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Aus Trigardon
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Was ist Trigardon?

Das Hochfürstentum Trigardon ist ein fiktives Land in der Mittellande-Kampagne, welches als Hintergrund für eine low-fantasy Larp-Kampagne mit mittelalterlichen Elementen dient.

Dargestellt wird eine feudal organisierte Stammesgesellschaft mit Anleihen aus Tolkiens Rohan, die eine polytheistische Schriftreligion mit starkem schamanistischem Erbe pflegt. Der seit Langem andauernde Austausch zwischen sesshaften, halb- und vollnomadischen Bevölkerungsgruppen führte zu einer eigenwilligen Mischkultur.

Trigardon wurde von einer losen Interessengemeinschaft von LarperInnen seit ca. 1994 bespielt. Seit Anfang 2011 haben wir uns in zwei Gruppen aufgeteilt. Diese Spaltung ist auch in den Hinter-grund übertragen worden. Rein ideell handelt es sich zwar noch immer um ein gemeinsames Land, doch es hat zwei Hochfürsten mit jeweils eigenem Reich:

• Wir, der „Arbon e. V.“, bespielen das Reich des Hochfürsten von Trigardon ("Emendons Reich") mit den Territorien Arbon, Altberg, Ostprovinz und Okostria.

• Die "Freie Spielerschaft" bespielt das Reich der Hochfürstin von Trigardon ("Marsianes Reich") mit den Territorien Flutland, Dunkelwald und Westport.

• Das Fürstentum Yddland gehörte einige Jahre lang zu Trigardon, hat aber spielerisch und organisatorisch nur rudimentär mit uns zu tun.


Das Szenario

Vor langer, langer Zeit, am Ende dunkler Jahrhunderte oder kurz danach, als man das Alte noch höher schätzte als das Neue aber schon wusste, dass es sich im Heute besser leben lässt als im Gestern, lag einsam, von der Seidenstraße vergessen, Arbons Edoras am Rand des Hindukusch, unweit des Schwarzen Meeres. Wollte man von hier aus das Camelot der Hochfürsten erreichen, ohne sich in den sibirischen Nebeln des flutländischen Hochmoors zu verirren, folgte man einfach der Donau bis zu ihrer Mündung am Baikalsee. Das Ziel lag an der Stelle, wo der Kaukasus auf das Karpatenbecken stößt. Diese Gegend nannte man Trigardon.

In diesem Land verband man nichts mit den Namen von Atlantis, Gondolin, Jerusalem und Valinor. Weder Ahnengeister, noch Zwerge oder Hobbit kannten Geschichten darüber und die Elben fragte man nicht. Die Trigardonen hatten noch nie vom Untergang Numenors oder Roms gehört und konnten sich auch nicht vorstellen, dass es ein Weltreich wie das des Dschingis Khan jemals geben würde. Stattdessen erhofften sie sich eine Wiederkehr der goldenen Tage des alten Gar, ersehnten den Anbruch der immerwährenden Tagnacht, erträumten in den Heldengeschichten der Vorfahren ihre eigene ruhmreiche Zukunft...

Das Szenario, das wir mit Trigardon bespielen, basiert im Kern auf zwei sehr klassischen Grundlagen: Ein paar Klänge Völkerwanderung, Rittertum und Druidenmystik spielen die Melodie alter und moderner König-Arthus-Lieder, begleiten uns auf der Wanderschaft in Tolkiens ausgetretenen Fußstapfen, wo wir Elben, Zwergen, Hobbits, Orks und Trollen begegnen. Wir schwimmen gemütlich im Fantasy-Mainstream und wollen das auch so, denn es macht uns in viele Richtungen anschlussfähig. Doch was uns ausmacht sind die Dissonanzen im Lied, die Stolpersteine auf der Wanderung, die unvorhergesehenen Wirbel und Untiefen im Strom. Wir legen großen Wert auf einige Abweichungen von den üblichen Fantasy-Konventionen.

Bei Orks und anderen Monstren folgen wir zwar dem Klischee – sie sind schrecklich und schreck-lich böse. Doch die Elben werden von den Trigardonen anders wahrgenommen, als es in der Tolkien-Tradition üblich ist. Sie sind nicht das schöne, uralte Volk entrückter Weisheit, sondern Ver-stoßene: Unheimliche, fremde Wesen der Täuschung und Verlockung, zuweilen bösartige, auf je-den Fall gefährliche Geschöpfe, die man meiden sollte. Die Rolle des melancholischen, im Schwin-den begriffenen Lehrervolkes haben eher die Zwerge. Aber die Überzeugung, Krone der Schöpfung zu sein, macht die Menschen zu schlechten Schülern.

Sie haben jedoch leider nicht das Glück, in der Kontinuität einer uralten Zivilisation zu stehen, die ihnen die Jahrtausende überliefert hätte. Ihre Gegenstücke zu den alten Griechen haben nicht mehr als ein paar sozusagen "homerische" Mythen hinterlassen. Man blickt stolz auf ein halbes Jahrhundert spärlicher schriftlicher Zeugnisse und eine vielfach gebrochene, magisch-verklärte mündliche Überlieferung zurück; mehr ist nicht geblieben. Trigardon liegt nicht in der historischen "Epochenstase" klassischer Fantasywelten, wo sich die Verhältnisse jahrhundertelang nicht verändern. Langsame Transformationsprozesse und politische Umbrüche sind Teil des Szenarios.

Den meisten Entwürfen klassischer Fantasywelten liegt eine eurozentrische Perspektive zugrunde. Auch Trigardon kann sich davon nicht gänzlich lösen. Aber es war nie Teil des christlichen Europas und gehört auch zu keiner seiner unendlich vielen Fantasy-Übersetzungen. Wir orientieren uns an den europäischen Epochen, die den Arthus-Flair ausmachen. Früh- und hochmittelalterliche Merkmale existieren auch in unserem Szenario fröhlich nebeneinander her wie in den ersten Nie-derschriften der Sage.

Doch das trigardonische Spielgefühl entsteht durch die Kombination mit der anderen großen Inspirationsquelle, den zentralasiatischen Elementen. Diese nutzen wir in erster Linie, um unserer Darstellung etwas Exotisches und Fremdes beizumischen, was in produktivem Culture-Clash-Spiel resultiert. Gemessen am idealisierten Fäntelalter-Standard sind Trigardonen barbarisch, halten sich aber mit Berufung auf ehemalige Hochkulturen für hochzivilisiert.

Die Mischung aus archaischen (Sippenwesen, Geisterglaube) und grob-mittelalterlichen gesell-schaftlichen Strukturen (Lehnswesen, Ritterstand) stellen wir als lebendiges, in einem Umbruch befindliches Gebilde dar. Es ermöglicht den Austausch mit einer großen Bandbreite an anderen Fantasy-Kulturen, passt sich aber nicht opportunistisch an. Dass Trigardon die unspezifische Rand-zone einer unspezifischen Hochzivilisation ist, lässt uns einerseits große Freiheiten und fordert uns andererseits auch immer heraus, Andersartigkeit betont herauszustellen und damit im Spiel an-zuecken.

Dementsprechend gestalten wir auch unsere Figuren. Sie sind nicht orientiert an mittelalterlich-romantisierten Bildern von drachentötenden Paladinen und artig-züchtigen Frauenzimmern, sondern leben in einer Grauzonenrealität. Sie sind das Produkt ambivalenter gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen Mut und Gerechtigkeitsideale unauflösbar mit Ungleichheit und Alltagsgewalt verbunden sind.

Nicht der epische Kampf zwischen Gut und Böse (oder "Harmonie und Schlechtigkeit", wie man in Trigardon sagt) bestimmt das alltägliche Leben. Die Helden unserer Geschichten erleben zwar auch das Wunderbare und Schreckliche auf ihren Abenteuerreisen, verfolgen aber zumeist die Ziele echter Menschen: Die Hoffnung auf Erfolg, Anerkennung durch Freunde und Familie, die Sorge um die nahe und ferne Zukunft und die Suche nach Halt in einer verwirrenden Zeit.

Wann und wo wäre Trigardon also in unserer "Secondary World", dem Fantasy-Gegenstück der realen Welt anzusiedeln? Vor langer, langer Zeit, am Ende dunkler Jahrhunderte oder kurz danach, zwischen Edoras und Camelot, wo der Kaukasus auf das Karpatenbecken stößt und die Donau in den Baikalsee mündet.


Herrschaftsform und Recht

Achte die Gesetze, denn sie geben dem Recht Bestand. Denn siehe: Gesetze zwingen einen Jeden zu gerechten Taten und Gerechtigkeit unter den Menschen lässt die Harmonie der Seelen erklingen.

WappenArbonundTrigardon.jpg


An der Spitze des Reiches stehen die Hochfürsten, die durch eine Mischform aus Wahl- und Erbrecht bestimmt werden. Hochfürst Emendon anh Erlenfels ist zugleich das Oberhaupt des größ-ten trigardonischen Stammes, der Arbonier. Deswegen spricht man von seinem Reich auch als dem „arbonischen Reichsteil“, während man das Reich von Hochfürstin Marsiane anh Crul nach dem zweitgrößten Stamm den „flutländischen Reichsteil“ nennt.

Die Arbonier weisen ihrem Hochfürsten nicht nur die Rolle des repräsentativen Staatsoberhaup-tes, sondern auch die eines aktiven Regenten mit oberster Autorität in Kriegsfragen und beson-derer Nähe zu göttlichen Schicksalsmächten zu. Als Mann, der Stabilität in Krisen und Kontinuität in Umbrüchen bewahrte, genießt Emendon große Zustimmung in der überaus konservativen Be-völkerung seines Reichs. Dennoch benötigt er für seine Herrschaftsausübung die Unterstützung des Adels und der spirituellen Autoritäten aus allen Stämmen und Regionen seines Machtbereichs. Insbesondere mit den sogenannten „Großen“ (Barone, Äbte, gräfliche Richter etc.) muss politisches Einvernehmen herrschen.

Vor Ort werden die meisten täglich relevanten Hoheitsrechte von lokalen Grundherrinnen, ritter-lichen Grundherren und ihren Verwalterinnen ausgeübt. Diese sind miteinander, mit den Großen und mit dem Hochfürsten durch ein dichtes Geflecht von Vasallen-, Verwandtschafts- und weite-ren sozialen Beziehungen verbunden.

Der arbonische Reichsteil besteht aus drei unterschiedlich großen gräflichen Gerichtsbezirken, die teilweise in weitere, ungefähr gleich große autonome Verwaltungseinheiten gegliedert sind. Insgesamt gibt es zehn davon: Die sieben Baronien der Grafschaft Arbon, die zwei Baronien der Ostprovinz und die nicht weiter untergliederte Grafschaft Altberg. Weitere Territorien sind das Fürstentum Okostria und das Ringland, die in den Strukturen des Reiches aber bislang keine gro-ße Rolle spielen. Das Ringland dient vor allem als Rückzugsort für die Streitkräfte, die das neu eroberte Okostria unter Kontrolle halten sollen.

So gut wie alle Einwohner von Arbon, Altberg und der Ostprovinz gehören einem von fünf Stämmen an, die eine jeweils eigene politische Identität und eigene lokale Rechtstraditionen pflegen.

In der Grafschaft Arbon leben vor allem Arbonier, auch „Stamm des Natan“ genannt, die nicht nur dort, sondern insgesamt die Bevölkerungsmehrheit stellen und kulturell dominieren. Es ist nicht ungewöhnlich, arbonische Sippen oder Einzelpersonen mit arbonischen Wurzeln in allen Regionen des Reiches und vereinzelt auch jenseits seiner Grenzen vorzufinden.

Ebenfalls in Arbon lebt das „Kleine Volk“, Zwerge und Hobbit, die so symbiotisch zusammenleben, dass sie sich seit langem auch selbst als gemeinsame Gruppe wahrnehmen. Sie sind nicht zahlreich. Selbst in der von ihrem Oberhaupt beherrschten Baronie Harog sind sie nicht in der Mehrheit.

Daneben gibt es die Altberger, die sich erst vor zwei Jahrzehnten mehr oder weniger freiwillig dem Trigardonenreich anschlossen und in der Grafschaft Altberg starke Autonomierechte bewahren. Ihre Namenstraditionen und Sitten, ihre Tracht und ihr patriarchalisches Verwandtschaftskonzept unterscheiden sie recht deutlich von Arboniern und Montrowen.

„Montrowen“ nennt man Nachkommen der sogenannten Inselvölker, die in Arbon siedelten und sich im Verlauf der letzten vierzig Jahre mit den Arboniern und den Altbergern vermischten. Ihre Familienstrukturen und althergebrachten Kulte ähneln denen der Arbonier, sodass Au-ßenstehenden die eindeutige Zuordnung eines Bewohners der Baronie Montrowia nicht immer sofort gelingt.

Beim „Stamm des Cajetan“ handelt es sich nicht im eigentlichen Sinn um eine ethnische Gruppe, sondern um die heterogene Bevölkerung der Ostprovinz, denen der Kult um den Heiligen Cajetan zunehmend eine gemeinsame Identität verleiht. Diese Region wurde erst vor etwas mehr als einem Jahrzehnt erobert. Die wenigen menschlichen Ureinwohner sind Teil einer Gesellschaft geworden, die vor allem aus Siedlern besteht. Angehörige verschiedener Inselvölker und Arbonier stellen die beiden größten, aber bei weitem nicht die einzigen Siedlergruppen dar.

Die trigardonische Rechtsprechung verlässt sich nicht auf einen umfassenden Gesetzeskorpus. Die geschriebenen Gesetze nimmt man durchaus sehr ernst. Sie haben aber nicht den Anspruch, jeden möglichen Streitfall mit einer Regel zu versehen, sondern sind eher als grobmaschiges Netz zur Klärung von Zuständigkeiten zu verstehen. Glaube und Überlieferung sagen den Menschen, was Recht und Sitte ist. Als eigentliche Quelle der Rechtsprechung dienen traditionale, mündlich überlieferte Rechtsnormen in Verbindung mit dem religiösen Gerechtigkeitsbegriff.

Obwohl die Religion dem Recht buchstäblich sakrale Bedeutung zuweist, ist Trigardon nach modernen, realweltlichen Maßstäben kein Rechtsstaat. Viele Formen von Selbstjustiz werden allgemein akzeptiert. Man glaubt, dass es die Aufgabe aller ist, dem Recht zur Geltung zu verhel-fen und eine Gesellschaft, in der nur eine Minderheit dazu bereit ist, dafür zu den Waffen zu greifen, verloren sein muss. Edle zeigen die Ernsthaftigkeit eines Standpunktes oder Anspruchs damit, dass sie ihn notfalls auch mittels Fehde verteidigen.

Gütliche Einigungen mit „freiwilligen“ Entschädigungsleistungen und ohne eindeutige Schuldzu-weisung werden harten Bestrafungen grundsätzlich vorgezogen. Eine der wichtigsten Rechts-normen lautet "Wo kein Kläger, da kein Richter!“ Doch auch das Institut der Rache gehört zu den gängigen Schutzpflichten von Vasallen-, Verwandtschafts- und sonstigen sozialen Verbänden. Sie steht nicht grundsätzlich in Konflikt mit dem Gesetz.

Die meisten rechtlichen Probleme werden innerhalb überschaubarer Gruppen gelöst. Über Strei-tigkeiten, die zwischen eigenen Hörigen, Gefolgs- oder Lehensleuten bestehen, richten die entsprechenden Adeligen und Sippenoberhäupter allein. Einmischung äußerer oder sogar höherer Instanzen kann heftigen Widerstand provozieren.

Es gibt aber auch bestimmte Regeln, mit denen überregional mehr oder weniger auf die gleiche Weise umgegangen wird und durchaus Gegenstand obrigkeitsstaatlicher Kontrollen sind. "Un-wissenheit schützt vor Strafe nicht!" ist ebenfalls eine der wichtigsten Rechtsnormen. So ist die Todesstrafe für Hochverrat, Desertation und schwere Götterlästerung reserviert, andere Kapital-verbrechen ziehen die Vogelfreiheit nach sich. Mit öffentlichem Spott wird unter Verweis auf die Bardenfreiheit recht großzügig umgegangen, dagegen ist die Ausübung von „schwarzer Kunst“ (deren Definition allerdings variieren kann) streng verboten. Orks, Trolle und andere furchterre-gende Wesen werden gern als „Bestien“ oder „Menschtiere“ in einen Topf geworfen. Sie gelten, ebenso wie Straßenräuber, per se als Vogelfrei.



Geografie und Wirtschaft

Landkarte der Stammlande

"Entsage dem Neid, denn er führt zu Zwietracht. Bekämpfe das Unrecht, denn es führt zu Neid. Lasse ab vom Müßiggang, denn er ist aller Laster Anfang. Siehe: Die Gunst ist mit den Danken-den, nicht mit den Fordernden."

„Die trigardonischen Lande“ sind kein zusammenhängendes Gebiet. Arbon, Altberg, Flutland und der Dunkle Wald bilden gemeinsam das Kernland (auch „die Stammlande“ genannt), die Ostpro-vinz und der flutländische Westport sind weit entfernte überseeische Küstenprovinzen, Ringland und Okostria liegen in relativer Nähe östlich der östlichen Nachbarländer.

Das Kernland liegt zwischen drei bedeutenden Verkehrsräumen: Den Flüssen Thalan und Winning im Osten und im Westen, die weiter nördlich ins Weltmeer münden, und dem Silbermeer, einem gewaltigen Binnensee im Süden, in das sich der größte trigardonische Fluss, der Arbo, ergießt. Geografische und politische Grenzen verhindern jedoch eine direkte Anbindung Trigardons an diese Wasserwege.

Das schier endlose flutländische Hochmoor nimmt den kompletten Norden und Nordosten der Stammlande ein. Seine Einwohner müssen eisigen Temperaturen im Winter und wandernder Versumpfung im Sommer trotzen. Nur an wenigen Orten kann man Roggen und robuste Reissor-ten anbauen, was den Erhalt von nur sehr wenigen festen Siedlungen erlaubt. Die meisten Men-schen leben von Jagd, Fischfang und Wanderfeldbau; nur eine kleine Minderheit ist sesshaft.

In südwestlicher Richtung geht das Flutland in eine weite Grassteppe und Heidelandschaft über, die von seinen Bewohnern „Tejadun“ (= Land der Pferde) genannt wird. Sie zieht sich fast bis zur südlichen Grenze des Reiches. Auch hier leben die Bewohner halb- oder vollnomadisch. Die Er-fordernisse extensiver Weidewirtschaft (vorwiegend Schafs- Rinder- und Pferdezucht) bestimmen den Jahreszyklus.

Westlich des Tejadun liegt der Dunkle Wald, dessen südlicher Teil, der „Taur Kyriad“ schon nicht mehr zu Trigardon gehört. Kleine, isolierte Rodungen von unter zwanzig Haushalten sind die be-stimmende Siedlungsform.

Das Herz der Stammlande wird von einem Hochgebirgszug beherrscht, der nach Süden und Os-ten in hügeliges Gebirgsvorland ausläuft. Diese Landschaft heißt „Dugor Harog“ (= Berge des Todes). Auf Almen und in kargen Felslandschaften wird von Menschen, Zwergen und Hobbit Vieh-haltung (vorwiegend Ziegen- und Yakzucht) betrieben. Es gibt aber auch halb- und ganzjährig bewohnte Siedlungen von Ackerbauern, die zusätzlich oft auch Bergwerke betreiben. Die be-grenzte, aber stetige Förderung und Verhüttung von Blei-, Eisen-, Silber und einigen anderen Erzen sichert den Hochlandbewohnern bescheidenen Wohlstand. Von vergleichbarer Bedeutung ist auch der Mohnanbau des Kleinen Volkes. Weiter südlich und östlich schließt bewaldetes Hü-gelland an, dessen Bewohner in Rodungen und Talsiedlungen leben.

