die Reformer eher bei den Geistlichen suchen. Der Vergleich hinkt natürlich in mehrfacher Weise (insbesondere weil die Priester gut darin sind, den Nimbus des Altehrwürdigen ganz unabhängig von der historischen Faktenlage zu pflegen). Aber es schadet nicht, ihn im Hinterkopf zu haben, wenn von der Rolle der Priesterschaft im Staat die Rede ist. Denn es verhält sich damit umgekehrt zu unserem Denken über die Rolle der Kirche in Staaten der heutigen realen Welt, die wir ja eher als konservative Kraft sehen.

Der Staat und die Priesterschaft

Zur Priesterin oder zum Priester berufen zu sein heißt, dem Gemeinwohl zu dienen. Üblicherweise wird das zwar anders ausgedrückt – die Geistlichen dienen ja schließlich den Göttern – aber in den Augen der Gesellschaft ist die Sache klar: Sie werden vorzüglich von der Gemeinde versorgt, stehen in höchsten Ehren, haben enorme Autorität und einzigartige Vorrechte. Und dafür erwartet man viel von ihnen. Nur Geistliche, die wirklich ein Eremitenleben führen sind frei, ausschließlich den Göttern zu dienen. Das tun nur die Wenigsten für lange Zeit.

Viel üblicher ist es, dass die bloße Existenz von Priester oder Priesterin schon als Geschäft der Gläubigen mit den Göttern angesehen wird: Die Gemeinde gibt den Göttern einen wertvollen Menschen (der aus Landarbeit und Kriegsdienst ausfällt) und sorgt dafür, dass es ihm an nichts fehlt. Dafür geben die Götter der Gemeinschaft ihr Wohlwollen. Priester und Priesterin dienen als Sprachrohr in beide Richtungen. Die Götter erfahren von ihren Dienern, was die Gläubigen sich wünschen, die Gläubigen erfahren umgekehrt, was die Götter von ihnen verlangen. Die Götter offenbaren sich aber nur denen, die nach gewissen Regeln der Reinheit und Heiligmäßigkeit leben. Die Gemeinschaft hat also ein Anrecht darauf, die Einhaltung des frommen Lebenswandels ihrer Priesterinnen und Priester zu kontrollieren. Auf dieser Grundlage basiert der Vertrag der Gesellschaft mit ihren Geistlichen.

Auf der Ebene von Reich und Institutionen repräsentieren der Hochfürst und die gräflichen Richter die Glaubensgemeinschaft, während der Stand des Klerus in seiner Gesamtheit als Diener des Staates gesehen wird. Tempel und Klöster auf dem Boden von Emendons Reich sind "öffentliche Einrichtungen" – auch wenn man es natürlich anders ausdrückt.

In der Grafschaft Arbon geht das sogar noch einen Schritt weiter: Hier gibt es de iure keine Form von klerikaler Grundherrschaft und der Grundbesitz von Tempeln und Klöstern ist auf ein geradezu lächerliches Maximum beschränkt. Die großen Glaubenszentren (namentlich das Kloster des Riason, der Hochtempel des Riamodan und das Kloster des Heiligen Danason) sind damit abhängig von der Finanzierung durch den Herrscher, kleinere Tempel leben mitunter auch als Stiftungen lokaler Grundherren von Spenden. Alle klerikalen Einrichtungen in der ganzen Grafschaft sind Emendon gegenüber rechenschaftspflichtig und ihre schriftliche Buchführung macht eine vergleichsweise effektive Kontrolle möglich.

Es mag auf den ersten Blick erstaunen, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit der arbonischen Tempel und Klöster keine nennenswerte Opposition hervorruft. Immerhin gibt es mit Nordern und den Klöstern der Riadugora, Riaranjoscha und Riasina (die alle jenseits der Grenzen von Emendons Reich liegen) prominente Beispiele dafür, dass Klöster Einkünfte aus weitläufigen Ländereien beziehen, was rein verwaltungstechnisch tadellos funktioniert. Nun ist aber wirtschaftliche Unabhängigkeit für die arbonische Geistlichkeit kein Wert für sich. Viel wichtiger ist es, dass die materielle Grundlage klösterlichen Lehrens und Lebens überhaupt gesichert ist. Darüber hinaus gehende Reichtümer müssen sich mit einem religiösen Demutsgebot in Einklang bringen und als dem Gemeinwohl dienlich rechtfertigen lassen. Und während es durch politische Verwerfungen, schlechte Ernten und zu frühe oder zu lange Winter bei den anderen Klöstern immer wieder zu Mangel und Not gekommen ist, war das in Arbon nie ein Problem. Kurz gesagt: Die Glaubenszentren in Emendons Reich leben sehr gut in ihrer materiellen Abhängigkeit. Es findet allgemeine Akzeptanz nicht nur beim Adel, sondern auch in der überwiegenden Mehrheit des Klerus, dass Stifter, Spender und Herrscher einen gewissen Einfluss auf die spirituellen Organisationen ausüben. Mehr dazu hier und hier.