In der östlichsten Region der Stammlande, der Grafschaft Altberg, berührt der Dugor Harog die letzten Ausläufer eines weiteren Gebirgszuges. Dieser bildet eine natürliche Grenze zu Trigardons südlichem Nachbarland, wird dort „Schlangenfels“ und in Trigardon „Phadras Harog“ (= Berge der legendären Königin Phadra) genannt. Auf der trigardonischen Seite leben die Menschen hier kaum anders als im Dugor Harog.

Eingerahmt zwischen Tejadun, Dugor Harog und Phadras Harog schmiegen sich fruchtbare Kulturlandschaften an die Flüsse Arbo und Derian. Dort ist die Heimat der überwiegenden Mehrheit der Arbonier, die von ihnen „Längstal von Arbon“ genannt wird (eigentlich müsste man sie die Längstäler von Arbon nennen, das tut aber niemand). Im Zyklus halbjährlicher Hochwasser („kleine und große Schwemme“) erbringt der Weizenanbau reiche Erträge. In höheren Lagen am Rand der Täler kultiviert man auch Wein und Oliven. Bedeutend sind daneben der Fischfang im Fluss und in mit ihm durch Kanäle verbundenen künstlichen Teichen, die oft auch zum Antreiben von Mühlrädern und zum be- oder entwässern der Äcker verwendet werden.

Weit entfernt vom Kernland ist die Ostprovinz. Sie liegt zwischen dem sogenannten Drachenmeer (dem nordöstlichen Teil des Weltmeeres) und dem Tinarischen Meer, dem größten bekannten kontinentalen Binnenmeer. Ihre östliche Grenze wird vom Tinarischen Kanal gebildet, einem natürlichen Nadelöhr des Schiffsverkehrs zwischen beiden Gewässern. Ihren größten Wert macht die strategisch günstige Lage der beiden Hafenstädte Drachenport und Tinarport aus.

Das Binnenland ist geprägt von unbesiedelten Wald, Steppen- und Moorgebieten. Dazwischen gibt es immer wieder Flecken fruchtbarer, aber noch wenig erschlossener Böden. Die meisten Menschen leben in Streusiedlungen in relativer Nähe der Hafenstädte. An den Küsten wird auch das heiß begehrte Meersalz gewonnen.

Zu den wirtschaftlichen Mittelpunkten Trigardons gehört natürlich das Längstal von Arbon mit den größten Klöstern, Tempeln, Festungen und Adelshaushalten des Landes. Es stellt zugleich den Brotkorb und die pulsierende Hauptverkehrsader des Kernlandes dar.

Grafschaft Arbon

Abseits des Längstals sind der Markt und die berühmten Handwerkstätten Aldburgs in der Graf-schaft Altberg, die Burg von Argaine am Südrand des Tejadun, sowie die Häfen Tinarport und Drachenport die bedeutendsten einzelnen Gewerbe- und Bevölkerungsschwerpunkte in Emen-dons Reich. Daneben kommt der Freistatt Nordern als uraltem Handelsplatz der Steppe mit dem wichtigsten Heiligtum des Sonnengottes ein hoher Stellenwert zu. Obwohl sie nicht mehr als Regierungssitz dient, ist Nordern nach wie vor die symbolische Hauptstadt Trigardons. Weder Hochfürstin noch Hochfürst machen Anstalten, dort direkte Kontrolle ausüben zu wollen. Damit ist dieses kleine Territorium eine Art neutrale Zone zwischen den Reichsteilen.

Insgesamt ist die Wirtschaft agrarisch geprägt. Handel und Handwerk werden zwar als wichtige Sektoren wahrgenommen, aber fast alle Marktteilnehmer betreiben Subsistenzwirtschaft. Sieht man von Salz und wenigen anderen Ausnahmen ab, ist man nicht darauf angewiesen, alltägliche Verbrauchsgüter kaufen zu müssen. Auch Lohnarbeit ist nur in wenigen Nischen des Erwerbsle-bens bestimmend. Marktwirtschaft und hoheitliche Abgabenerhebung finden damit vorwiegend auf Basis agrarischer Überschüsse statt.

In diesen Rahmenbedingungen ist der Zugang zu agrarischen Nutzflächen die wichtigste Form von Kapital. Dieser Zugang ist staatlich und sozial fixiert: Rechtliche Bestimmungen und soziale Normen verhindern den Handel damit. Bauern und Hirten haben oft eigenen Grundbesitz und stehen hoch im Ansehen, noch über Händlern und Handwerkern, sofern diese nicht nebenbei noch Bauern oder Hirten sind. Die eigentliche Unterschicht besteht aus besitzlosen Pächtern, Hörigen und Tagelöhnern. Großgrundbesitz hat sich ausschließlich aufgrund langsamer politi-scher Entwicklungen gebildet und befindet sich zum Großteil in den Händen des Adels. Geld re-giert also nicht die Welt.

Nur die Reichsten können Großinvestitionen aus eigener Kraft tätigen. Dinge wie Burgenbau, Tempelstiftungen oder Siedlungsgründungen werden von möglichst vielen Investoren gemeinsam gestemmt. Nur Barone können solche Projekte zuweilen auch im Alleingang realisieren.

Obwohl die materielle und soziale Ungleichheit mitunter gewaltig erscheint, werden die Verhält-nisse allgemein akzeptiert. Die Wirtschaft des arbonischen Reichsteils wächst seit vierzig Jahren gemütlich vor sich hin. Die Reichen wurden reicher, die Armen zumindest nicht ärmer. Es gibt kein Massenelend, viel Optimismus und wenig Reformwillen. Der Export von Agrarerzeugnissen ermöglicht nicht nur den Import von Salz. Die Vermögenden führen vor allem Luxusgüter ein. Reicher Adel und große Klöster sind die Triebkraft von Handel und Geldwirtschaft. Mit Ausnahme von Tinarport und Drachenport hat sich nirgends die Grund-lage für eine reiche Kaufmannschaft oder städtisch-bürgerliche Kultur herausgebildet.

Die Exportgüter des Hochfürstentums bestehen maßgeblich aus Getreide, Rindern, Pferden, Pel-zen, Häuten, Töpferwaren und Rauschmitteln aller Art. Besonders hervorgetan hat sich arboni-sches Bier, süße dunkelwäldische Met-Sorten und Wein, welcher in Arbon und Dunkelwald gekel-tert wird. In manchen Klöstern versteht man sich auf die Herstellung konzentrierter Opiate, die ebenfalls in die ganzen Mittellande exportiert werden.







Mentalität und Zusammenleben

"Meide die Verstoßenen und steche die Bestien. Behüte deine Kinder vor ihnen, denn siehe: Deine Kinder sind alles, was von deinen Taten übrig bleibt. Bleibst du aber kinderlos, dann führe das demütige Leben der Verstoßenen."

Das Hochfürstentum ist insgesamt eher dünn besiedelt und der nomadische Lebensstil nichts Exotisches, wenngleich nur in Flutland und im Tejadun wirklich dominant. Doch nicht nur dort sind die Menschen auf ihre Mitmenschen angewiesen. Überall begreift man sich selbst immer als Teil einer Gruppe, die wichtiger ist als der oder die Einzelne. Gruppenbindungen, etwa an Haushalt, Sippe und Heerverband, sind wichtiger als das Verhältnis von Einzelpersonen. Von Haushalt, Sippe und Heerverband hängen Leben, Wohlstand, Glück und "Freiheit" ab. Weder der beste Freund, noch die große Liebe haben solche Bedeutung.

Insbesondere der Haushalt, dessen Agrarproduktion für seine Angehörigen eine existenzielle Angelegenheit ist, der gleichzeitig Arbeitsplatz, Wohnraum und Lebenswelt der wichtigsten sozialen Kontakte darstellt, prägt die Identität und die Erfahrungswerte der Menschen. In diesem Umfeld begreift man die Autorität des wirtschaftlich planenden Haushaltsvorstands, die Pflichten der arbeitsteiligen Hausgemeinschaft und die ehernen Gesetze des Haus- und Gastrechts als objektiv vorhandene Normen so wie wir in der heutigen realen Welt die Gesetze von Angebot und Nachfrage; sie stehen nur eine halbe Stufe unter den Naturgesetzen.

Das "Kleine Glück", für das die meisten Leute hart arbeiten, besteht darin, die Rolle von Mutter oder Vater im eigenen Haushalt ausfüllen zu können. Erst damit ist man in Emendons Reich wirk-lich „erwachsen“. Wer nicht in einer festen Partnerschaft (aber nicht zwingend in einer Ehe) lebt, gilt als unreif und wird nur eingeschränkt für fähig gehalten, eigene Geschäfte zu führen. Paare, die für eine zu lange Zeit kinderlos bleiben, werden argwöhnisch beäugt und unter Umständen sogar zur Scheidung gezwungen. Diese Wertmaßstäbe entstammen zwar eher kleinbäuerlichen Lebensformen, gelten aber bei Arm und Reich gleichermaßen als verbindlich. Einzig in der Ost-provinz sieht man das etwas lockerer.

Größte Bedeutung weisen die Trigardonen ihrer Abstammung, Sippen- und Stammeszugehörigkeit zu. Die Stämme der Arbonier und Montrowen sowie das Kleine Volk leben in Sippenverbänden. Die Sippe ist eine Gruppe verwandter Großfamilien mit gemeinsamem Ahnenkult, Oberhaupt, Erbrecht und homogenem Geburtsstand (eine Sippe ist entweder edel oder nicht; es sind nie Teile edel und Teile nicht). Sippenoberhäupter bestimmen über die Vergabe von Pächter- und Lehrlingsstellen und arrangieren die Ehen ihrer Angehörigen; sie legen das Erbrecht und seine alltäglichen Konsequenzen aus und organisieren die Altenversorgung. Ackerland, Werkstätten, Viehbestände, Waffen und auch Adelstitel werden in verschiedenen Spielarten des Senioratsprinzips weiter gegeben. Dabei erbt das Sippenoberhaupt den wertvollsten in der Sippe zur Verfügung stehenden Besitz (oder den höchsten Titel), weitere Ressourcen werden absteigend nach Macht und Ansehen an die erbrecht-lich näher stehenden Verwandten weiter verteilt.

Für die Mehrheit der Bevölkerung gibt es über die soziale Kontrolle des eigenen Haushaltsvor-standes hinaus (den sprichwörtlichen „mütterlichen Segen“) relativ wenige sexuelle Restriktio-nen. Konkubinate (im Sinne nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften) sind üblich, besonders bei Armen und Verwitweten. Außerehelicher Verkehr unter Ledigen und Bisexualität sind geduldet, voreheliche Kinder werden in die Ehe eingebracht wie Wirtschaftsgüter. Aber je besser die Ah-nen einer Person, desto restriktiver ist die Partnerauswahl – dies betrifft vor allem den Adel.

Frauen und Männer sind relativ gleichberechtigt, wobei es aber viele Lebensbereiche gibt, die stark matriarchal geprägt sind, während andere Lebensbereiche wiederum moderat zum Patriarchat tendieren. So ist z. B. die arbonische Norm, dass verheiratete Frauen als Haushaltsvorstand identifiziert werden und damit als Geschäftsführerinnen gelten, auch in den anderen Stämmen Trigardons weit verbreitet, auch wenn man Ehemännern durchaus zutraut, ihre Frauen vertreten zu können.

Umgekehrt gilt nur der als „echter“ Mann, der seine Bereitschaft zum Kriegsdienst unter Beweis stellen kann. Zwar wird auch Töchtern der Umgang mit Waffen gelehrt, doch man legt meist weniger Wert darauf, als bei den Söhnen. In Arbon, Altberg und der Ostprovinz ist die Wehrpflicht eine wichtige soziale Norm. Selbst freie Männer und Frauen, die durch Vergreisung oder Schwangerschaft vom Kriegsdienst befreit sind, tragen offen den schweren Dolch des Stammeskriegers, womit sie sich sichtbar von Hörigen und Kindern abgrenzen. Den Umgang mit diesem und dem Bogen lernen alle freien Arbonier von Kindesbeinen an.

Ein gut gerüstetes Reiter-, und Stammeskriegerheer wird nur im Kriegsfall aufgestellt. Die Zahl der Bewaffneten, die der Hochfürst und die Barone unabhängig von landwirtschaftlichen Arbeits-zyklen einsetzen können, ist überschaubar. Die kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte wurden oft nur noch mit kleineren Vasallenaufgeboten ausgetragen. Dennoch ist die Option zum Aufstellen großer Stammeskriegerheere von strategischem Interesse.

Je reicher und angesehener ein Haushalt ist, desto eher wird Kriegsdienst dort als etwas höchst Ehrenhaftes empfunden. Die Wohlhabenden ziehen nicht nur freiwillig, sondern unter Umständen sogar gerne an der Seite ihrer Grundherren in den Krieg, um Beute und Ruhm zu erlangen. Daher verfügt Emendons Reich über ein größeres Reiterheer, als wenn es sich nur aus dem Stand der Edlen rekrutieren würde.

Kleinbauern und Pächter dagegen spüren die durch Wehrpflicht verursachten Arbeitsausfälle wesentlich mehr und entsprechend geringer ist ihr Enthusiasmus, das Heer als Fußkämpfer zu verstärken. Doch auch sie sind von kriegerischen Werten geprägt. Wenn im Haushalt keine Waffen vorhanden sind oder sich nicht wenigstens ein wehrfähiger Mann regelmäßig zu Übun-gen, Jagdausflügen und Manövern sehen lässt, gehört man nicht richtig dazu. Man wird vor Gericht nicht so ernst genommen, sitzt beim Familienfest ganz unten am Tisch, die Grundherrin macht beim Herdsegen böse Bemerkungen, etc. In der Grafschaft Arbon droht das Gesetz Freien sogar mit Standesverlust, wenn in ihrem Haushalt niemand mehr lebt, der Waffendienst leisten könnte. Es ist seit alters her so, dass nur Jene als "frei" zu gelten haben, die ihre Freiheit im Ernstfall auch mit Waffen verteidigen können.


Religion

Riacommon mit Symbolen.jpg

"Erkenne Die Götter und preise Ihre Namen. Siehe: Jeder Gott kann deiner Verehrung, du aber keines Gottes Gunst entbehren."

Die Siebenfaltigkeit ist die traditionelle spirituelle Vorstellung der trigardonischen Stämme. Sie ist die dominante Religion in allen trigardonischen Landen und in der yddländischen Oberschicht. Sie verbindet die Ursprungsmythen der Stämme der Arbonier und der Flutländer mit einer Kosmologie, die die Welt als vom Streit zwischen den „Sieben Großen und Herrlichen Göttern“ bestimmt sieht.

Man stellt sich vor, dass diese sieben Hauptgötter in Gestalt der klassischen vier Elemente, Sonne, Mond und einem universellen schlichtenden, alles miteinander Verbindenden weiteren Element unmittelbar erfahrbar sind. Die Gemeinschaft der Sieben nennt man auch das Riacom-mon (der Name jeder Gottheit beginnt mit der Vorsilbe „Ria“); dieser Begriff impliziert zugleich immer auch die Gesamtheit alles Seienden, denn „Alles was ist, ist in Den Sieben und es ist nichts außer Ihnen“.

Neben den sieben Hauptgöttern wird auch eine unsystematische Fülle von Halb- und Nebengöt-tern, Heiligen, Ahnen- und Naturgeistern verehrt. Auch Versatzstücke anderer Religionen oder fremde Göttervorstellungen werden gelegentlich als Heilige oder Schutzgeister in den eigenen Kulthandlungen untergebracht. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Verehrung der eigenen Ahnen, die das persönliche Schicksal entscheidend mitbestimmen: Gute Ahnen bringen Glück im Leben und für die Sippe. Belohnung und Bestrafung gibt es nicht erst im Jenseits und es existiert spirituelle “Sippenhaft”. So fallen eigene Taten – im Guten wie im Schlechten – auch auf Ver-wandte oder Nachkommen zurück. Und weil man an die Wiedergeburt der potentiell unsterbli-chen Seele in einem nächsten Leben glaubt, kann man durchaus selber ein solcher Nachkomme sein. Es sind also nicht jenseitige Höllenqualen und paradiesische Belohnungen nach dem Tod, die das Verhältnis zu den Schicksalsmächten bestimmen, sondern die Angst vor Unglück und die Hoffnung auf Glück im Diesseits. Ahnenkult und religiöse Riten sorgen dafür, dass das Glück ge-wogen und das Unglück fern bleibt.

Die zentralen Forderungen der Glaubenslehre an die Gläubigen bestehen darin, dem Neid zu wiederstehen und dankbar für das zu sein, was dem Einzelnen vom Schicksal beschieden wurde, statt nach mehr zu streben. Das Schlechte stellt man sich zumeist nicht als antagonistische Kraft zum Guten vor, sondern als Mangel an Gerechtigkeit und Harmonie. Um nach der "Harmonie der Seele" zu streben, gibt es „die Sieben Pfade zur Tagnacht“ und ein Tugendsystem aus 14 entgegengesetzten, den Göttern zugeordneten Tugenden, zwischen denen man "den gerechten Ausgleich" finden soll.

Der Klerus in seiner heutigen Form ist eine sehr junge Institution. Ein Großteil des spirituellen Lebens basiert auf den alten mündlichen Überlieferungen. Erst vor ein bis zwei Generationen entwickelte sich eine systematische Ausbildung des betenden Standes und eine Glaubenslehre auf schriftlicher Basis. Sippenoberhäupter, Hexen und die wichtigsten politischen Anführer haben sich eine große Bedeutung im religiösen Leben Trigardons bewahrt.

Zur Priesterin oder zum Priester berufen zu sein heißt, dem Gemeinwohl zu dienen. Ihre großen und kleinen Tempel und Klöster gelten als so etwas wie „öffentliche Einrichtungen“. Diese sind im Verlauf des letzten halben Jahrhunderts so bedeutend geworden, dass niemand sich mehr vorstellen kann, wie das Reich ohne die Schreibstuben der gelehrten Brüder und Schwestern noch funktionieren könnte. Das verschafft der Geistlichkeit einen gewissen politischen Einfluss im jeweils eigenen Reichsteil und macht die Siebenfaltigkeit zur wichtigsten verbindenden Klammer von Marsianes und Emendons Reich.

Den meisten Geistlichen ist die Ausübung des Kriegshandwerks streng verboten. Nur die Cirkater sind von diesem Verbot ausgenommen. Die Heilige Schrift erlegt ihnen auf, die Priester zu schüt-zen und die göttergewollte Ordnung unter den Menschen zu bewahren. Seit einiger Zeit treten arbonische und flutländische Stammesoberhäupter als Cirkater auf. Denn die Geistlichen und ihre Einrichtungen sind zum wichtigsten Symbol des Gemeinwesens geworden und wer als Be-schützer der Geistlichen auftreten kann, gilt als Oberhaupt des Gemeinwesens. Als Meister der Bruderschaft des Heiligen Danason, dem einzigen Cirkaterorden Trigardons, ist der Hochfürst hier keine Ausnahme. Eine nennenswerte Anzahl Ritter und Reiter mit besonders frommem Le-benswandel gehören dieser straff geführten Gemeinschaft an, viele von ihnen haben die Cirka-terweihe empfangen.

Die geweihten Priester sind auf den Kult jeweils einer Hauptgottheit spezialisiert. Mönche, Non-nen, Eidschwestern und -Brüder können auf den Kult von nur einer Hauptgottheit spezialisiert sein, müssen aber nicht. Das hängt von Ordensregel, Heimatkloster, Alltagsfunktion usw. ab. Gleiches gilt für den bewaffneten Klerus, die Cirkater, die immer auch auf den Riamodankult spezialisiert sind. Alle Nebengötter, Heiligen und namhaften Ahnen haben Kulte ohne eigene Priesterschaft, die durch die anderen Priester, die Sippenoberhäupter, Kundige und auch Laien ausgeübt werden.

Die Hauptgötter der Siebenfaltigkeit sind:

• Riasion – Gott der Sonne, der Wahrheit, der Ehre und des Wohlstands

• Riasina – Göttin des Mondes, des Wissens, der Schönheit und der Künste

• Riamodan – Gott des Feuers, der Leidenschaft, des Krieges und der Dichtkunst

• Riaranjoscha – Göttin des Wassers, der Weisheit, der Heilung und der verstreichenden Zeit

• Riaplot – Gott der Erde, der Demut, der Fruchtbarkeit und der Arbeit

• Riadugora – Göttin der Winde, des Todes, des Schlafes und der Vergebung

• Riason – Gott der Dämmerung, der Gerechtigkeit, des Verstandes und der messbaren Zeit

Die in Trigardon bekanntesten Nebengötter sind:

• Arbo – Flussgott des wichtigsten trigardonischen Flusses, Gott der Pferde und der Frucht-barkeit, Patron der Bogenschützen

• Jardo und Evoerr – Weltumkreisende göttliche Schlangen, Personifikationen von Winter und Sommer, Symbol der Ordnung und unerfüllbarer Liebe

• Dorec – Gott der Wald- und Steppenbrände, des Krieges und der Fruchtbarkeit

• Casyrga – Sturm- und Rachegöttin

• Die Himmlischen Hunde – Unzertrennliche Zwillingsgeister, Personifikationen von Blitz und Donner, Lehrer der Kriegskunst, Götterboten

• Die Nebelgeister – Begleiter der Ahnengeister, Regenbringer, Überbringer von Weisheit und Wahn, Götterboten

• Der Traumbringer – Riadugoras Rabe, Begleiter der Ahnengeister, Götterbote

• Die Vier Winde – Riadugoras Statthalter in den vier Himmelsrichtungen, wichtigste Be-gleiter der Ahnengeister, Götterboten

Die im arbonischen Reichsteil wichtigsten Heiligen sind:

• Ischan und Natan – Als “Weltväter” Urahnen der Stämme. Ischan ist Patron der Jäger, Krieger und Schmiede, Natan ist Patron der Bauern, Heiler und Gelehrten

• Caroman, Danason und Gysmund – Patrone der Krieger, Herrscher und Richter

• Timor – Patron der Beständigen, Tapferen und Demütigen

• Elea – Patronin der Gehorsamen und Lernenden

• Canuphyra und Phejana – Priesterliche Märtyrerinnen, Patroninnen der Lehrenden, Vor-bilder der Versöhnung zwischen den Stämmen

• Denubys – Priesterlicher Märtyrer, Beschützer vor bösen Geistern und vor den Lebenden Toten

• Cajetan – Patron der Reisenden, Krieger und Händler

Die bekannteste Version der Sieben Pfade zur Tagnacht lautet:

• "Erlange Vergebung auf deinem letzten Pfad. Denn siehe: Schuld und Schande sind der Unterwelt fremd. So wie du sie nur unbefleckt betreten darfst, nimmst du von dort nichts mit dir, wenn du geboren wirst."

• "Gedenke der Ahnen, denn ihr Schicksal offenbart den Göttlichen Pfad. Siehe: Die Brücke zur Zukunft heißt Vergangenheit."

• "Erkenne Die Götter und preise Ihre Namen. Siehe: Jeder Gott kann deiner Verehrung, du aber keines Gottes Gunst entbehren."

• „Strebe nach der Harmonie der Seele, anstatt Den Göttern nachzueifern. Denn siehe: So du auch eins mit Ihnen bist, so sind Sie doch verschieden von dir.“

• "Entsage dem Neid, denn er führt zu Zwietracht. Bekämpfe das Unrecht, denn es führt zu Neid. Lasse ab vom Müßiggang, denn er ist aller Laster Anfang. Siehe: Die Gunst ist mit den Dankenden, nicht mit den Fordernden."

• "Meide die Verstoßenen und steche die Bestien. Behüte deine Kinder vor ihnen, denn siehe: Deine Kinder sind alles, was von deinen Taten übrig bleibt. Bleibst du aber kinder-los, dann führe das demütige Leben der Verstoßenen."

• „Achte die Gesetze, denn sie geben dem Recht Bestand. Denn siehe: Gesetze zwingen ei-nen Jeden zu gerechten Taten und Gerechtigkeit unter den Menschen lässt die Harmonie der Seelen erklingen.“

Eine weit verbreitete Variante der Lehre von den Vierzehn Tugenden ist:

• Wahrheit und Ehre sind Riasion zugeordnet. Der Mangel an diesen Tugenden führt zur Sünde der Lüge. Falsch verstandene Wahrheitsliebe kann aber auch zur Dummheit füh-ren, wovor die Ehre bewahrt.

• Wissen und Treue sind Riasina zugeordnet. Der Mangel an diesen Tugenden führt zur Sünde der Dummheit. Falsch verstandener Wissensdrang kann aber auch zur Lüge führen, wovor die Treue bewahrt.

• Weisheit und Mut sind Riaranjoscha zugeordnet. Der Mangel an diesen Tugenden führt zur Sünde der Feigheit. Falsch verstandene Weisheit kann aber auch zur Trägheit führen, wovor der Mut bewahrt.

• Leidenschaft und Sittsamkeit sind Riamodan zugeordnet. Der Mangel an diesen Tugen-den führt zur Sünde der Trägheit. Falsch verstandene Leidenschaft kann aber auch zur Feigheit führen, wovor die Sittsamkeit bewahrt.

• Demut und Beständigkeit sind Riaplot zugeordnet. Der Mangel an diesen Tugenden führt zum Neid, dem sogenannten „Vater aller Sünden“. Falsch verstanden können diese Tugenden aber auch zur Unbarmherzigkeit führen, wovor die Vergebung bewahrt.

• Vergebung und Großzügigkeit sind Riadugora zugeordnet. Der Mangel an diesen Tugen-den führt zur Sünde der Unbarmherzigkeit. Falsch verstanden können diese Tugenden aber auch zum Neid führen, wovor die Demut bewahrt.

• Gerechtigkeit und Besonnenheit sind Riason zugeordnet. Der Mangel an diesen Tugen-den führt zur Vermessenheit, der sogenannten „Königin der Sünden“. Diese Tugenden weisen allen anderen Tugenden ihren angemessenen Platz zu.


Magie und Geisterwelt

Strebe nach der Harmonie der Seele, anstatt Den Göttern nachzueifern. Denn siehe: So du auch eins mit Ihnen bist, so sind Sie doch verschieden von dir.

Lebenserfahrung und Überlieferung zeigen den Trigardonen, dass so gut wie alle nennenswerten Natur- und Kulturerscheinungen, seien es Bäche oder Bäume, Berge, Täler, das heimatliche Herdfeuer, Burgen, Schiffe und dergleichen mehr, von Geistern beseelt sind. Alle Erscheinungen und Effekte der sichtbaren Welt sind auf ihr Handeln zurückzuführen, auch wenn ungeschulte Sinne das nicht immer wahrnehmen müssen. Der innere Zusammenhang von Wirkung und Ursache, Schöpfungen und Schaffenden, Wahrnehmung und Erkenntnis, lässt sich oft nur durch den Blick auf das Unsichtbare erschließen; durch den Austausch mit den Wesen der Geisterwelt.

„Unsichtbare Welt“, „Geisterwelt“, der exotische „locus astrorum“ und all diese anderen Worthülsen vermitteln den Eindruck, als ob es sich dabei um einen vom Leben der Menschen weit entfernten Ort handeln würde. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Geisterwelt ist den Geschöpfen aus Fleisch und Blut buchstäblich so nah wie die Atemluft. Sie ist die Wahrnehmungsebene des Geheimnisvollen, verbindet Erde, Himmel und Unterwelt und wird von zahllosen freundlich gesonnenen, zornigen oder gleichgültigen Natur-, Elementar-, Ahnen- und Schutzgeistern bevölkert. Diese Wesen sind mehr oder weniger vieldeutig als Kinder und Kindeskinder der sieben Hauptgötter identifizierbar, sodass die Kommunikation mit ihnen häufig auch deren göttliche Eltern anspricht und somit Gebeten ähneln kann.

Aus diesem Grund gibt es für Anhänger der Siebenfaltigkeit keine trennscharfe Grenze zwischen religiösen und magischen Praktiken. Obgleich sie für die Wissenden rätselhaft und für die Un-kundigen unergründlich bleibt, gehen die Menschen recht selbstverständlich mit der Geisterwelt um. Denn mögen die Geister auch darauf festgelegt sein, gemäß ihrer Natur zu handeln, so ha-ben sie dennoch Spielräume und sind innerhalb eines gewissen Rahmens von Sterblichen mani-pulierbar. So kann der Geist im Herdfeuer sowohl Suppe kochen, als auch das Haus niederbren-nen. Es lohnt sich also nicht nur, einen Eimer Löschwasser zu haben, sondern auch den Feuergeist mit Opfergabe und Gebet zu nützlichem Verhalten zu bewegen. Und selbst ein Tischler murmelt seine Zaubersprüche, um die Baumgeister in seinen Brettern davon zu überzeugen, die Identität eines Tisches anzunehmen.

In dieser Weltsicht haben die „Kundigen“, in den Belangen der Geisterwelt besonders begabte und geschulte Personen, große spirituelle Bedeutung. Die Legenden weisen ihnen gefährliche und mühsame Aufgaben im Kampf gegen Verderbnis und pervertierte Mächte zu. Demnach müs-sen sie bereit sein, Feuer mit Feuer zu bekämpfen ohne dabei vom Pfad seelischer Harmonie abzukommen.

Der Kundigenbegriff ist allerdings sehr weit gefasst und war als eigener Stand bis vor wenigen Jahrzehnten kaum von der Geistlichkeit abzugrenzen. Heute bezeichnen Arbonier ihre Kundigen vorzugsweise als „Hexen“ und „Hexer“, bei den Flutländern heißen sie „Schamanen“, Manche nennen sie auch exotisch „Magier“. Sogar Heiler oder eben speziell dazu ausgebildete Geistliche können „kundig“ sein. Ihre Magietraditionen sind vielfältig, doch egal ob sie die Geister um-schmeicheln, verführen oder mit ihren wahren Namen bezwingen, sie setzen sich ständig mit verschiedenen Schicksalsmächten auseinander.

In Trigardon haben sich zwei Lehren als historisch besonders einflussreich erwiesen: Die freima-gische riasinatische Lehre und der Weg der („alten/wahren“) Natanstöchter und Natanssöhne.

Die Natanstöchter und Natanssöhne geben ihr Wissen seit Urzeiten in eremitischen Meister-Schüler-Beziehungen weiter. Sie sind zumeist edlen arbonischen Geblüts und die Wurzeln ihres Selbstverständnisses reichen zurück bis zu Weltvater Natan, dem mythischen Stammvater der Arbonier, der als erster das Wirken der Götter in der Welt verstand und sich nutzbar machen konnte. Man sagt ihnen nach, sich wenigstens teilweise an ihre früheren Leben erinnern zu können und auf diese Weise uralte Geheimnisse unverfälscht über die Zeiten gerettet zu haben. Vereinzelt waren sie schon zu längst vergessenen Zeiten fester Bestandteil der Ahnenkulte.

Doch nicht alle Natanssöhne und Natanstöchter geben sich offen zu erkennen, obwohl es heißt, dass sie sich untereinander stets finden könnten, selbst wenn sie sich nie zuvor begegnet seien. Ihre zurückgezogenen Lebensgewohnheiten erwiesen sich in jüngerer Zeit als sehr nützlich, als die Riasinaten mit mehr oder weniger rücksichtslosen Mitteln versuchten, möglichst alle Kundi-gen des Landes an sich zu binden.

Die freimagische riasinatische Lehre war ebenso eine Geheimlehre wie der Weg der Natanstöch-ter und -Söhne. Anders als dieser entstand sie aber erst vor etwa dreißig Jahren und war aufs Engste mit dem Aufstieg des trigardonischen Klosterwesens verbunden. Riasina (die Göttin des Wissens) galt den Riasinaten als Wesen, das in ihrem Konkurrenzkampf mit den anderen Göttern die Geheimnisse der Zauberkunst bereitwillig mit Sterblichen teilt.

In dieser Denkweise stehen weniger Götter und Geister im Zentrum, als vielmehr die Kräfte, die sie wirken bzw. durch die sie erst hervorgebracht werden. Die Magie wird nicht als Effekt von Geisterhandlungen, sondern als selbstständige Kraft gesehen, auf die letztlich alle anderen Kräfte zurückzuführen sind. Dieser Magieauffassung begegnet man in den Nachbarländern recht häufig, von daher stellte sie auch in Trigardon nichts völlig Neues dar. Doch in letzter Konsequenz wer-den die sieben Hauptgötter in der riasinatischen Philosophie zu endlichen Wesen, die ihre Macht nur durch ihre Stellung innerhalb des Seienden und ihr enormes magisches Wissen erhalten. Dies steht im Widerspruch zur heutigen philosophischen Lehrmeinung, welche die sieben Hauptgötter im Unterschied zu allen anderen Geistern und Göttern nicht als endliche, sondern als ewige We-sen begreift.

Die freimagische riasinatische Lehre ist nicht vom religiösen Orden der Riasinaten und der ihn umgebenden Sekte, seinem berühmten Kloster und dessen einst reichen Gütern im Dunklen Wald zu trennen. Den Höhepunkt seines Einflusses erreichte der Orden während der Kanzlerherrschaft (einer Phase, in der das Reich keinen Hochfürsten hatte). Über mehr als zehn Jahre hinweg dominierte er sowohl die Ausbildung der Kundigen als auch den Kult der Riasina. Doch inzwischen ist er politisch bedeutungslos geworden. Skandale um von ihren Anführern begangene Akte des Hochverrats und Schwarzer Künste zerstörten das Ansehen der Riasinaten nachhaltig. Die Prominenz ihrer verbliebenen Anhänger befindet sich im Exil.


Mythos und Geschichte

"Gedenke der Ahnen, denn ihr Schicksal offenbart den Göttlichen Pfad. Siehe: Die Brücke zur Zukunft heißt Vergangenheit."

Das Werden der Völker

Trigardonen neigen dazu, die in den Sagen ihrer Vorfahren beschriebenen Ereignisse für historische Fakten zu halten. Daher beginnt die Weltgeschichte für sie mit den mythischen Vorgängen, die den Zyklus von Tag und Nacht in Gang setzten, dem „Anbeginn der Zeit“. Der zuvor gewesene paradiesische Ursprungszustand, die „immerwährende Tagnacht“, wurde durch Streit unter den Menschen, der schließlich auf die Götter übergriff, unterbrochen. Dieser Zustand wird unweigerlich eines Tages wiederkehren. Einzig, ob die Menschheit Teil dieser vollkommenen Harmonie sein kann, bzw. welche schrecklichen Strafen sie auf dem Weg dahin noch auf sich ziehen mag, ist offen.

Im Zwist der Urzeit sehen Arbonier und Flutländer ihre Wurzeln: Die beiden „Weltväter“ erkannten als erste Menschen das Wirken der Götter. Ischan lehrte seine Anhänger die Jagd und die Schmiedekunst, sein Bruder Natan lehrte seine Schüler die Nutzung der Pflanzen und den Umgang mit der Geisterwelt. Der größere Reichtum von Natans Anhängern führte zu Neid und Zwist zwischen den Brüdern, die sich im Zweikampf gegenseitig zu Tode brachten. Ihre Anhänger setzten den Streit immer wieder fort, auch wenn sie sich über die Generationen sicherlich auch vermischten und zwischenzeitlich die Welt bevölkerten. Mit den Jahren wurden der „Stamm des Ischan“ zu den Flutländern und der „Stamm des Natan“ zu den Arboniern.

Der Streit der Weltväter veränderte aber auch das Verhältnis zwischen Menschen und Göttern: Riasion (die Sonne) und Riasina (der Mond), sowie Riaranjoscha (das Wasser) und Riamodan (das Feuer) zerstritten sich, weil sie jeweils einen anderen der zänkischen Brüder begünstigt hatten. Da schickte der Sohn der Himmelsgötter, der gerechte Riason (der Gott der Dämmerung), seine Mutter Riasina in die Nacht und seinen Vater Riasion in den Tag. Riamodan und Riaranjoscha wies er ebenfalls verschiedene Herrschaftsräume zu. Riaplot (die Erde) zürnte den Menschen wegen ihrer Zerstörungswut. Seit dem straft er sie mit Arbeit, um sie Demut zu lehren, anstatt ihnen die Früchte der Erde vorbehaltlos zu schenken.

Doch ehe die Menschen Einsicht zeigten, begingen sie schlimmeren Frevel: Botan, ein Nachkomme der Weltväter, der ihr Wissen über die göttlichen Mächte besaß, schwang sich zum Herrn der Sterblichen auf. Dabei gewann er Riamodan als Verbündeten, der ihm viele Geheimnisse der Götter verriet und im Gegenzug die Dienste der Menschen bekam, was ihm im Streit mit den anderen Göttern einen kurzfristigen Vorteil verschaffte. Botan missbrauchte die göttliche Kraft, Leben zu formen. Er band Lebende und Tote sowie viele Wesen der Geisterwelt mit Zauberei an seinen Willen, schuf perverse Dämonen und Menschtiere und richtete ein Blutbad unter Jenen an, die sich ihm nicht unterwerfen wollten, bis kaum noch Menschen lebten. Die anderen Götter aber erbarmten sich der Überlebenden, gewannen Botans Schüler für sich, verrieten ihnen seine Geheimnisse und bewirkten, dass er mit der eigenen Macht vernichtet wurde.

Als Botan besiegt war, wurde Riamodan in die Unterwelt, das Reich der allverzeihenden Riadugora (der Wind- und Todesgöttin) verbannt. Gemeinsam mit ihm verbannten die Götter Riasina, weil sie im Schiedsgericht der Götter für Riamodan Partei ergriffen hatte. Spätestens seit dieser Zeit kann man im Nachthimmel die Unterwelt erblicken, wie sie von den Sternen, den Herdfeuern der Ahnen, erleuchtet wird.

Erst jetzt entstanden nach siebenfaltiger Vorstellung die Zwerge und Hobbit. Die Götter schufen sie aus den Kleinsten der Menschen, die Botans Streben entgangen waren, um seine Anhänger zu vernichten, die noch immer die Menschheit knechteten.

Diese Überlieferung deckt sich insofern mit der des Kleinen Volkes in Trigardon, als dass es seinen Ursprung ebenfalls in einem Befreiungskampf gegen die Mächte der Verderbnis sieht, auch wenn sie sich die Weltväter natürlich eher wie Zwerge, nicht wie Menschen vorstellen. Das Kleine Volk genießt bei den Arboniern ungebrochenen Respekt für die Taten seiner Ahnen in der Vorzeit. Doch unter den Flutländern sind Stimmen laut geworden, nach denen die Zwerge und Hobbit damals ihre Aufgabe im Schicksalslauf erfüllten und nun nicht länger gebraucht würden.