Die Klöster und Tempel haben viele Funktionen in Emendons Reich. Neben ihrer religiösen Bedeutung erfüllen sie zugleich Rollen, die heute in der realen Welt Post, Zeitungen, Schulen, Hochschulen, Forschungsinstituten und Krankenhäusern zukommen. Das heißt nicht, dass alle diese Aufgaben in Trigardon in vergleichbarem Maße erfüllt werden, wie das in der realen Welt der Fall ist:

  • Diese Dienste sind für niemanden kostenlos, sondern üblicher Weise sehr, sehr teuer. Kostenlose Behandlung von Armen bei medizinischen Notfällen ist zwar im Rahmen der Mildtätigkeit üblich, aber es wird dafür handfeste Dankbarkeit in Form von späteren Diensten oder Arbeitsleistungen verlangt. Nicht wenige Nonnen und Mönche fanden ihren Weg in ein spirituelles Leben auf diese Weise.
  • Es gibt keine Möglichkeit, Briefe über das Niveau von persönlichen Kontakten hinaus zuverlässig zuzustellen. Und wer nicht will, dass seine Nachricht eventuell Wochen oder gar Monate unterwegs ist, sollte besser eigene Reiterboten haben.
  • Man kann keine klösterliche Bildung erwerben, ohne sich zumindest vorübergehend auch auf ein Klosterleben einzustellen. Und es liegt im Ermessen der Geistlichen, wen sie dort aufnehmen.
  • Man bekommt die "Neuigkeiten aus dem Reich" nicht schriftlich vorsortiert als Publikation und erst recht nicht frei Haus geliefert. Man muss schon persönlich im Tempel nachfragen, was es so Neues gibt und bekommt so gut Auskunft, wie die Geistlichen es halt geben können.

Die wichtigste technische Funktion der Klöster und Tempel im Staat liegt aber bei ihren Verwaltungsaufgaben. Nur der Klerus ist dazu in der Lage, ausreichend Schreiber zur Verfügung zu stellen, um Gerichtsurteile und Besitzrechte zu beurkunden. Und das ist die Voraussetzung für eine geregelte und berechenbare Form, überregional Abgaben zu erheben. Diese Aufgabe wird im Großen und Ganzen gewissenhaft erfüllt, ist sie doch entscheident für das Herbeiführen "gerechter Zustände" (eine der wichtigsten Forderungen der Religion an das Wesen des Staates!). Sehr gegenwärtig ist noch die Erinnerung an frühere Zeiten, als mächtige Kriegsherren sich die Tribute, die ihnen ihrer Meinung nach zustanden, mit Gewalt holten. Von der Rolle der Priester bei der Abgabenerhebung wird an anderer Stelle noch die Rede sein.

Urkunden werden also nicht nur, aber vorwiegend von Geistlichen ausgestellt. Die Schreiber gräflicher und hochfürstlicher Kanzleien sind nicht nur, aber fast nur Geistliche. Schriften über Rechtsvorgänge werden nicht nur, aber vor allem in Klöstern und Tempeln gesammelt. Jedes der drei größten Glaubenszentren ist daneben mindestens für einige Wochen im Jahr Regierungssitz, wenn der Hochfürst mit seinem Gefolge dort Hof hält, zu Gericht sitzt und persönliche Präsenz zeigt. Alles, was wir in einem modernen Staat als Verwaltungsapparat bezeichnen würden, wird in Trigardon von Geistlichen dominiert.

Man darf aber nicht vergessen, dass hier eine nur semi-professionelle Verwaltung vorliegt, keine streng hierarchische, besoldete und nach Leistungsprinzip ausgerichtete Beamtenschaft. Verglichen mit rational strukturierten Zentralstaaten neuzeitlicher realweltlicher Epochen ist das Verwaltungswesen in Emendons Reich kaum mehr als ein Archiv das auch nur deshalb funktioniert, weil die, die es angelegt haben, zum Großteil noch leben. Für die Trigardonen ist es aber das effizienteste System, das es im kollektiven Gedächtnis jemals gegeben hat.