Die bis hierhin beschriebenen Ereignisse werden in Trigardon nicht ernsthaft datiert. Spekulationen, ob sie nun dreitausend oder dreißigtausend Jahre her sind, bleiben bedeutungslos. Es sind die Mythen, mit deren Hilfe erklärt wird, warum die Welt ist, wie sie ist. In einem fließenden Übergang setzen erst danach die Überlieferungen der Ahnenkulte einzelner Sippen und die frühesten, blassen Erinnerungen des kollektiven Gedächtnisses ein. Zumeist beginnen die verschiedenen Erzähltraditionen mit göttlichem Rat oder Befehl, oft vermittelt durch legendäre Lehrergestalten und heroische Stammhalter/innen. Die wichtigsten (weil für die Gesamtheit der Gläubigen verbindlichen) dieser Anweisungen haben es in die in jüngerer Zeit entstandene Heilige Schrift geschafft. Dieser Text beschränkt sich aber in seinen erzählenden Anteilen nur auf das unbedingt Notwendige und hat nicht den Anspruch, den reichen Sagenschatz der Flutländer und Arbonier zu verschriftlichen.

Timor, der König des „Volkes der kriegerischen Bauern“ (ein inzwischen verschwundener arbonischer Teilstamm) wird immerhin namentlich erwähnt. Im „großen Gleichnis“ erklärt er den Menschen, wie sie fromm leben sollen: In dem sie für Glück danken, anstatt ihr Unglück zu beklagen, welches sie durch Freveltaten selbst über sich brachten.

Beim „Gesetz der Verstoßenen“ kennt die mündliche Überlieferung unterschiedliche menschliche Vermittler, die Heilige Schrift legt sich auf keinen bestimmten fest. Hier verfügen die Götter, dass die Menschen nicht mehr mit den Unfruchtbaren unter ihnen schlafen sollen, sondern sie aus ihrer Gemeinschaft verstoßen müssen, um ihre Gesunden von der Kinderlosigkeit zu heilen. Die Unfruchtbaren sollten in die Wälder gehen und sich verstecken. Zum Ausgleich für ihre Kinderarmut schenkten ihnen die Götter ihren Schutz und wundersame Langlebigkeit. So entstanden die Elben, die man auch „die Verstoßenen“ nennt.

In der Heiligen Schrift geben die Götter diese Ratschläge und Anweisungen in schlimmen Zeiten, in denen es nur wenige Menschen gibt, die sich mühsam gegen bedrohliche Menschtiere behaupten müssen und dabei stets in Gefahr sind, vom Pfad der Tugend abzukommen. In diesen Rahmenbedingungen sind auch viele der älteren Heldensagen angesiedelt. Sie beschreiben eine Epoche grausiger Orkkriege.

Das alte Gar

Von den Geschichten über diese Ära sind die Sagen um den Heiligen Danason und die Entstehung des Königreichs von Altgar am einflussreichsten. Man glaubt heute sogar, ein noch aus dieser Zeit selbst stammendes schriftliches Zeugnis in einem jüngst geschehenen Wunderereignis offenbart bekommen zu haben. Die „Geschichte vom Leben und den Taten des Heiligen Danason“ entspricht im Wesentlichen der mündlichen Überlieferung, hebt aber den Titelhelden als Heilsbringer mit halbgöttlichem Blut ganz besonders hervor. In diesem Sagenkreis formen die Königinnen und Könige aus dem Geschlecht der Phadra (einem – ebenso wie die kriegerischen Bauern von Timors Volk – inzwischen verschwundenen arbonischen Teilstamm) ein erfolgreiches Kriegsbündnis gegen die Menschtiere. Es besteht aus vielen kleinen arbonischen, flutländischen, zwergischen und sonstigen (sogenannten „barbarischen“) Königreichen und Volksgruppen in einer Region, die sich über Teile der heutigen Länder Trigardon, Anrea und Winningen erstreckt. Am Ende von Danasons Wirken wird es zum „goldenen Königreich von Gar“ vereinigt.

Der endgültige Sieg über die Orks wurde aber wohl erst im Bund mit den Verstoßenen errungen. Diese Zusammenarbeit stand jedoch unter keinem guten Stern. Es heißt, die Götter hätten das Zweckbündnis nur widerstrebend gebilligt, da sie eigentlich keinen Kontakt zwischen Menschen und Elben wünschen. Nach der Vernichtung der Menschtiere kam es zum befürchteten Zwist zwischen den Völkern. Die Schrift über den Heiligen Danason weiß von hochmütigen Elbenfürsten und gebrochenen Verträgen zu berichten, in einer Fülle anderer Erzählungen geht es um Kinderraub durch die Verstoßenen, der Heiligen Schrift reicht der Bruch des Gesetzes der Verstoßenen bei einer Siegesfeier als Erklärung für den Streit völlig aus. Man kennt auch ein paar bruchstückhafte elbische Überlieferungen, die ebenfalls von unerwünschtem sexuellen Umgang mit Menschen berichten.

Die Götter hatten eine klare Antwort darauf, wie die Schande zu tilgen sei: Sie wiesen den frommsten Schmied an, eine heilige Klinge zu schmieden und sie dem frommsten Krieger (der je nach Variante Danason gewesen ist oder namenlos bleibt) zu übergeben. Ihm sollten die Menschen folgen, um die Elben zur Unterwerfung unter das Gesetz der Verstoßenen und zur Verehrung der Sieben zu zwingen – oder sie mit dem Schwert zu richten. Der darauf folgende Krieg sollte grausam und mühselig werden, den Menschen schreckliche Opfer abverlangen und ihnen kaum weltlichen Nutzen bringen, war er doch ebenso für sie als Strafe gedacht. Dennoch blieben sie vorwiegend siegreich im Kampf gegen die Verstoßenen.

Man weiß erstaunlich wenig über das weitere Schicksal des Königreichs von Altgar.

Die meisten Erzählungen beschreiben es als einen idealen Staat des Rechts und der Tugend, ohne viele Details zu verraten. Schon bei den tradierten Königs- und Königinnenlisten ist nicht immer bekannt, ob es sich um Gesamtherrscher oder Potentaten kleinerer Teilreiche handelt, in die das Reich offenbar nach einer Weile zerfiel.

Welche entscheidenden Gründe zu seinem Untergang führten und ob er sich eher als langsamer Verfall oder als plötzlicher Zusammenbruch entfaltete, ist unklar. Die Heilige Schrift berichtet davon, dass inmitten von Wohlstand und Sicherheit der Müßiggang zum Sittenverfall führte. Dies gab schlechten Menschen Gelegenheit, „Hass zu säen, um Macht zu ernten“, was einen neuerlichen Krieg zwischen Ischans und Natans Stamm herbeiführte. In Flutland erzählt man sich Geschichten, nach denen die Arbonier aus Gier und Bosheit alle Flutländer aus dem Königreich vertrieben hätten. Kundige berichten auch von Flüchen, die verschiedene Angehörige des Königsgeschlechts aufgrund ihres Hochmutes auf sich gezogen hätten, was zu Kinderarmut, komplizierten Erbfolgeregelungen und schließlich zu Thronkämpfen führte.

Die Geschichtsbilder der südlichen und südwestlichen Nachbarregionen Trigardons, heute die Länder Anrea und Winningen, weichen von diesen rein moralischen Erklärungsmustern ab. Ins-besondere in Winningen, aber auch im Süden Anreas hat die Bedrohung durch Orks nie wirklich aufgehört. Das Gedenken an ein mächtiges Vorgängerkönigreich, das die Menschen von dieser Plage erlöste, spielt dort keine besondere Rolle. Doch hat man Erinnerungen an durch böse Geister ausgelöste Katastrophen bewahrt, die ungefähr zu der Zeit stattfanden, in der Altgar zerfallen sein muss. In den meisten Varianten ist das etwa vier bis sechs Jahrhunderte her.

Nicht nur die Zerstörungen im Zuge endloser Kriege und das Abreißen der Schriftkultur in Arbon und Flutland legten einen Schleier von Unwissen über das goldene Zeitalter. Späteren Generationen wurde der Zugang zur Vergangenheit auch dadurch erschwert, dass die Vorfahren in der heute so genannten „vergessenen Sprache“ sprachen und schrieben.

Sie ist älteren zwergischen Dialekten zwar nicht unähnlich, wird vom Kleinen Volk aber nicht mehr verstanden. Auch die Elben scheinen ihr einige Vokabeln entlehnt zu haben. Die Menschen verwenden sie fast nur noch in alten Namen (z. B. „Dugor Harog“ = „Berg/ Gebirge des Todes“, „Tesch“ = „Pferdeherr/ Reiterkrieger“, „Ystjar“ = „Mutter“, „Dun/ Don“ = „Haus/ Land“, „Gar“ = „Gedanke/ Geist/ Gesetz“ oder „Ria“ als Kennzeichnung des Göttlichen). Ganze Sätze kann niemand daraus bilden. Warum es innerhalb weniger Jahrhunderte zu einem so umfassenden Sprachwandel kam, weiß zwar niemand, ist aber für die Trigardonen auch nicht weiter erklärungsbedürftig. Sprachen ändern sich eben – genauso wie Landschaften und das Wetter.

Der letzte große Stammeskrieg

Die letzten erzählenden Verse der Heiligen Schrift erscheinen zugleich wie eine Ermahnung an gerechtere Zeiten und als programmatischer Zukunftsentwurf. Im Angesicht der anbrechenden finsteren Epoche geben die Götter den Stämmen von Ischan und Natan ein letztes Mal Gesetze für ein gerechtes Zusammenleben. Dass die Sterblichen dafür wieder einmal taub blieben, muss im Text nicht mehr eigens erwähnt werden. Erst Generationen später, als die Heilige Schrift verfasst wurde, sollten sich spirituelle Autoritäten wieder erfolgreich auf diese göttlichen Gebote berufen. Zuvor aber kam es zu einer Abfolge von bewaffneten Auseinandersetzungen unterschiedlicher Reichweite, Intensität und Dauer, die man heute als „den letzten großen Stammeskrieg“ zusammenfasst.

Mit einigem Recht sieht man darin die blutige Kinderstube der Stämme der Arbonier und Flutländer. Denn einerseits sind die heute Alten durchweg in ihrer Kindheit von den damaligen traumatischen Lebensumständen geprägt worden (deren Eltern wiederum nie etwas anderes hatten kennenlernen dürfen), andererseits handelt es sich um die Epoche, in der sich die gegenwärtigen kollektiven Identitäten überhaupt erst formten.

Die Religion will es zwar so, dass Stämme des Ischan und des Natan schon seit je her vorhanden gewesen sind und ihre Friedensunwilligkeit mit den schlechten Seiten der Menschennatur zu erklären ist. Doch ihre heutigen Sitten und Rechtsordnungen, die sie schließlich zu nur noch zwei eindeutig voneinander unterscheidbaren Gruppen machten, erhielten sie wohl erst im letzten großen Stammeskrieg. Man kann sogar annehmen, dass sie sich erst „Arbonier“ und „Flutländer“ nannten, nachdem die Bewohner des Längstals von Arbon und des flutländischen Hochmoores erfolgreich zu militärischen Blöcken geformt worden waren. Ungebrochene Kontinuität der Überlieferung setzt jedenfalls erst in einer historischen Situation ein, in der es keiner Begründung mehr für die Feindschaft zwischen ihnen bedurfte.

Damals fand zwar keine Geschichtsschreibung statt, doch es wurden lange Abfolgen von Lobreden auf die verstorbenen Sippenoberhäupter tradiert (um die 20 bei den ältesten arbonischen Häusern), von denen viele später zum Stoff für Heldenlieder wurden. Daneben ist man davon überzeugt, in bestimmten Ritualen unmittelbar mit den Geistern der Ahnen kommunizieren und auf ausschnitthafte Erinnerungen aus den Vorleben von Hexen und Schamanen zurückgreifen zu können. Und hinter dem Bild idealisierter (eigener) und verdammter (gegnerischer) Führer, hinter den Waffentaten, Überfällen, Verschleppungen, Versklavungen und gelegentlichen Massenmorden werden im Ahnengedenken auch die verwischten Spuren langfristiger Veränderungsprozesse sichtbar.

So scheinen sich viele kleinere Sippen (sprichwörtliche 49) der Flutländer unter strategischem Druck zu 14 Großverbänden zusammengeschlossen zu haben. Obwohl die Kriegsherren den gemeinsamen Oberbefehlshaber durch Wahl bestimmten, handelte es sich dabei fast immer um einen Ehemann, Sohn oder Bruder des Sippenoberhauptes der anh Crul. Zugleich entwickelte sich in Arbon ein System von Heerfolge- und Tributverpflichtungen, ohne dass die Sippenverbände auf Heeresstärke anwachsen mussten. Die Führung lag bei den Familien, die sich als militärisch besonders leistungsfähig erwiesen. Wer Pferde für den Krieg züchten, schlagkräftiges Gefolge versorgen und Waffenschmieden betreiben konnte, behauptete damit den Status der eigenen Verwandten in der arbonischen Aristokratie.

Die drei erfolgreichsten dieser Sippen, die anh Rhack, anh Argayne und anh Garesch, die ihre Abstammung noch auf das Geschlecht Phadras zurückführen, machten die Frage des Oberbefehls in der Regel unter sich aus. Immer häufiger wählte man jedoch den jeweils ranghöchsten Kriegsherrn der anh Rhack, deren Stammsitz die dem Flutland am nächsten gelegene Festung (später „Burg Bärenfels“ genannt) war. In den letzten Jahrzehnten des Krieges galt der Heerführer der Arbonier dann schließlich als „edelster Sohn Natans“, dessen Wahl durch die Edlen fast nur noch Formsache war.

Indes waren Flutländer und Arbonier nicht die einzigen Kriegsparteien geblieben. Auch die „Alten Reiche“ der Elben und des Kleinen Volkes hatten ihren Anteil daran, dass der Konflikt immer wieder neu entfacht wurde. Die Sicht der Zwerge auf den Krieg ist bei den Menschen recht gut bekannt, gibt es doch auch heute noch einige Langbärte, die auf gute zweihundert Jahre eigener Erinnerungen zurückblicken können. Sie wissen davon zu berichten, dass ihr Volk im Dugor Harog und rund um das flutländische Hochmoor unzugängliche Enklaven besaß, in denen die politischen Angelegenheiten selbstständig geregelt wurden. Der Zwergenkönig des Hochlandes besaß damals lediglich einen Ehrenvorrang.

Doch sie alle lebten unter den gleichen strategischen Grundbedingungen: So lange Arbonier und Flutländer sich gegenseitig an die Kehle gingen, blieben die Sippen des Kleinen Volkes umworbene Verbündete. Sollte sich aber ein Menschenstamm gegen den anderen durchsetzen, würde dieser auch die Macht besitzen, die Unterwerfung der Zwerge zu fordern. Daher tendierten die Führer des Kleinen Volkes dazu, die jeweils schwächere Partei der Menschen zu unterstützen.

Diese Überlebensstrategie wurde von drei Faktoren begünstigt: Erstens hatten (und haben) die Zwerge und Hobbit des Hochlandes jede Möglichkeit, arbonischen und flutländischen Heeren nach Belieben den Weg ins Gebiet des jeweils anderen zu erlauben oder zu versperren. Zweitens pflegten sie schon früh freundliche Beziehungen zu ihren östlichen Nachbarn, den Altbergern. Bis zu deren Heimat reichte der lange Arm arbonischer und flutländischer Heerführer damals noch nicht. Und drittens verfolgten die Elben im Dunklen Wald gegenüber den Menschen die gleiche Politik.

Ihre Sicht der Dinge ist im heutigen Trigardon weit weniger bekannt als die Überlieferungen des Kleinen Volkes. Man misstraut den Erzählungen der selbstgerechten Verstoßenen, die bei den menschlichen Genealogien gerne mal dutzende von Generationen überspringen und in denen der letzte große Stammeskrieg als kaum mehr denn Gezänk verfeindeter Hirten erscheint, die sich nicht auf Weiderechte einigen können. Zu allem Überfluss weisen diese frechen Geschichten das verbreitete Motiv des Kinderraubes den Stämmen Natans und Ischans zu, die sich angeblich gegenseitig Königskinder stahlen und die Schuld bei den Elben abluden.

Arbonier und Flutländer nehmen heute an, dass das Gesetz der Verstoßenen während des letzten großen Stammeskrieges zusehends in Vergessenheit geriet, bis sich schließlich nur noch das Volk Galadhons, des Elbenfürsten im Taur Kyriad, daran hielt. Nördlich seines Reiches lebten mehrere andere Gruppen von Verstoßenen, die ihm und sich untereinander nicht immer freundlich gegenüber standen, während sie ihre Territorien mit Zauberkünsten, Abschreckung und unbarmherziger Waffengewalt sicherten. Doch auch für sie war es von vitalem Interesse, sich in wechselnden Bündnissen am Krieg der Menschen zu beteiligen und dabei stets Gründe für seine Fortsetzung zu liefern.

Der Heilige Caroman

Folgt man den religiösen Vorstellungen, nach denen es im Kampf zwischen Ischan und Natan natürlicher Weise keinen Sieger geben kann, dann konnte erst göttliches Eingreifen ein Ende des Krieges bewirken.

Dieses Eingreifen begegnet zuerst in Gestalt von zwei Priesterinnen der Riaranjoscha: Canuphyra vom Stamm der Arbonier und Phejana vom Stamm der Flutländer riefen die Anführer der Menschen und Zwerge zum Fest der Freundschaft nach Nordern. Dieses Fest soll zwar schon in den Tagen Altgars dazu gedient haben, Frieden zwischen den Stämmen zu stiften, stellte nun aber etwas grundlegend Neues dar. Nicht nur sollten die Kriegsherren überhaupt zu Friedensgesprächen zusammenkommen. Sie sollten auch im Wettstreit ihrer besten Kämpfer einen Schlichter (den „Dan“) bestimmen, vor dem künftiger Streit unblutig verhandelt werden sollte. Man betrachtet es als Wunderereignis, dass es wirklich zu dieser Versammlung kam, obwohl die Arbonier seit einigen Jahren durchweg Siege errungen hatten. Der Frieden aber wurde damit noch nicht erreicht.

Ferangosch, ein Krieger des Kleinen Volkes, erstritt zum Missfallen der Arbonier und Flutländer den Sieg beim Waffenspiel. Doch um Dan der Stämme zu werden, musste er sein Herz durch drei Fragen der Priester prüfen lassen. Phejana und Canuphyra erkannten ihn für unwürdig. Als das Stammesoberhaupt der Arbonier, Caroman Phadrhack anh Rhack, von dem Ergebnis der Danprüfung erfuhr, fühlte er sich an den Festfrieden nicht mehr gebunden und tötete Ferangosch noch während des nächtlichen Gelages. Als daraufhin Arybor anh Crul, das flutländische Stammesoberhaupt, seine Gefolgsleute zu den Waffen rief, flohen die Sippenoberhäupter des Kleinen Volkes im Schutz der Dunkelheit. Auch wenn alle Seiten schließlich ohne größeres Blutvergießen auseinander gingen, sah es nicht so aus, als ob es zu einem weiteren Fest der Freundschaft kommen würde.

Die Nachwelt beurteilt Caromans Verhalten bis heute unterschiedlich. Eine Minderheit der Gelehrten aus beiden Stämmen vertritt die Ansicht, dass ein Dan, der die Prüfung durch die Priesterschaft nicht besteht, sein Leben verwirkt habe. Sie sehen Ferangoschs Tötung also durch das Urteil von Canuphyra und Phejana legitimiert. Die Mehrheit betont den Frevel, der durch den Bruch des geheiligten Friedens am Fest der Freundschaft begangen worden war, wofür Caroman später mit dem Leben bezahlen sollte. Beliebt ist auch der Versuch, beide Lesarten miteinander zu verbinden, indem man dem arbonischen Heerführer unterstellt, seine unausweichliche Bestrafung willig in Kauf genommen zu haben, um die Schlichtung des Stammeskrieges durch einen unwürdigen Dan zu verhindern. Er stand jedenfalls im Zentrum des nächsten göttlichen Eingriffs in die Geschicke der Sterblichen, weshalb man ihn heute als den „Heiligen Caroman“ verehrt.

Noch auf seinem Heimritt durch das Tejadun wurde er von plötzlich aufziehendem Nebel verschluckt und blieb für ein ganzes Jahr verschwunden. Die Erklärung Canuphyras, die Götter hätten ihn entrückt, zögerte die Wahl eines neuen Stammesoberhauptes nur kurz heraus. Als Arybor in den Wochen danach einige überraschende Siege gegen die Arbonier erstritt, wählten diese gegen den Willen der Sippe Rhack Volcan Sarymor anh Garesch zum neuen Heerführer. Die meisten Zwerge verweigerten nach den Ereignissen vom Fest der Freundschaft beiden Stämmen Waffenhilfe, also nahm Volcan ein Bündnisangebot der Elben dankend an.

In dieser Situation kehrte Caroman mit göttlichem Auftrag und heiligem Reliquienschwert zurück. Man sagt, er habe ein Jahr lang Zwiesprache mit den Göttern gehalten und erkannt, was nötig sei, um die Kinder Ischans und Natans zum Frieden zu bewegen: Zunächst müssten sie das Gesetz der Verstoßenen erneut durchsetzen und damit Jene unterwerfen oder tilgen, die die Stämme entzweiten. Dafür hatte Caroman von Riamodans Dienern die heilige Klinge erhalten, die schon in Danasons Tagen zu diesem Zweck geschmiedet worden war.

Nun fielen viele Arbonier, vor allem die mit der Sippe Rhack besonders verbundenen Häuser sowie die Bewohner des Tejadun, von Volcan ab und wendeten sich wieder Caroman zu. Auch Arybor beschloss, dem einstigen Feind im Kampf gegen die Verstoßenen und ihre Verbündeten beizustehen. Anders als die Elbenkriege der Legenden war dieser Kampf sehr schnell entschieden. Volcan geriet nach ersten Schlachten im Dunklen Wald in Gefangenschaft und tötete sich in einer Geste der Unterwerfung selbst, womit er seiner Sippe spätere Racheakte ersparte. Danach war der Widerstand von Caromans und Arybors Gegnern schnell gebrochen. Doch ehe die Sieger wirklich alle Verstoßenen umbringen konnten, kam es zur Schlichtung am Kreis der Mysterien, einem Ort mächtiger Geister im Herzen des Dunklen Waldes. Mehrere namhafte Kundige unter der Führung von Phadrhack Natan anh Ria handelten freies Geleit für alle Elben aus, die sich in Galadhons Reich flüchten wollten und versprachen, die Übrigen in den Lehren der Sieben zu unterweisen sowie die Einhaltung des Gesetzes der Verstoßenen zu achten und zu überwachen.

Caroman gelang es, seine Herrschaft über die Arbonier wieder zu festigen und einigte sich mit Arybor auch auf eine Aufteilung ihrer Einflussgebiete: Während beide Stämme gemeinsam die Hegemonie über die Bewohner des Dunklen Waldes ausüben würden, mussten die Sippen des Kleinen Volkes sich entscheiden, ob sie sich dem arbonischen oder dem flutländischen Stammesoberhaupt unterwerfen wollten. Darüber hinaus beschlossen sie, dass das Fest der Freundschaft von nun an jedes Jahr gefeiert werden sollte und Streitigkeiten zwischen den Stämmen entsprechend der von Canuphyra und Phejana verkündeten Regeln im „Tribunal“ unter dem Vorsitz des Dans unblutig geschlichtet werden sollten.

Doch Caroman sollte die Früchte seines Sieges nicht mehr selber ernten. Ein paar überlebende Verstoßene sannen auf Rache und töteten ihn, Canuphyra und Phejana bei einem nächtlichen Gelage. Die Verträge zwischen Flutländern und Arboniern aber wurden nicht gebrochen und ab dem nächsten Jahr feierte man jedes Jahr das Fest der Freundschaft. Zuvor war eine Jahreszählung anhand der Herrscherjahre des jeweiligen Stammesoberhauptes üblich gewesen. Als der Frieden zwischen Arboniern und Flutländern hielt, setzte sich eine neue Zeitrechnung durch.

Heute zählt man die Jahre von Caromans Tod an fortlaufend: Das Jahr nach seinem Tod nennt man das erste, das gegenwärtige Jahr (2018) das „43. Jahr nach dem Martyrium des Heiligen Caroman“.

Obwohl man die Tat von Caromans Mördern als verdammungswürdig einstuft, sieht man in ihrem Gelingen den Vollzug des Schicksals, welches zwar den göttlichen Werkzeugen selbst zum Verhängnis wurde, aber den letzten großen Stammeskrieg beendete und den Weg für ein neues Reich der Tugend und des Rechts ebnete.

Der Aufstieg des Klerus

Die Stämme der Arbonier, Flutländer und des Kleinen Volkes pflegen eine Erinnerungskultur, die den Rhythmus der Geschichte in Erfolg und Misserfolg großer Führergestalten, der Tugend oder Untugend von Völkern und Stämmen sowie dem gelegentlichen Eingreifen göttlicher Schicksalsmächte zu erkennen glaubt. Diese Geschichtswahrnehmung verstellt den Blick auf die prozesshaften Veränderungen, zu denen es rund um den Beginn der neuen Zeitrechnung gekommen ist. Dennoch hat man ein Bewusstsein dafür; schließlich muss man in Trigardon noch nicht alt sein, um Kindern davon erzählen zu können, was es in der eigenen Jugend alles noch nicht gegeben hat.

Nicht nur neue politische, militärische und religiöse Ideen, sondern auch neue Architektur, neue Anbautechniken und die Verfügbarkeit von Luxusartikeln wie etwa Papier und Glas haben fast alle Lebensbereiche fast aller trigardonischen Regionen beeinflusst. Wann und auf welchem Weg sich diese schönen Dinge verbreitet haben, ist oft schwer zu sagen. Die größte Bedeutung wird dabei dem Siegeszug der Schriftkultur beigemessen.

Ihre ersten zaghaften Anfänge lassen sich mindestens bis in Caromans frühe Jugend zurückverfolgen. Sein Vater Hector Caroman anh Rhack ließ im 21. Jahr vor Beginn der heutigen Zeitrechnung die Schulen des Ischan erbauen, um dort die Kinder, die die wichtigsten arbonischen Sippenoberhäupter ihrem Heerführer damals als Geiseln stellen mussten, gemeinsam mit seinem Sohn zu erziehen. Schon bald wurde dieser Ort zu einer Institution, an der ein zentraler Kalender geführt und erste rudimentäre Geschichtsschreibung begonnen wurde. Man kann davon ausgehen, dass sich schon vor der Gründung der Schulen des Ischan so viel Großgrundbesitz in den Händen der mächtigsten arbonischen Häuser angesammelt hatte, dass sie die Übersicht über ihren Reichtum nur noch mit Hilfe schriftlicher Listenführung bewahren konnten. Doch in der Regel empfand man es der Mühe nicht für Wert, solche „langweiligen“, oft nur auf Wachstafeln geritzten Notizen aufzubewahren. Man weiß also nicht mehr genau, wann diese Praxis begonnen wurde.

Bis in die letzten Jahrzehnte des letzten großen Stammeskriegs hinein war es unter den Stämmen und Sippen noch Gang und Gäbe, die Schamanen besiegter Gruppen zu verschleppen und sie als privilegierte Beutestücke unter die Haushalte der eigenen Verwandten und Gefolgsleute zu verteilen. Darüber hinaus hatten die Kundigen und Geistlichen selber das Verlangen nach Austausch, was sie dazu veranlasste, im Geheimen verschiedene Sekten und Lehrzirkel zu gründen. So trafen sich Kundige beider Stämme regelmäßig unter dem Schutz der Elben im Kreis der Mysterien und einige Einsiedler gründeten im Hochland des Dugor Harog unter dem Schutz des Zwergenkönigs das Kloster der Riadugora.

Mit den Jahren entstand über Stammeszugehörigkeit und Verwandtschaft hinaus ein Gemeinschaftsbewusstsein der Gelehrten. Zunehmend gelang es ihnen mittels drastischer Fluchan-drohungen, die Unverletzlichkeit der Schamanen zu erwirken. Ohne diese Entwicklung hätten Canuphyra und Phejana sicher nicht den Einfluss gehabt, die Stämme zum Fest der Freundschaft zu rufen. Die älteren Geistlichen und Kundigen erinnern sich zwar noch sehr gut an die Geschichten ihrer Lehrer über diese schweren Zeiten. Ihr historisches Selbstbildnis tendiert jedoch dazu, diesen mühseligen Emanzipationskampf zu verschweigen. Stattdessen prangert man lieber allgemein die Unmoral der finsteren Kriegszeiten an. Die Überlieferungen lassen es oft so aussehen, als ob neben den Sippenoberhäuptern schon immer ein weiterer allseits geachteter Stand von Vermittlern zwischen den Sterblichen und den Göttern und Geistern bestanden hätte.

Nach Caromans Martyrium entwickelten sie sich immer schneller zum schreibenden Stand, von dessen wachsendem Selbstbewusstsein die damals entstandenen Kloster- und Tempelbauten stolzes Zeugnis ablegen.

Zur dominierenden spirituellen Autorität wurde der Klerus aber erst, als er damit begann, die religiösen Lehren zu verschriftlichen. Die Heilige Schrift entstand. Für dieses Werk zeichnet kein einzelner Autor oder Prophet verantwortlich. Hinter seinem „unbekannten Verfasser“ verbergen sich unzählige Priester und Kundige, die über mehrere Jahrzehnte hinweg Überlieferungen der Stämme sammelten, die am weitesten verbreiteten und am wenigsten strittigen Erzählungen auswählten, sie in eine chronologische Reihenfolge setzten, in Kurzform nacherzählten und mit moralischen Belehrungen versahen.

Wer zu welchem Zeitpunkt die letztgültige Form davon verfasste, weiß tatsächlich niemand und man legt großen Wert darauf, dass das auch keine Rolle spielt. Im 14. Jahr der neuen Zeitrechnung wurde dieser Text dann, von Wunderereignissen begleitet, „aufgefunden“. Es ist natürlich allgemein bekannt, dass die Heilige Schrift ein von Menschenhand geschaffenes, erst in jüngster Zeit entstandenes Werk ist. Das steht aber keinesfalls im Widerspruch dazu, in ihr eine göttliche Offenbarung zu sehen. Es ist vielmehr ein Beispiel dafür, dass die Götter durch ihre Priester wirken.

Das 14. Jahr nach dem Martyrium des Heiligen Caroman ist im kollektiven Gedächtnis ein Symboljahr für Vielerlei. Damals sollen die angesehensten Gelehrten dieser Zeit die göttliche Inspiration zur Gründung Trigardons erhalten haben. Es gilt als das Jahr, in dem die Kunst des Lesens und Schreibens sich unaufhaltsam über das ganze Land auszubreiten begann. Inzwischen, drei Jahrzehnte später, ist es für Edle nicht mehr absonderlich, ihre Kinder auch dann darin unterweisen zu lassen, wenn sie gar nicht für eine geistliche Laufbahn vorgesehen sind. In manchen Regionen soll im Jahr 14 der schwere Wendepflug aus Altberg übernommen, eine Fruchtfolge aus Roggen und Hafer eingeführt, Sklavenhandel und Menschenopfer eingestellt oder die Jugend von frommen Ritteridealen erfasst worden sein. Die Setzlinge all dieser Neuerungen trieben in den vier Jahrzehnten rund um das Martyrium des Heiligen Caroman aus, was auch keinen Trigardonen verwundert, wenn er bewusst darüber nachdenkt. Doch Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur verlangen die Verknüpfung all dieser Entwicklungen mit einem Symboljahr. Es ist das Jahr des religiösen Erwachens, in dem die Götter die Sterblichen für die Einhaltung von Recht und Frieden belohnten.

Damals wurde auch die Teilung der Schamanen in einen geistlichen und einen kundigen Stand sichtbar. Es ist zwar noch heute möglich, beiden Ständen anzugehören. Doch schon im ersten Jahrzehnt der heutigen Zeitrechnung handelte es sich dabei um Ausnahmen, die seither immer seltener geworden sind. Der freimagische Orden der Riasinaten, der sich unmittelbar nach der Auffindung der Heiligen Schrift gegründet haben will, verband noch Teile beider Gruppen unter gemeinsamer Ordensregel. Doch er schlug damit einen Sonderweg ein.

Auch in philosophischen, moralischen und politischen Fragen sollten die Riasinaten künftig sehr eigenwillige Wege gehen. Alle anderen Sekten und Lehren des Landes wuchsen spätestens im Verlauf der Zwanzigerjahre zur Siebenfaltigen Religion mit ihrem gemeinsamen, wenn auch heterogenen Klerus, zusammen. Die Riasinaten entzogen sich dieser Integration.

Ihr Ordensgründer, Phadrhack Natan anh Ria, genoss in beiden Stämmen hohes Ansehen. Er hatte einst mit dem Heiligen Caroman ausgehandelt, das Gesetz der Verstoßenen im Dunklen Wald unblutig, als Lehrer und Richter, durchzusetzen. Was sich an Wissen und Überlieferungen der Elben noch zusammentragen ließ, wurde von Phadrhack und seinen Anhängern bewahrt. In Riasinas Namen gewährte er auch vielen in Flutland und Arbon unerwünschten Menschen Zuflucht im Dunklen Wald. Man ermutigte sie, sich künftig nicht mehr als Nachkommen Ischans und Natans, sondern als Untertanen der Mondgöttin zu sehen. Schließlich stiftete er bei Gründung des Ordens seinen Grundbesitz, der als „Kloster der Riasina am Lichtungsstein“ zum Verwaltungszentrum des Dunklen Waldes wurde.

Auch wenn man den Dunkelwald heute gerne als Brutstätte von Sittenverfall und Irrlehren sieht, stand die Geistlichkeit der Stämme Phadrhacks Wirken anfangs noch wohlwollend gegenüber. Dass die Riasinaten ihre Geheimlehren nicht mit den anderen Geistlichen teilten, galt als akzeptabel. Schließlich kennen alle spirituellen Gemeinschaften höhere Mysterien, die nur Eingeweihten offenbart werden. Die Kundigentradition der Riasinaten ließ es darüber hinaus schlüssig erscheinen, bestimmte Geheimnisse streng zu hüten. Denn immerhin war einst Botan mit seinen eigenen Mitteln besiegt worden.

Doch der Respekt vor den Riasinaten sollte nach Phadrhacks Verscheiden bald schwinden. Bei der Reichsgründung im Jahr 19 spielte ihr Charisma noch eine wichtige Rolle. Ihr künftiger Politikstil tauschte dieses Ansehen jedoch gegen den zweifelhaften Ruf von Spionen, Verschwörern und Anstiftern von Attentaten ein. Ein Ruf, dessen Einschüchterungspotenzial sich Anfang der Dreißigerjahre abgenutzt hatte.

Natürlich konnten die riasinatischen Ideen nicht gänzlich geheim bleiben. Bald zirkulierten im Dunklen Wald immer abenteuerlichere Auslegungen der Heiligen Schrift, die ihr bisweilen gar direkt widersprachen und die mündlichen Überlieferungen gerne komplett ignorierten. In den – eigentlich nicht für Außenstehende gedachten – „Schwarzen Schriften“ fand man zwischen harmloser Dichtung und nützlichen Abhandlungen zur Imkerei auch Texte, die über Botans „verehrungswürdige Aspekte“ dozierten und Riasion unterstellten, sein Sonnenlicht einst von Riasina gestohlen zu haben. Zwei implizite Behauptungen zogen sich wie ein roter Faden durch riasinatische Predigten: Dass alle Götter sterblich seien und dass Riasina mehr zu preisen sei, als die anderen Hauptgötter.

Dieses Abweichlertum beschleunigte den Einigungsprozess der übrigen Geistlichkeit wahrscheinlich sehr. Im Jahr 22 wurde im Kloster des Riason im Längstal von Arbon das Heilige Konzil der Siebenfaltigkeit ausgerufen, um die Reinheit und Einheit der Siebenfaltigen Lehre festzuschreiben. Weil diese Aufgabe nicht mit einer einzigen Versammlung zu erfüllen ist, gilt das Heilige Konzil als ständige Handlung, die bis heute andauert – wenngleich sie schnell viel ihres Elans einbüßte. Neben dem Kloster der Riaranjoscha in Flutland, dem Hochtempel des Riamodan in Arbon und dem Kloster der Riadugora im Dugor Harog, schloss sich nach anfänglichem Zögern auch der Hochtempel des Riasion in Nordern an. Im Jahr 27 gelang dem Konzil die Einigung auf eine schriftliche Erläuterung zur Heiligen Schrift, die mittlerweile jeder Abschrift als zweiter Anhang beigefügt wird.

Die Riasinaten wagten nicht, sich offen gegen die herrschende Meinung zu stellen und stimmten der Ächtung einiger ihrer Schriften zu. Doch Gesten und Versprechungen vermochten das Vertrauen in ihre moralische Integrität nicht wieder herzustellen.

Die frühen Jahre Trigardons

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Die Erinnerung an das alte Königreich von Gar hatte sich schon während des letzten großen Stammeskrieges als überaus langlebig erwiesen. Als sich danach eine einheitliche Religionslehre mit dazugehörender Geschichtsphilosophie herauszubilden begann, erschien es den Geistlichen und Kundigen folgerichtig, nun auch ein neues Gar zu gründen.

Fassbar wurde dieser Gedanke dadurch, dass nach Caromans Martyrium wieder Kontakte in das zuvor abgeschottete Anrea aufgenommen wurden, in dem sich viel vom zivilisatorischen Segen des goldenen Zeitalters erhalten hatte. Die südlichen Lande waren in der Vergangenheit nicht mehr als ein Ziel gelegentlicher Raubzüge für risikobereite arbonische Kriegsherren gewesen, ein Quell exotischer Güter, die man daheim nicht besaß. In den ersten beiden Jahrzehnten der neuen Zeitrechnung setzte aber wieder zaghafter Handel und damit ein Ideentransfer von Süden nach Norden ein. Dementsprechend orientierte sich die trigardonische Rechtsordnung später an den Vorstellungen, die man sich damals von Anrea machte: Ein gerechter oberster Fürst, der von einem „Hohen Rat“ der Weisen und Kundigen beraten wurde, sollte im Sinne und Auftrag der Götter durch von ihm ernannte Richter („Grafen“) über das Land herrschen. Es waren aber gewiss nicht nur kluge Ideen frommer Gelehrter, die die Reichsgründung herbeiführten, sondern auch handfeste strategische Erwägungen. Im ersten Jahrzehnt wurden die Arbonier und das Kleine Volk nämlich mit dem Auftauchen eines neuen Stammes konfrontiert, der sich im Tal des Derian festzusetzen begann. Die Montrowen hatten ihre alte Heimat auf den Inseln des Weltmeeres verlassen und waren den Thalan hinauf gefahren, um auf dem Kontinent zu siedeln.