Geistliche gibt es natürlich nicht nur in Klöstern. Sie sind auch über das Land verteilt, leben als Grundbesitzer in lokalen Gemeinden oder wandern von Heiligtum zu Heiligtum und von Siedlung zu Siedlung. Auch diese Geistlichen üben staatliche Funktionen aus, auch wenn sie weniger im Beurkunden und Archivieren von Rechtsvorgängen bestehen. Ihre Aufgabe besteht vor allem in der Informationsweitergabe vom Herrscher zum Volk. Wenn z. B. eine Verlautbarung des Hochfürsten in seinen Augen so wichtig ist, dass wirklich der Großteil seiner Untertanen davon hören soll z. B. sowas, wird diese Verlautbarung duzendweise abgeschrieben und von Reiterboten zu den kleinen und großen Klöstern und Tempeln gebracht, wo sie wiederrum duzend- oder hundertfach abgeschrieben wird und zu den Priestern in den lokalen Gemeinden gebracht, die ihre Abschrift dann vorlesen. Auf diese Weise kann der Herrscher sich darauf verlassen, dass Nachrichten von ihm binnen Tagen den Großteil des Volkes, binnen Wochen fast alle Gemeinden in Arbon und Altberg und so schnell, wie die Weiten des Meeres es erlauben schließlich auch die Ostprovinz erreicht haben. Natürlich muss das wichtig genug sein um die Mühe zu rechtfertigen. Es ist aber üblich, dass man selbst in entlegenen Gegenden zumindest ein oder zwei mal im Jahr durch Geistliche die Worte des Hochfürsten zu hören bekommt.

Dieses Netzwerk funktioniert natürlich nur in eine Richtung: Von oben nach unten. Aber nicht nur der Hochfürst macht es sich zu nutze, sondern es steht grundsätzlich jedem lokalen Oligarchen für den eigenen Verwaltungsbezirk zur Verfügung. In der Vorstellung der Geistlichen spielt es keine Rolle, ob sie Nachrichten vom Staatsoberhaupt selber oder von einem seiner Repräsentanten an ihre Gemeinden weitergeben. Es ist beides Dienst am Reich und als solcher wird es den Gläubigen auch vermittelt. Nicht zuletzt damit wird den Untertanen ihre Zugehörigkeit zum arbonischen Staat ins Gedächtnis gerufen. Und besonders in den sehr abgelegenen Gegenden, wo der Zentralstaat sonst keine Präsenz zeigt, ist den Menschen das wichtig.

Der Staat und die Cirkater

Den meisten Geistlichen ist die Ausübung des Kriegshandwerks streng verboten. Nur eine kleine Minderheit ist von diesem Verbot ausgenommen: Die Cirkater. Die Heilige Schrift erlegt ihnen auf, die Priester zu schützen und die göttergewollte Ordnung unter den Menschen zu bewahren.

Die Tradition des Cirkaterstandes reicht nicht sehr weit zurück und war mehrfach unterbrochen. Dennoch ist seine symbolische Bedeutung groß. Schon viele arbonische und flutländische Führer haben sich selbst mehr oder weniger erfolgreich als Cirkater oder zumindest als ihre militärischen Befehlshaber in Szene gesetzt. Dies folgt einer einfachen Logik: Die Geistlichen und ihre Einrichtungen sind das wichtigste Symbol des Gemeinwesens. Und wer als Beschützer der Geistlichen auftreten kann, gilt als Oberhaupt des Gemeinwesens.

Diese Logik ist zwar im Großen und Ganzen wirkungsvoll, aber nicht ganz unwidersprochen:

  • Die Priesterschaft betont gerne, dass die Beschützerrolle der Cirkater eine dienende, den Priestern untergeordnete ist. Religiöse Führer haben Versuche unternommen, den Cirkaterstand politisch an sich zu binden.
  • Der Adel ist nicht bereit, die Rolle des "Beschützers des Glaubens" allein dem Cirkaterstand zu überlassen. Militärisch, rechtlich und wirtschaftlich sind die Cirkater an die Strukturen gebunden, die der Adel vorgibt.

Dieses politische Spannungsfeld hat die Bruderschaft des Heiligen Danason hervorgebracht, zum einzigen Cirkaterorden Trigardons gemacht und schließlich zur wichtigsten Kraft für den politischen Aufstieg Emendons werden lassen. Seit den gut vierzehn Jahren unter seiner Führung (ab 26 n. K.) sind alle anderen militärischen Strukturen des arbonischen Klerus in die Danasonbrüder integriert worden. Fast alle Cirkater in Emendons Reich gehören zum Orden.