Obwohl sie sich nach ein paar konfliktreichen Jahren schließlich arbonischer Vorherrschaft beugten, zeigte ihr plötzliches Erscheinen den Stammes- und Sippenoberhäuptern einige überraschende Blößen auf. Fremde wie die Montrowen konnten immer wieder auf der Türschwelle Flutlands und Arbons auftauchen. Ohne Einfluss auf die Altberger, die die Montrowen unbehelligt durch ihr Land hatten ziehen lassen, ließ sich das nicht verhindern. Aber auch die Herrschaftsverhältnisse bei den Flutländern und Arboniern gerieten unter Anpassungsdruck, waren sie doch ganz auf den Krieg gegeneinander ausgerichtet gewesen. In den neuen Friedenszeiten offenbarte sich eine gewisse politische und militärische Führungsschwäche.

Im Kontakt mit den Montrowen bekam man auch eine leise Ahnung davon, wie unvorstellbar groß die Welt ist. Zuvor hatte sich der kulturelle Horizont der Arbonier und Flutländer nur auf die in ihren Sagen beschriebenen Länder erstreckt. Nun wurde klar, dass es unzählige Fremde gab, die das Erbe der Weltväter offensichtlich vergessen hatten und sich teils völlig andere Vorstellungen von den Göttern und Geistern und vom Leben machten. Wenn man aber von Barbaren umgeben war, mussten die Stämme, die Ischans und Natans Andenken zu pflegen wussten, er-staunlich viel Verbindendes besitzen.

Nach einigen Jahren zäher Verhandlungen einigten sich die wichtigsten militärischen und spirituellen Führer auf die Gründung eines Reiches mit gemeinsamem Thing. Phadrhacks Sohn Philonius Phadrhack anh Ria repräsentierte darin die Kundigen, Wastan, der Hohepriester Riasons, repräsentierte die Geistlichen, die Zwerge und Hobbit entsandten jeweils einen Vertreter (Flynt anh Harog und Mina), Arybor sprach für die Flutländer und Rycasch anh Argayne für die Arbonier. Im Jahr 19 wählten sie Caromans Neffen Ardor anh Rhack zum ersten Hochfürsten des neuen Gemeinwesens, das sie als „dreifaches Gar“ mit dem Namen Trigardon versahen: Dreifach im Raum als ein Reich, das Flutland, Arbon und die Alten Reiche vereinigt und dreifach in der Zeit, weil es auf das alte Gar zurückverweist, die Gegenwart bestimmen und das künftige Schicksal formen soll.

Ob das neue Gar eher als sakrales Imperium mit Schicksalsauftrag oder mehr als Stammesbund mit gemeinsamen militärischen Interessen zu verstehen ist, war schon bei seiner Gründung um-stritten. Kluge politische Führer verstehen sich mittlerweile darauf, je nach Situation beide Vorstellungen zu aktivieren. Doch die Mehrdeutigkeit des Reichsgedankens blieb stets vorhanden, als sei sie die Begleitmusik zu den vielen, teils erbittert ausgetragenen inneren Kämpfen der Folgezeit. Aus dem Blickwinkel der Oberschicht könnte man die trigardonische Geschichte als wilden Ritt durch von Aufständen, Skandalen und hitzigen Religionsdebatten zerfurchtes Gelände verstehen, in dem das Reich von einer Verfassungskrise in die nächste stolperte.

Doch die Mehrheit nimmt es anders wahr: Auf lange Sicht sind Bevölkerung und allgemeiner Wohlstand deutlich gewachsen, wenngleich in regional sehr unterschiedlichem Tempo (so merkt man in Flutland nur wenig davon). Zwar hat Trigardon in dem knappen Vierteljahrhundert seines Bestehens insgesamt nicht mehr als sechs ganze Friedensjahre gehabt. Diese Rechnung geht aber nur dann auf, wenn man alle Feldzüge in die Fremde, alle nennenswerten Aufstände sowie die Eroberung und Verteidigung sämtlicher Regionen zusammennimmt. Die meisten seiner Bewohner verbinden das Reich mit der Zunahme von Frieden und Sicherheit.

In den Anfangsjahren sah das allerdings noch nicht so aus. Arybor verweigerte sich entgegen vorheriger Absprachen der Wahl Ardors und forderte die Vorherrschaft über das neue Reich gewaltsam ein. Rycasch und Flynt besiegten ihn in offener Feldschlacht, so dass die Flutländer sich dem Hochfürsten nun unterwarfen.

Dieser war aber derweil auf der Rückreise von Verhandlungen mit den Altbergern einem Attentat flutländischer Außenseiter zum Opfer gefallen (nachträglich entstand das Gerücht, dass sie im Auftrag der Riasinaten gehandelt hatten), also brauchte man nach weniger als einem Jahr schon einen neuen Hochfürsten. Da Ardors Ermordung Rycasch augenscheinlich in die ehrenrettende Selbsttötung trieb (da er die Gründe dafür mit in den Tod nahm, wollten Manche ihn später als Opfer riasinatischer oder elbischer Flüche sehen), brauchten die Arbonier auch ein neues Stammesoberhaupt. Ardors Sohn Gymor Ardor anh Rhack, der sich nun Ardor II. nannte, folgte Rycasch auf diese Position.

In Ermangelung eines Kriegsherrn, auf den sich alle der Großen einigen wollten, wählte man Wastan zum neuen Hochfürsten. Obwohl man diesen Priesterfürsten ohne Hausmacht weniger als ein Jahr später wieder absetzte, gelang es ihm während seiner kurzen Herrschaft, das Fundament der heutigen Rechtsordnung zu legen. Die Einführung des Grafentitels und die ungefähren Grenzen der Grafschaften des Kernlandes gehen auf ihn zurück. Ardor II. wurde Graf von Arbon und Arybor wurde Graf von Flutland. Doch Wastan teilte die Grafenmacht weiter auf: Philonius wurde Graf von Dunkelwald und Ove, der Heerführer der Altberger, wurde als Graf von Altberg Vasall des trigardonischen Hochfürsten. Die wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Kleinen Volk und die vielversprechende Aussicht darauf, des neuen Reiches Tor zum Thalan zu werden, bewogen die altbergischen Edlen zu diesem Schritt.

Obwohl Wastan ein Führer mit Weitsicht und ein überzeugender Redner war, hatten viele der Stammes- und Sippenoberhäupter ihn schon bei seiner Wahl nur als Übergangsregenten angesehen. Es fehlte ihm eine entscheidende Fähigkeit: Als Priester durfte er das Heer nicht selbst anführen. Diesen Mangel konnte der Hochfürst nicht lange mit politischen Erfolgen überspielen. Erste diplomatische Kontakte mit Gesandten aus dem Süden zeigten ein angespanntes Verhältnis an. Den Beratern des Königs von Anrea war nicht entgangen, dass die Trigardonen mit ihrem „Neuen Gar“ ein Reich ausgerufen hatten, das seiner eigenen Logik zufolge auch Vorherrschaft über den Süden anstreben musste. Wastan erschien so gar nicht wie der starke Mann, der sich im Waffengang gegen die Anreaner würde durchsetzen können.

Auch die übrige Nachbarschaft wirkte nicht so ruhig, als dass man ihr unter einem frommen Friedensfürsten begegnen wollte. Am Thalan hatte sich während des zweiten Jahrzehnts aufgrund einiger dynastischer Zufälle und Kriegsereignisse ein riesiges Reich unter der Führung des Stammes der Burgunden gebildet, das nun auch Flutland im Norden und Osten umschloss. Seine Expansion sollte bald Gegnerschaft hervorrufen: Es streckte die Hand nach einem östlich von Altberg gelegenen Gebiet aus, auf welches auch ein Bündnis einiger mit den Montrowen befreundeter Inselvölker Anspruch erhob.

Im Jahr 20 durchlief der (in der Sippe Rhack) älteste Enkel des Heiligen Caroman seine Initiation auf den Schulen des Ischan. Reryc Gysmund Caroman anh Rhack schien alles zu haben, was die Trigardonen sich von einem Anführer in drohenden Kriegszeiten wünschen konnten: Er war jung, tapfer, selbstbewusst sowie gesegnet mit scharfem Verstand und ebenso scharfer Zunge. Sein eigenes Sippenoberhaupt, Ardor II., ordnete sich seinem jüngeren Vetter unter, als ob dieser der wiedergeborene Heilige Caroman selbst sei. Die Arbonier lagen ihm zu Füßen und Flutländer, Altberger und das Kleine Volk respektierten ihn. Seine Wahl und Inthronisierung erfüllte das Hochfürstenamt wieder mit dem dynastischen Prestige einer Ahnenreihe, die bis zu Phadras Königshaus zurückgeht. Fortan nannte er sich Caroman II.

Gegenüber Winningen etablierte er eine Politik, die bis heute verfolgt wird: Weil diese Grafschaft auch einst zu Altgar gehört hatte, inszenieren sich die Trigardonen als wohlmeinender großer Bruder des südwestlichen Nachbarn. In Anrea zeigte man sich jedoch von der trigardonischen Traditionspflege unbeeindruckt; der Ton zwischen den Gesandten verschärfte sich weiter.

Indes schienen die Götter ihr Volk noch lange nicht für fromm genug zu halten, um die Welt mit trigardonischer Vorherrschaft zu beglücken. Am Thalan kam es zum erwarteten Krieg, der in Trigardon eine unvorhergesehene Serie von Aufständen auslösen sollte.

Die Montrowen überzeugten den Hochfürsten vom Bund mit den Inselvölkern, aber die Altberger wagten nicht den Kampf gegen die Burgunden und versperrten dem trigardonischen Heer den Durchmarsch. Im folgenden Aufstand vermochte Ove Caroman II. eine peinliche Niederlage beizubringen und seine Grafschaft für kurze Zeit wieder unabhängig zu machen.

Arybor empfand diese „Schmach von Altberg“ als Grund, sich am Sturz des Hochfürsten zu versuchen. Er fuhr jedoch nur eine vernichtende Niederlage ein, die auch ihm selbst das Leben kostete.

Inzwischen hatte sich Philonius, der während des altbergischen Aufstands vom Tribunal des Hochverrats schuldig gesprochen worden war, nach Anrea geflüchtet. Seinen neuen Gastgebern und Oves Gefolgsleuten versprach er nun den Sturz des Hochfürsten, warb ein schlagkräftiges Söldnerheer an und verbündete sich mit dem neuen flutländischen Stammesoberhaupt, Arybors Halbbruder Drebycc. Es ist gut möglich, dass Caroman II. auch diesen Aufstand erfolgreich niedergeschlagen hätte. Aber aufgrund des Verrats von Jurec anh Rhack, einem seiner eigenen Vettern, fiel er Ende des Jahres 23 noch auf dem Schlachtfeld einem Mord zum Opfer.

In dieser Situation gab es keine politischen Sieger. Drebycc war in der Schlacht so schwer verwundet worden, dass man schon seinen baldigen Tod erwartete. Die Flutländer hatten einen so hohen Blutzoll entrichten müssen, dass nicht im Entferntesten daran zu denken war, ihr Heer zur Stütze einer neuen Ordnung zu machen. Auch die Söldner des Grafen von Dunkelwald verblieben nicht lange im Land. Doch der Hochfürst war tot und hinterließ einen zutiefst demoralisierten Stamm.

Im Nachhinein stellten sich viele Arbonier die Frage, warum Ardor II. den Kampf nicht fortgesetzt hatte. Die Gefolgschaft des Kleinen Volkes wäre ihm sicher gewesen. Während der beiden letzten Aufstände hatte Drebycc befohlen, sie aus Flutland zu vertreiben, weil sie sich auf die Seite des Hochfürsten gestellt hatten. Flynt, der die Flüchtlinge aufnahm, stellte sich daraufhin unter den Schutz der Arbonier und wurde Vasall ihres Grafen. Auf der anderen Seite hätte Ardor II. den Verräter aus der eigenen Sippe bestrafen müssen, um seine Rachepflicht für Caroman II. zu erfüllen. Dieser lag ihm aber nicht nur sehr am Herzen, sondern hatte auch bedeutende Freunde in der Geistlichkeit. Darüber hinaus hätte eine Ausweitung des Bürgerkrieges in den Dunklen Wald und nach Flutland eine enorme militärische Anstrengung mit unsicherem Ausgang bedeutet. Möglicherweise gaben aber auch die Anreaner den Ausschlag dafür, dass die Grafen von Arbon und Dunkelwald sich auf eine Schlichtung einließen. Die Berater König Rasims von Anrea nutzten die trigardonische Schwäche während der beiden flutländischen Aufstände, um ein Gebiet am Unterlauf des Arbo zu besetzen, in dem einst die Hauptstadt des alten Reiches, Gar, gelegen hatte. Mit Wastan hatten sie sich aber drei Jahre zuvor noch darauf geeinigt, dass weder Trigardon, noch Anrea Ansprüche auf diese von ihnen „Terra Incognita“ genannte Region erheben würden. Um diesem aggressiven Vertragsbruch begegnen zu können, brauchte Ardor II. inneren Frieden.

Die Bürgerkriegsparteien einigten sich auf Phosphoros als Schlichter, den Hofkundigen Caromans II., der darüber hinaus auch Statthalter von Nordern und Vorsteher von Riasions Hochtempel war. Anstatt im Reichsthing einen neuen Hochfürsten zu wählen, verständigten beide Seiten sich darauf, Philonius wieder als Graf in die Reichsgeschäfte zu integrieren, Ardor II. zum obersten Heerführer des Reiches und Phosphoros zum Übergangsregenten, zum „Erzkanzler“, zu bestimmen. Die Flutländer und das Kleine Volk mussten in dieser Schlichtung nicht berücksichtigt werden. Da Drebycc wider Erwarten nicht verstarb, sondern noch viele Jahre vor sich hinsiechen sollte, brauchten die Flutländer recht lang, um seine Nachfolge zu regeln.

Obwohl Phosphoros seine Entscheidungen regelmäßig vom Reichsthing absegnen ließ, dessen Zusammensetzung er allerdings immer wieder zu seinen Gunsten abänderte, haftete seiner Regentschaft stets der Geruch des Illegitimen an. Seine öffentlichen Auftritte in Flutland und Arbon waren nicht häufig. Stattdessen regierte er vor allem von Nordern aus, dessen beeindruckende Festungsanlagen bis zum Jahr 28 fertig gestellt wurden.

Doch gerade deshalb, weil die Kanzlerherrschaft schon angesichts des ersten gegen sie gerichteten Aufstands wie ein Kartenhaus zusammenstürzte, ist ihre vergleichsweise lange Dauer von achteinhalb Jahren bemerkenswert. Selbst Phosphoros Gegner halten ihm Zugute, dass er das Reich aus der Untergangsstimmung zu Beginn seiner Regentschaft herausführte. Weniger Liebe bringt man ihm heute dafür entgegen, dass er die Lösung vieler Probleme geschickt auf unbe-stimmte Zeit verschob.

An der veränderten Südgrenze ließ sich nach Caromans II. Tod nichts mehr ändern, doch mit versilberten Entscheidungshilfen gelang es, die altbergischen Edlen davon zu überzeugen, ihren Grafen des Landes zu verweisen und sich Trigardon wieder anzuschließen. Auch die Beziehungen zu verschiedenen kleinen und großen Reichen am Thalan wurden zur Zeit der Kanzlerherrschaft geknüpft, verbessert oder normalisiert. Besonders die „Bruderbünde“ mit mehreren Inselvölkern und mit König Hagen von Taëria erweiterten das Weltwissen der trigardonischen Oberschicht enorm. Jenseits der Nachbarländer gelangen mit Hilfe der Verbündeten einige mehr oder weniger zufällige Eroberungen, darunter der Glücksgriff der Ostprovinz, die eigenwillige Inbesitznahme des Westports, der den Flutländern noch heute Probleme macht, und die aus der Not heraus geschehene Besetzung des Ringlandes, die dem im Lande Harnac geschlagenen trigardonischen Heer sichere Winterlager für den Rückzug verschaffte. Auch Yddland wurde während der Kanzlerherrschaft Teil Trigardons; weitestgehend sich selber überlassen spaltete es sich jedoch bei der ersten Gelegenheit wieder ab. Für die meisten Menschen ist der Beginn von Phosphoros Regentschaft jedoch mit der bestürzenden Erfahrung verknüpft, dass das Grauen der Lebenden Toten nicht nur in Legenden begegnet.

Während der Herbsternte des Jahres 24 tauchte, zunächst unbemerkt, ein neuer Feind im Grenzgebiet von Arbon und Altberg auf, mit dem man es seit Botans Tagen nicht mehr zu tun gehabt hatte. In dieser Gegend war damals die altbergische Erdbestattung weiter verbreitet, als die Feuerbestattung der Stämme Ischans und Natans. Aus den Gräbern erhoben sich die Toten, fielen über die Lebenden her und erweckten auch ihre Leiber, um sie in ihr Heer einzureihen. Angeführt wurden sie von einer bleichen Heerführerin, deren Namen, Herkunft und Absicht man nie erfuhr. In einer ersten Schlacht vor der Jahreswende blieb das Heer der Lebenden Toten siegreich und bedrohte sogar Caernadun, die Festung der Montrowen. Sie zogen sich aber im Schneetreiben zurück und töteten am Oberlauf des Derian und im umliegenden Hügelland jeden, dem nicht rechtzeitig die Flucht gelang. Noch immer gibt es dort einsame Ortschaften, in denen die „Montrowische Plage“ so furchtbar gewütet hat, dass kein Mensch dort wieder siedeln will. Im nächsten Frühjahr gelang es Ardor II. zwar, den Feind einzukreisen und zu vernichten. Doch das überstandene Übel hinterließ in den Seelen der Überlebenden so tiefe Narben, dass man keine Heldenlieder darüber gedichtet hat. Es wurde nie geklärt, wie es zur Montrowischen Plage gekommen war, die in Altberg zwar weniger heftig, aber nichtsdestotrotz tödlich gewütet hatte. Man gibt unbekannten anreanischen Kundigen die Schuld dafür, deren berühmte Zauberschule angeblich die mächtigsten Magier der Welt hervorbringt.

Doch die Trigardonen hatten sich dem Schrecken nicht allein stellen müssen. Namhafte Barbaren waren mit tapferen Streitern zur Hilfe gekommen, denen das Reich nun zu tiefem Dank verpflichtet war. Darunter waren das Sippenoberhaupt der Sippe Oni, Munin, sowie ihr Gatte Ian, die von den gleichen Inseln wie die Montrowen stammten. Ardor II. gab ihnen die Baronie Montrowia als Lehen, weil der Stamm der Montrowen durch die Plage seinen gesamten Adel verloren hatte.

Zu den neuen Freunden gehörten auch der Trohnfolger des Inselfürstentums Vada, Allastian Bona, und dessen Gattin Amsira. Sie wurden vom Erzkanzler zu Graf und Gräfin Altbergs ernannt. Weil sie dort eine sehr wohlwollende, indirekte Herrschaft ausübten, akzeptierten auch die Altberger das fremde Grafenpaar.

Die zur Hilfe gekommenen Taërianer dagegen erbaten trigardonische Waffenhilfe für ihren eigenen bevorstehenden Kampf gegen die Lebenden Toten in ihrem Nachbarland Harnac.

Im Jahr darauf zog Ardor II. mit großem Kriegsgefolge dorthin. Das trigardonisch-taërianische Bündnisheer wurde jedoch vernichtend geschlagen, wobei Ardor II., Allastian und unzählige Weitere zu Tode kamen. König Hagen war nunmehr gezwungen, sein Reich durch miteinander verbundene Festungen, den „Harnacwall“, gegen die Mächte der Verderbnis zu sichern.

Emendons Reich

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Die Hoffnung auf eine baldige Ablösung der ungeliebten Kanzlerherrschaft musste der arbonische Adel mit dem Ende Ardors II. begraben. Man klärte seine Nachfolge mit einer Langsamkeit, die dem Nachfolger und der Sippe Rhack noch Jahre später enorme politische Kosten entstehen ließen.

Das lag nicht nur daran, dass Ardor II., wie auch schon sein Vetter Caroman II., in jugendlichem Wahn schlicht keine Nachfolgeregelung getroffen hatte, ledig geblieben war und die Mütter seiner Kinder anderen Sippen angehörten. Es lag auch daran, dass nicht gleich ersichtlich wurde, dass man überhaupt etwas zu klären hatte. Denn die Getreuen des Erzkanzlers versuchten, den Tod des Grafen von Arbon geheim zu halten. Es hieß, die Kundigen hätten den Schwerstverwundeten, von Schadzaubern befallenen Heerführer ins Kloster der Riasina gebracht, um sein Leben zu retten. Als nach dem Winter mehr und mehr Zeugen des Harnac-Desasters heimkehrten, verlegten sie sich auf eine andere Geschichte: Ardor II. war im verfluchten Land der Lebenden Toten gefallen, vor seiner Bestattung sei also die Reinigung seines Leibes von verderbten Dämonen und Flüchen nötig. Diese – angesichts der jüngsten fürchterlichen Erfahrungen durchaus glaubhafte – Variante verzögerte jedoch eine geregelte Nachfolge weiter. Denn Bestattungsriten dienen seit je her auch der rituellen Übergabe von Herrschaftsrechten.

Der Schaden war bald angerichtet: In Monaten der Unsicherheit zerstritten sich die verschiedenen Familienoberhäupter der Sippe Rhack um das weitere Vorgehen und um das Erbe. Dieser ungünstige Ereignisverlauf wurde begleitet von ungeklärten Morden und Mordversuchen an wichtigen arbonischen Adligen und politisch einflussreichen Geistlichen, die stets vielfache Gelegenheiten hinterließen, sich in Schuldzuweisungen, Rachefehden und Erbstreitigkeiten zu verwickeln. Ähnliches war auch schon rund um den Sturz Caromans II. geschehen.

Heute wähnt man hinter den meisten dieser Verbrechen riasinatische Hintermänner, die damit mögliche Opposition gegen die Kanzlerherrschaft schon vor ihrer Formierung spalten wollten. Aber die Erkenntnis, dass der Graf von Dunkelwald nicht nur das Territorium der alten Elbenreiche, sondern auch ihre Strategie der Spaltung und Schwächung der Flutländer und Arbonier übernommen hatte, setzte sich nur langsam durch. Erst im Nachhinein erscheint es offensicht-lich, dass die Riasinaten nur mit solchen Methoden eine einflussreiche Kraft in Trigardon bleiben konnten.

Die Einheit der Arbonier und ihrer führenden Sippe hatte aber schon zu Beginn der Kanzlerherrschaft Risse bekommen. Dass Ardor II. sich überhaupt auf eine Schlichtung mit Philonius einließ, anstatt seine Rachepflichten zu erfüllen, hatten viele Getreue des letzten Hochfürsten nur zähneknirschend akzeptiert. Dass er aber noch nicht mal den Verräter Jurec verstieß, galt eigentlich als unvereinbar mit der Ehre des Hauses und den arbonischen Sitten schlechthin. Warum verzichtete der Graf von Arbon darauf?

Die Antwort auf diese Frage verweist auf die Rivalität zwischen Geistlichen und Sippenoberhäuptern, die in Folge des religiösen Wandels aufgetreten war. Eine Generation zuvor konnten sich die Oberhäupter der Adelshäuser im Zentrum ihrer jeweiligen Ahnenkulte noch als wichtigste spirituelle Autoritäten fühlen. Die größere Betonung der Hauptgötter und die Verbreitung der Heiligen Schrift hatten das geändert. In den Zwanzigerjahren war es selbstverständlich geworden, dass Geistliche unabhängig von ihrer Sippenzugehörigkeit in erster Linie den Göttern zu dienen hatten und sich damit in vielen Bereichen des Lebens der Autorität ihrer Sippenoberhäupter entziehen konnten. So lange sich die Macht der Priesterschaft vorwiegend auf moralisch-religiöse und intellektuelle Bereiche erstreckte, führte die Veränderung nur zu einzelnen persönlichen Konflikten innerhalb der Sippenverbände, die sich meist mit Augenmaß und Kreativität lösen ließen.

Doch angesichts der Unruhen unter Caroman II. begann der Klerus damit, sich zu bewaffnen. Das Heilige Konzil der Siebenfaltigkeit stattete den Orden des Heiligen Caroman aus, woraufhin die Riasinaten sich dazu gedrängt sahen, die Schattengarde aufzustellen. Zuvor hatten nur einzelne prominente Kriegergestalten wie der Heilige Caroman und Arybor Cirkaterstatus zugewiesen bekommen. Spätestens mit dem Zulauf, den die bewaffneten Orden nach der Montrowischen Plage bekamen, wurde daraus ein eigener, gut organisierter und schwer bewaffneter Stand, der auch auf jene Ritter und Reiter große Anziehungskraft ausübte, die sich in rebellischen Lebensphasen der Bevormundung ihrer Familien entziehen wollten.

Jurec anh Rhack schien die besonders extreme Ausprägung eines solchen Falls zu sein, als er die Ermordung des Hochfürsten durch seinen flutländischen Ordensbruder Trogan zuließ oder (je nach Lesart) sogar arrangierte. Aber er war Ordensmeister des Ordens des Heiligen Caroman und wurde vom Hohepriester Riasons, Adrian, für von weltlichen Richtern unantastbar erklärt. Ardor II. hatte also nur die Wahl, im Herzen seiner eigenen Grafschaft den Ansehensverlust zu riskieren, den der Waffengang mit der Cirkaterschaft bedeutet hätte oder Jurecs Verrat vorerst folgenlos zu lassen.

Angesichts dieses Dilemmas gründete er seinen eigenen Cirkaterorden, die Bruderschaft des Heiligen Danason, die sich zwar als Gegenmacht zum Dunkelwald verstand, aber (keineswegs unabsichtlich) dem Orden des Heiligen Caroman in Sachen Ausstattung, Größe und Popularität schnell den Rang ablief. Die Führung durch den Grafen machte die Danason-Brüder auch für jene Edlen attraktiv, die der Selbstbewaffnung des Klerus misstrauisch gegenüber standen.

Auf dem Harnac-Feldzug kam dann nicht nur Ardor II., sondern auch Jurec ums Leben, was den schwelenden Konflikt zwischen Adel und Klerus entschärfte. Ihn fast gänzlich aufzulösen war das Verdienst der beiden neuen Anführer der Cirkaterorden, Estron, dem Meister der Caroman-Brüder und Emendon, dem Meister der Danason-Brüder. Auch Adrian spielte dabei eine Rolle, wurde aber in einem ersten Schritt vor vollendete Tatsachen gestellt: Nach der Niederlage in Harnac ordnete Estron die Auflösung seines eigenen Ordens an, legte das Gelübde der Bruderschaft des Heiligen Danason ab und forderte seine Brüder und Schwestern auf, es ihm gleich zu tun, was die überwiegende Mehrheit der Arbonier unter ihnen auch tat. Derart gestärkt sicherte Emendon Adrian zu, in den religiösen Auseinandersetzungen mit den Riasinaten stets die Positionen des Heiligen Konzils zu unterstützen, verlangte dafür aber die Hilfe des Klerus bei der Disziplinierung des uneinigen arbonischen Adels.

Erst durch dieses Bündnis wurde die „wahre“ siebenfaltige Lehre des Heiligen Konzils endgültig zum unbestrittenen Maßstab von Recht und Sitte in Arbon. Im weiteren Verlauf der Zwanziger- und Dreißigerjahre verfestigte sich auf dieser Basis eine Rollenverteilung, in der dem Adel zwar das letzte Wort bei den großen Entscheidungen zukommt, die Geistlichkeit sich aber nicht um den Respekt vor ihrer moralischen Autorität oder den Schutz ihrer Einrichtungen und Privilegien zu Sorgen braucht. Weil die drei größten arbonischen Glaubenszentren (der Hochtempel des Riamodan und die Klöster des Riason und des Heiligen Danason) zum Herzstück der gräflichen Verwaltung wurden, kann diese Entwicklung als unumkehrbar gelten.

Die erfolgreiche Vereinigung geistlicher Reformkräfte mit dem Traditionalismus der edlen Sippenoberhäupter sorgte für die nötige Geschlossenheit, dank der die Arbonier unter Emendons Führung langsam wieder den politischen Vorrang erlangten, der dem größten und reichsten Stamm mit dem stärksten Heer der trigardonischen Lande zukommt. Doch bis dahin mussten noch viele Krisen gemeistert werden, in denen die Arbonier vielfach Gefahr liefen, an sich selbst zu scheitern.

Emendon war als Oberhaupt der mächtigsten Sippe des Tejadun, den Erlenfelsern, kein Unbekannter in der trigardonischen Politik. Doch fehlte seinem Haus die Ahnenreihe, die es mit den alten Königen von Gar verband. Ihm kam jedoch zugute, dass seine Großmutter eine Gefährtin des Heiligen Caroman gewesen war und ihre Sippe schon damals zu den engsten Verbündeten der anh Rhack gehörte. Der Sohn, den sie von Caroman bekam, war Emendons Vater. Diese Abstammung wird im Rückblick als ebenbürtig zur Abstammung der Sippenoberhäupter der anh Rhack, anh Argaine und anh Garesch angesehen.

Reichsweite Bekanntheit erlangte Emendon für seine beispielhafte ritterliche Treue gegenüber Ardor II., dem er während des altbergischen Aufstandes freiwillig in die Kriegsgefangenschaft folgte.

Zwei Jahre später wurde er kurzzeitig zum Gefäß für den Geist des Heiligen Danason, der die Übersetzung seiner Lebensgeschichte aus der Vergessenen Sprache verlangte. Dieses Wunder inspirierte den Grafen von Arbon zur Gründung der Bruderschaft des Heiligen Danason.

Im Jahr 27, als der Tod Ardors II. öffentlich wurde, fiel es dann mit einer gewissen Selbstverständlichkeit dem neuen Ordensmeister der Danason-Brüder zu, den Streit zwischen den verschiedenen Zweigen der Sippe Rhack zu schlichten. Da keines der relevanten Familienoberhäupter sich der Autorität eines der anderen beugen wollte, wurde die Sippe in drei Verbände mit jeweils eigenem Sippenoberhaupt aufgeteilt. De facto war damit der Anspruch der anh Rhack, das arbonische Stammesoberhaupt zu stellen, erloschen. Beim folgenden arbonischen Stammesthing wurde Emendon zum neuen Grafen gewählt.

Doch der Erzkanzler war nicht geneigt, das Ergebnis dieser Wahl sofort anzuerkennen. Wastans Reformen hatten die Stammesoberhäupter zu Vasallen des Hochfürsten gemacht und Phosphoros verlangte als dessen rechtlicher Vertreter Emendons Treueeid und Unterwerfung, was jener unter Verweis auf die Stellvertreternatur des Erzkanzlers verweigerte. Der Erzkanzler verweigerte seinerseits Emendons Anerkennung als Graf von Arbon und erklärte, es sei nur ein „Vogt von Arbon“ gewählt worden.

Emendon entschied sich dagegen, sein Wahlrecht gewaltsam geltend zu machen. Zu wenig gefestigt erschien ihm zu diesem Zeitpunkt seine Macht in Arbon, schließlich hatten die Erlenfelser nie zuvor das Stammesoberhaupt gestellt. Nachfolgeprobleme in verschiedenen namhaften Häusern, Philonius heimliche Unterstützung arbonischer Außenseiter sowie der unklare Verbleib von Ardors II. Leichnam (mit dessen Bestattung und Totenrede sich potentielle Opposition im Stamm hätte legitimieren können); all das waren Gründe, die Treue der Arbonier nicht sofort in einem Waffengang gegen den Erzkanzler zu testen. Dreieinhalb Jahre später musste dieser dem konstanten rhetorischen Druck der arbonischen Geistlichkeit nachgeben und Emendon schließlich doch als neuen Grafen von Arbon bestätigen.

Von Anfang an sah sich Emendon einer Gegnerschaft gegenüber, die sich nicht offen zeigte und schwer zu fassen war. Mordversuche an ihm, Skandale, Verschwörungen und heimliche Machenschaften finsterer Götterlästerer beschäftigten die Öffentlichkeit noch über die Zeit der Kanzlerherrschaft hinaus.

Eine geheime Bruderschaft von Unbekannten, die Botan als Gottheit verehrten, zeigte sich offen am Fest der Freundschaft des Jahres 27. Sie nannten sich die „Schwarzen Cirkater“, brachten ein Gefolge aus Orks ins Land und versuchten sich bei mehreren Gelegenheiten am Raub von Reliquien. Auch wenn ihre erste Vorhut den Angriff auf das Fest vollständig mit dem Leben bezahlte, säten andere Gruppen in den Jahren danach Angst und Schrecken im Land, indem sie in abgelegenen Gegenden blutige Massaker begingen und die Toten schändeten. Sie schienen verdeckte Unterstützung von einflussreichen Persönlichkeiten zu haben, da es ihnen gelang, ihren Verfolgern immer wieder zu entwischen. Selbstverständlich stritt Philonius jegliche Verbindung zwischen den Unbekannten und den Riasinaten ab. Es wurde nie ganz ersichtlich, was die finsteren Gestalten mit ihren Überfällen eigentlich bezweckten. Zielsicher taten sie stets genau das, was den Trigardonen als Abscheulichstes gilt.

Daher entstand eine Theorie, die in informierten Kreisen zwar als wiederlegt gilt, sich aber als Gerücht bis heute hält: Es könnte sich um eine Gruppe Verrückter handeln, die von kundigen Amtleuten des Erzkanzlers, den nach der Montrowischen Plage ins Leben gerufenen „Kommissaren der Zauberkunst“ (auch „Arkane Kommissare“ genannt) zum Zweck der Selbstlegitimation fremdgesteuert würden.

Diesen Amtleuten oblag es damals, Missbrauch von Zauberkräften, Schwarze Künste und Umtriebe der Verderbnis zu verfolgen. Sie verlangten absolute Unabhängigkeit selbst gegenüber dem Erzkanzler und schreckten auch vor extralegalen Tötungen nicht zurück. Nach dem gescheiterten Harnac-Feldzug hatten sie auch den Leichnam Ardors II. in ihre Obhut genommen. Erst an den Toren der Tempel und Klöster endete – erzwungenermaßen – ihre Handlungsbefugnis. Obwohl sie formal gesehen nichts mit den Riasinaten zu tun hatten, entstammte doch die große Mehrheit von ihnen den Reihen dieses Ordens. In den Augen vieler Arbonier und Flutländer hatte Phosphoros damit den Bock zum Gärtner gemacht. Heute gilt es als sicher, dass sowohl die Riasinaten, als auch die Kommissare der Zauberkunst von Botans Knechten unterwandert gewesen sind. Kaum hatte man versprochen, Ardor II. endlich zur Bestattung freizugeben, musste Phosphoros auch schon zugeben, dass die Schwarzen Cirkater den Leichnam von seinem geheimen Aufbewahrungsort geraubt hatten. In Folge dieses Versagens nahm man die kundigen Amtleute immer weniger ernst, was den Niedergang ihrer Institution in Gang setzte. Sie schienen das Gegenteil dessen zu bewirken, wofür sie ernannt worden waren: Statt finstere Machenschaften aufzuklären, trugen sie zu einer Stimmung des Misstrauens bei. Statt das Ansehen der Kundigen zu stärken, trieben sie die traditionellen Hexen, Hexer und Schamanen reihenweise ins Exil und anstatt die Kanzlerherrschaft zu stützen, ignorierten sie öfter als gelegentlich Phosphoros Autorität. Kein Reformversuch fruchtete. Als das Kommissariat fünf Jahre später aufgelöst wurde, war es längst nur noch ein Schatten seiner selbst.

In Flutland und Arbon verbreitete sich in diesem Klima die Einschätzung, dass man in Zeiten des Sittenverfalls leben müsse, in denen die Ideale der Reichsgründung ins Absurde verkehrt wurden und man im Begriff war, Trigardon in ein moralisches Ödland zu verwandeln. Stimmen wurden lauter, die das Reich mit zwei zusammengewachsenen Kälbern verglichen, nur verbunden durch das dunkelwäldische Geschwür. Ende der Zwanziger- und im Verlauf der Dreißigerjahre wurden die Stämme insgesamt deutlich konservativer. Die Geistlichen und Sippenoberhäupter gaben zwar den Reichsgedanken nicht gänzlich auf, doch betonten Flutländer und Arbonier ihre eigenen politischen Traditionen und nahmen sich mehr und mehr Unabhängigkeit gegenüber der Regentschaft des Erzkanzlers heraus.

Flutlands alter Heerführer Drebick siechte zwar noch immer vor sich hin, doch hatte er seinen Schildträger Trogan als Nachfolger designiert. Arybors Tochter Marsiane behauptete ihren Anspruch als Gräfin Flutlands und Ystjarson Crul und adoptierte den neuen Heerführer. Auf diese Weise beendete der Stamm des Ischan seinen schwierigen Führungswechsel im Jahr 29. Die lange Übergangsphase hatte dort die Vorstellung von einer zwar einvernehmlichen, doch jeweils sehr eigenständigen Herrschaft der 14 Sippenoberhäupter gestärkt. Nun verlieh die flutländische Geistlichkeit der Ystjarson Crul nur zu gerne das zusätzliche Prestige, dass ihr Vorrang unter den Sippenoberhäuptern göttlich gewollt und seit jeher dagewesen sei.

Emendon seinerseits verlor nach seiner Bestätigung als Graf keine Zeit, mit seiner eigenen schriftlichen Fassung arbonischen Rechts aufzuwarten. Sein Ständeedikt basierte zwar im Wesentlichen auf dem von Caroman II., erklärte nun aber wie selbstverständlich vormals hochfürst-liche Rechte zu denen des Grafen von Arbon. Schon im Prolog machte er deutlich, dass er, weil es keinen Hochfürsten gab, sich als einziger legitimer Rechtsnachfolger der Könige von Altgar ansieht und seine Stellung nicht etwa vom Erzkanzler verliehen, sondern von den Göttern gegeben sei. Arbons Adel und Klerus erhoben keinerlei Einwände.

In den letzten beiden Jahren der Kanzlerherrschaft,
als Emendon und Marsiane sich als Anführer ihrer Stämme etabliert hatten, hatten sie auch ein jeweils spezifisch flutländisches und arbonisches Herrschaftsverständnis verwurzelt. Mit diesen Ideologien ausgestattet konnten beide dauerhaft keinen anderen Herrscher über sich dulden, wenngleich sie die gemeinsamen Reichsinstitutionen durchaus erhalten wollten.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die fehlende Bestattung Ardors II. den all die Jahre ausgebliebenen Aufstand gegen die Kanzlerherrschaft in Gang setzte – wenngleich er von gänzlich unerwarteter Seite begonnen wurde: Eine im Harnac-Feldzug verscholle Schar Reiter und Stammeskrieger unter der Führung des Danason-Bruders Ephraym anh Dorec kehrte im Herbst des Jahres 31 in die Heimat zurück. Sie behaupteten, Ardor II. lebendig gesehen zu haben und nun für seinen legitimen Thronanspruch einzutreten. Völlig überraschend besetzten sie Burg Bärenfels. Unter ihrem Kastellan Gimor Nias anh Rhack, dem Sippenoberhaupt der Rhack der Batruschan-Linie, schloss sich die Burgbesatzung und kurz darauf auch die Sippe des Kastellans Ephraym an.