Der straff geführten Glaubensgemeinschaft gehören Priester und Priesterinnen nur zu zeremoniellen und Verwaltungszwecken an. Die übrigen Brüder und Schwestern sind aber nicht nur Cirkater und ihre Schüler, sondern auch Ritter, Reiter und Knappen mit besonders frommem Lebenswandel. Diese Mischung ergibt sich dadurch, dass die Danasonbrüder schon bei ihrer Gründung (24 n. K.) eine Doppelfunktion hatten: Sie sollten nicht nur ein Schwert des Glaubens sein, sondern waren auch dafür vorgesehen, eine ständig einsatzbereite Haustruppe des Ordensgründers (und wichtigsten Stifters) zu sein: Des damaligen Grafen von Arbon, Ardor anh Rhack II. Böse Zungen warfen ihm vor, er hätte sich nur zu diesem Zweck zum Cirkater weihen lassen. Ob da etwas dran ist oder nicht, die militärisch-politische Führung der Danasonbrüder war nie in den Händen von Priestern. Und das machte sie für jene edlen Familien attraktiv, die der Vorstellung misstrauisch gegenüberstanden, dass der Klerus durch eine Cirkaterstreitmacht politische Unabhängigkeit erlangen könnte. Dementsprechend entstammt die überwiegende Mehrheit der Brüder und Schwestern des Ordens den edlen Sippen der traditionell eher herrschernahen Verwaltungsbezirke Rhack, Erlenfels, Arden und Argaine. Mehr dazu hier. Die Oberhäupter der großen spirituellen Zentren nahmen dies mehr oder weniger klaglos hin, weil Emendon ihnen nach Ardors II. Tod weitreichende Privilegien versprach und Wort hielt, als er schließlich Graf von Arbon wurde (30 n. K.). Tatsächlich hat die Priesterschaft ihre heutige starke Stellung im öffentlichen Leben nicht zuletzt wegen dieser Privilegien behaupten und ausbauen können. Trotzdem bleibt sie ihm nur deshalb verpflichtet, weil Emendon sich auch tatsächlich als frommer Cirkater verhält.

Die Angehörigen der Bruderschaft des Heiligen Danason unterwerfen sich dem Gehorsamsprinzip und müssen geloben, dem Orden jederzeit dienstbar zu sein. Seit ihrem Bestehen sind sie die größte, am besten ausgerüstete und disziplinierteste ständig einsatzbereite Streitmacht aller trigardonischen Lande. Ihre Einrichtungen reichen von der beeindruckenden Ordensburg über Staffelstrecken für Reiterboten bis hin zu Kastellen und Stallungen an vielen Schlüsselpunkten Arbons und Altbergs, wodurch sie dem Staatsoberhaupt ein zwar lückenhaftes, aber schnelles und zuverlässiges Netz zur Nachrichtenübermittlung zur Verfügung stellen. Gemäß der Ordensregel müssen die Brüder und Schwestern lesen und schreiben können. Daher gibt es für sie einen weiteren nützlichen Einsatzbereich: Mit ihnen kann Emendon vorübergehend Verwaltungsposten und militärische Führungsfunktionen besetzen, sie aber jederzeit von dort auch wieder abziehen, ohne damit ihre Familien offen zu brüskieren. Aufgrund dieser Eigenschaften werden die Danasonbrüder überall in Emendons Reich als Hände, Augen, Ohren und zuweilen auch die Stimme des Hochfürsten wahrgenommen.

Militärisch können die Danasonbrüder die Rolle einer gefürchteten Elitetruppe einnehmen, deren Mannschaftsstärke zur Erfüllung der unterschiedlichsten taktischen Aufgaben ausreicht. Zu selbstständiger Kriegsführung sind sie nicht in der Lage. Um hier übergeordnete strategische Ziele erreichen zu können, agieren sie stets im Verband mit anderen Aufgeboten. Dennoch ist die militärische Schlagkraft der Danasonbrüder dazu geeignet, potentielle Opposition im Adel einzuschüchtern. Und das soll es auch. Aber Emendon hat sich noch nie allein auf Einschüchterung zur Sicherung seiner Macht verlassen – schließlich müsste ein wirklich breites Bündnis des Adels den Waffengang mit den Danasonbrüdern nicht fürchten.

Emendon setzt das Drohpotential seines Ordens seit je her sehr vorsichtig und zurückhaltend ein, womit er seiner Herrschaft den Ruf der Überpatreilichkeit und Rechtsliebe erarbeitet hat – zumindest im eigenen Reichsteil. Man sagt dem Hochfürsten sogar nach, selbst dann nach dem Recht zu handeln, wenn er es schadlos zu seinem Vorteil brechen könnte. Das hat mit Naivität nichts zu tun, sondern bewahrt die Ehre der Danasonbrüder. Und die ist eine sehr realpolitische Grundlage der Akzeptanz des Adels für die Vorrangstellung Emendons.

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