Es folgte ein zäher Aufstand, der erst fünf Jahre später beendet wurde, wenngleich er nie große Erfolgsaussichten hatte und militärisch gänzlich auf das Umland des Dugor Harog beschränkt blieb. Ephrayms Parteigänger hatten vermutlich von vornherein keine Chance darauf, moralisch-politische Deutungshoheit über die hochfürstliche Nachfolgeproblematik zu erlangen. Dabei brachte ihnen die Gegnerschaft zum Erzkanzler und das Anprangern riasinatischer Verschwörungen bei den Arboniern und nicht wenigen Flutländern durchaus Sympathien ein. Nach ihrer Erzählweise hatte Ardor II. den Harnac-Feldzug überlebt, war danach aber von den Kommissaren der Zauberkunst eingekerkert worden und sei schließlich durch den Eingriff des Schicksals entkommen, um nun seine rechtmäßige Herrschaft anzutreten und Rache an seinen Feinden zu nehmen. Es fehlte ihnen allerdings der entscheidende Beweis für ihre Geschichte: Ein öffentlicher Auftritt des einstigen Grafen von Arbon. Diese Erzählung stand einer zwar schmerzlichen, ungern ausgesprochenen, aber schon etablierten offiziellen Wahrheit gegenüber: Geistliche und Kundige hatten bereits seit Mitte des Jahres 29 von Omen berichtet, denen zufolge der Leichnam Ardors II. von den Schwarzen Cirkatern zum Lebenden Toten erhoben worden sei. Auch für diese Version gab es zwar keinen öffentlichkeitswirksam zu erbringenden Beweis. Aber sie hatte gute zwei Jahre Zeit gehabt, sich in der Oberschicht zu verbreiten, ehe sie in Frage gestellt wurde. Allen damit verbundenen Ängsten und Schamgefühlen zum Trotz war der Klerus fast ohne Ausnahme darauf festgelegt, in den Aufständischen Verführte der Verderbnis zu sehen. Nachdem die Wirkung seines spektaktulären Anfangscoups verflogen war, schlossen sich Ephrayms Sache vorerst nur noch politische Außenseiter und Enttäuschte, aber keine weiteren mächtigen Meinungsführer an.

Dennoch löste der Konflikt ein politisches Erdbeben aus. Als Phosphoros Anfang des Jahres 32 das Reichsthing versammelte, um über die Bedrohung durch den vermeintlichen alten Grafen zu beraten, gewann Algonkin, der Statthalter der Ostprovinz, die Großen dafür, einen eigenen, legitimen Hochfürsten zu wählen.

Überraschend erklärten Marsiane und Emendon ihre Verlobung und verkündeten ihren gemeinsamen Anspruch auf den Thron, der einstimmig bestätigt wurde.

Vermutlich hatte nicht zuletzt die Aussicht darauf, dass sonst wohl der Erzkanzler selbst gewählt worden wäre, sie zu diesem Schritt veranlasst. Auf dem Fest der Freundschaft 32 n. K., auf dem der Graf von Arbon und die Gräfin von Flutland heirateten, übergab der Erzkanzler formal die Herrschaft an das neue Hochfürstenpaar, legte sein Amt als Tempelvorsteher des Hochtempels des Riasion nieder und begab sich auf eine wundersame Reise in die Geisterwelt. Das Reichsthing hatte noch weiter reichende Folgen. Emendon sah in dieser Zusammenkunft die seltene, für ihn persönlich erste Gelegenheit, Philonius öffentlich mit harschen Vorwürfen zu konfrontieren, nach denen die Riasinaten in einen großen Teil der finsteren Machenschaften verwickelt seien, die das Reich in Aufruhr versetzten. Dabei stützte er sich auf verschiedene Protokolle von Zeugenaussagen und abgefangene Briefe, welche in den Jahren zuvor von Adrians Getreuen und den Danasonbrüdern zusammengetragen worden waren. Auch wenn die meisten offenen Fragen für immer unbeantwortet bleiben sollten, gestand Philonius die Anwendung Schwarzer Künste bei seiner Verschwörung zum Sturz Caromans II.: Rund um den bergischen Aufstand hatte er Jurek anh Rhack, Drebick anh Crul und einige einflussreiche Amtleute aus dem näheren Umfeld des Hochfürsten ermorden lassen, um sie gleich darauf zu Lebenden Toten zu erwecken und unter seinem Zauberbann zurück in ihre alten Positionen zu schicken. An den Befehl des riasinatischen Ordensmeisters gebunden hatte Drebick nach Arybors Tod den zweiten, im Ergebnis für die Flutländer völlig sinnlosen zweiten Aufstand gegen Caroman II. begonnen, in dem Jureks Verrat zum Tod des Hochfürsten geführt hatte. Diese Offenbarung erklärte auch Drebicks langes Siechtum, von dem er erst jetzt, nach dem Bekanntwerden der Wahrheit, erlöst wurde.

Obgleich der oberste Kommissar der Zauberkunst Philonius sofort selbst aburteilen und hinrichten wollte, beschlossen die hohen Ratsherren, ihn bis zu seinem Prozess vor dem Tribunal unbehelligt zu lassen, denn schließlich erfordert das Reichsthing die Unverletzlichkeit aller Anwesenden, um bestehen zu können. Doch das war sicher nicht der einzige Grund, Philonius vorerst ziehen zu lassen. Es bestand durchaus die Hoffnung, weitere, für den Kampf gegen Botans Knechte wertvolle Informationen vom Grafen von Dunkelwald zu erhalten und darüber hinaus stand der Verdacht im Raum, die Kommissare könnten diese Quelle rasch zum Versiegen bringen wollen, um eigenes Fehlverhalten zu vertuschen. Philonius aber dachte natürlich nicht daran, sich einem Gerichtsverfahren zu stellen, sondern ging ins Exil. Zwar verurteilte das Tribunal ihn in Abwesenheit zur Vogelfreiheit. Das jedoch gab den Riasinaten Gelegenheit, die Rechtmäßigkeit des Urteils in Frage zu stellen und auf Yddland und in der Ostprovinz Verbündete für die Absetzung des neuen Hochfürstenpaars zu sammeln. Ehe daraus aber eine neue Aufstandsbewegung hätte werden können, traf den nicht mehr jungen, von zuletzt schwindender Gesundheit geplagten ehemaligen Grafen von Dunkelwald Ende des Jahres 32 der Schlag.

Auch die Kommissare der Zauberkunst überstanden den Herrschaftswechsel nur kurz. Ihr Vertreter hatte Philonius zwar im Tribunal noch mit verurteilt, trat aber danach von seinem Amt zurück und verließ Trigardon für immer. Darauf folgende Führungsstreitigkeiten und die heimliche Flucht diverser Kommissare lähmten die Reichsinstitution, bis die neuen Hochfürsten sie zwei Jahre später nach einer Reihe peinlicher magischer Unfälle auflösten.

Während es noch unklar war, ob die Hochfürsten mit Rebellionen im Dunkelwald, auf Yddland und in der Ostprovinz konfrontiert werden würden, weitete sich auch der Aufstand rund um Ephraym anh Dorec aus. Das Kleine Volk hatte nicht vergessen, dass die Flutländer viele der Ihren zehn Jahre zuvor aus ihren nördlichen Siedlungsgebieten vertrieben hatten. So werteten sie Emendons Hochzeit mit Marsiane als Treuebruch ihres Lehnsherrn und entschieden sich dafür, lieber an Ardors II. Überleben zu glauben. Aus gewohnter Treue zu Flint anh Harog schlossen sich auch einige seiner arbonischen Vasallen dem Aufstand an. Zusätzlich kehrten zwei Verwandte des alten Grafen von Arbon, Modryas und Aryane anh Rhack, aus dem Exil zurück. Nach Caromans II. Ermordung hatten sie sich mit ihrem Sippenoberhaupt überworfen, nun wollten sie für seine (und ihre eigenen) Rechte eintreten, gewannen ein paar Verwandte für sich und bildeten damit de facto eine vierte Sippe (die im Nachhinein sogenannte Ardor-Linie) der zersplitterten anh Rhack. Damit war nun eine ganze arbonische Region, das gesamte Kleine Volk, zwei von vier Sippenzweigen des alten Herrschergeschlechts sowie mehrere kleine Häuser in offener Erhebung gegen Emendon. Dabei blieb es dann allerdings. Hochfürst und Hochfürstin verlegten sich auf eine Aufgabenteilung, in der es vor allem Marsiane zukam, Yddland, die Ostprovinz und die Bewohner des Dunklen Waldes von ihrer Unterwerfung unter den Thron zu überzeugen, während Emendon sich auf die Rebellen in Arbon konzentrierte. Er wiederstand der Versuchung, den Kampf ins Hochland zu tragen, um eine rasche Entscheidung herbeizuführen. Stattdessen holte er sich Burg Bärenfels zurück und beschränkte sich darüber hinaus darauf, seinen Gegnern den Zugriff auf das Vorgebirge (und damit die Konsolidierung ihrer Versorgungslage) zu verwehren. Er wusste, dass seine Herrschaft über Arbon nicht wirklich bedroht war, so lange er mit dem Längstal und dem Tejadun die wirtschaftlich und militärisch bedeutendsten Landschaften ganz Trigardons kontrollierte. Neben seiner eigenen Sippe und den Danasonbrüdern standen auch die Mutter Ardors II., Arda Derya anh Rhack, alle leiblichen Nachkommen des Heiligen Caroman, die anderen alten Sippen und vor allem die arbonische Priesterschaft fest an seiner Seite. Daher stand seine Legitimität nie ernsthaft in Frage. Er baute auf das Erlahmen des Kampfeswillens der Auf-ständischen, die vergeblich darauf warteten, dass Ardor II. sie aus ihrer misslichen Lage im Hochland befreien würde.

Im Jahr 34 gelang es, Flint anh Harog bei dem Versuch gefangen zu nehmen, einen mutigen, aber unklugen Vorstoß zu unternehmen. Es mag einer Mischung aus zwergischer Sturheit und der Verzweiflung der abtrünnigen anh Rhack geschuldet sein, dass die Kämpfe noch zwei weitere Jahre andauerten. Erst als sich Hochfürst und Hochfürstin miteinander überwarfen und neuer Krieg zwischen Arboniern und Flutländern drohte, willigte Flint ein, Emendon die Treue zu schwören und ihm die aufständischen Arbonier auszuliefern. Einigen wurde vergeben, andere wurden zum Tode oder zu lebenslanger Klosterhaft verurteilt, wieder Anderen gelang die Flucht. Vier Jahre später tötete Ephraym sich im Exil selbst. Das Kleine Volk war das eigentliche Rückgrat des Aufstandes gewesen. Ihnen war es nie wirklich um Ardor II. gegangen, sondern vielmehr darum, sich keiner flutländischen Hochfürstin unterwerfen zu wollen.

Doch wie war es zum Zwist zwischen Emendon und Marsiane gekommen? Die ersten vier Jahre nach dem Ende der Kanzlerherrschaft hatten ihre Taten noch einvernehmlich gewirkt und waren nicht ohne Erfolge geblieben. Unter ihrer Führung hatte das Reichsthing nicht nur die Ersetzung der Kommissare der Zauberkunst durch die Hofkundigen der Großen, sondern darüber hinaus auch eine umfassende Neuordnung der trigardonischen Reichsgesetze beschlossen. Gemeinsam hatten Emendon und Marsiane durch kluge Verhandlungen die Autorität des Throns in den überseeischen Provinzen wiederhergestellt, eine offene Erhebung des Dunklen Waldes verhindert und den Aufstand im Dugor Harog eingedämmt. Darüber hinaus war sogar Zeit geblieben, bei einem kurzen Krieg einiger Inselvölker gegen das südlich des Tinarischen Meeres gelegene finstere Reich von Torog Nai, dem legendenumrankten Feind der Völker der Mittellande, Unterstützung zu leisten.

Dennoch konnten Teilerfolge und gemeinsame Interessen nicht überbrücken, dass der Hochfürst und die Hochfürstin füreinander keine politischen Wunschpartner waren, egal wie gern manche Geistliche ihre Verbindung als symbolische Versöhnung der Weltväter werteten.

Tatsächlich konnte die Ehe der Hochfürsten weder den flutländischen, noch den arbonischen Vorstellungen eines sittsamen Lebenswandels genügen. Das Erbrecht arbonischer und flutländischer Sippen hatte noch nie miteinander verbunden werden müssen, insbesondere nicht auf der Ebene der obersten politischen Führer. Eine Zusammenführung der Haushalte des Erlenfelser Sippenoberhauptes mit dem der anh Crul schien ebenso ausgeschlossen wie ein Zusammenschluss beider Häuser in der nächsten Generation. Marsiane war vor und parallel zu Emendon bereits mit einem anderen Ehemann verheiratet, was nach flutländischem Recht bei Sippenoberhäuptern üblich ist. Das Selbstwertgefühl der Arbonier konnte das zwar problemlos dadurch verschmerzen, dass auch Emendon weiterhin, wie schon vor seiner Hochzeit, mehrere offizielle Konkubinen hatte. Doch es zeichnete sich deutlich ab, dass keines von Marsianes Kindern vom arbonischen Adel als künftiges Stammesoberhaupt akzeptiert werden würde, da Emendons Vaterschaft stets in Zweifel zu ziehen war. Vor diesem Hintergrund führte Emendons Ankündigung, die Mutter seines ältesten Sohnes zur zweiten Ehefrau nehmen zu wollen, sowie die Geburt von Marsianes Zwillingen Ende des Jahres 34 bei den Beratern beider Seiten zu angespannter Stimmung. Dabei half es auch nicht mehr, dass die Hochfürstin ihren Gatten aus erster Ehe nach der Geburt verstieß.

Mit ausreichendem politischem Willen hätte sich vermutlich eine für beide Seiten befriedigende Lösung der dynastischen Fragen finden lassen. Doch das Verhältnis zwischen den Eliten der Flutländer und Arbonier war von althergebrachter Rivalität geprägt und das persönliche Verhältnis zwischen einflussreichen Einzelpersonen beider Stämme nach all den Kämpfen und Intrigen der vergangenen Jahre durch tiefes Misstrauen belastet. Wenn Krisen zu meistern waren, die den Machterhalt beider Hochfürsten bedrohten, konnten sie zusammenarbeiten. Doch darüber hinaus standen sie sich häufig (und zuweilen nicht ungern) gegenseitig im Weg.

Der wichtigste ungelöste Streitpunkt zwischen den Umfeldern Emendons und Marsianes betraf den Dunklen Wald und das erodierende riasinatische Vermächtnis. So befürwortete der arbonische Adel eine Aufteilung des Gebietes und die Annullierung seines Status als Grafschaft, während Marsiane seine gräflichen Rechte nach Philonius Verurteilung für sich beanspruchte. Kompromisse wie die anfängliche Verwaltung des Dunklen Waldes im Namen der Hochfürstin, aber ausgeübt durch einen Ritter der Danasonbrüder, blieben kurzfristige Notlösungen. Es bestand der Grundwiderspruch, dass Emendon aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit in den politischen Strukturen des Dunkelwaldes einen steten Quell der Zwietracht zwischen den Stämmen sah, Marsiane sich jedoch persönlich verpflichtet fühlte, eben diese Strukturen zu bewahren.

Ihre Sicht der Dinge lässt sich leicht dadurch erklären, dass ihre Mutter eine Vasallin des Philonius und Riasinatin war. Erst im Alter von vierzehn Jahren hatte die junge Marsiane beschlossen, fortan in der Sippe ihres Vaters zu leben. Ohne die großzügige Unterstützung des Erzkanzlers hätten die anh Crul sie später sicher nicht ohne Weiteres als ihr Oberhaupt akzeptiert. Nachdem Philonius entmachtet worden war, hielt dieser in Todesahnung seinen letzten Willen fest und vermachte Marsiane seinen aberkannten Grafentitel wie ein letztes vergiftetes Geschenk. Wenngleich die Rechtsgelehrten beider Stämme dieses Testament für ungültig halten, war und ist es bis heute eine wichtige Legitimationsgrundlage für Marsianes Herrschaft über den Dunklen Wald.

Anfang des Jahres 36 setzte sie endgültig ihren Willen durch – und zwar auf eine Weise, die zum Bruch zwischen den Stämmen und zur Teilung des Reiches führte: Sie ließ verkünden, dass Emendon versucht habe, ihre Zwillinge zu ermorden, unrechtmäßig auf dem Thron sitze, kein Recht auf den arbonischen Grafentitel habe und darüber hinaus vogelfrei sei. Der Stamm der Arbonier solle sich lieber Modryas anh Rhack, dem legitimen Erben Ardors II. unterwerfen. Gleich wie substanzlos die Vorwürfe und wie hanebüchen die rechtlichen Grundlagen ihrer Proklamation waren, Emendon musste verdutzt feststellen, dass sie es ernst meinte und die relevanten flutländischen Kriegsherren sich darauf vorbereiteten, den Worten Taten folgen zu lassen.

Die Arbonier erklärten sich das Geschehen damit, dass die Hochfürstin wahnsinnig geworden sein musste, vermutlich durch Flüche der Riasinaten, und ihre Krieger ihr in blindem Gehorsam ins Verderben folgen wollten. Emendon mobilisierte also sein Heer. Nun fiel es ihm leicht, sich mit dem aufständischen Kleinen Volk zu versöhnen und diesem fiel es seinerseits leicht, die abtrünnigen anh Rhack auszuliefern, die sich offenbar mit Marsiane verbündet hatten.

Der flutländische Angriff unterblieb, was einerseits wahrscheinlich der Abschreckungswirkung durch die klare und geschlossene arbonische Reaktion zu verdanken war, andererseits dem Einfluss der flutländischen Geistlichkeit, die ein neuerliches Aufflackern der alten Stammeskriege nicht gut-heißen konnte.

Statt eines neuen Bürgerkrieges kam es zur Aufteilung der Grafschaften und Provinzen in einen flutländischen und einen arbonischen Reichsteil, die sich die folgenden fünf Jahre über misstrauisch beäugten.

Regelmäßig, zuweilen sogar mehrmals im Jahr, wurden die Arbonier zu den Waffen gerufen, um vermeintliche flutländische Überfälle abzuwehren, die sich jedoch jedes Mal als Fehlalarm entpuppten.

Die Spannungen waren so groß, dass man noch nicht einmal gemeinsame Danturniere abhielt, sondern das Fest der Freundschaft zu unterschiedlichen Terminen feierte und sowohl in Emendons, als auch in Marsianes Reich ein jeweils eigener Dan einem eigenen, unvollständigen und faktisch handlungsunfähigen Tribunal vorsaß, dessen nunmehr rein symbolische Autorität von der anderen Seite nicht anerkannt wurde.

Auch das Reichsthing konnte nicht mehr versammelt werden, was den arbonischen Adel dazu veranlasste, seinem Stammesthing eine stärkere Rolle zuzuweisen, als es in den Jahren zuvor gehabt hatte. Es wurde zur wichtigsten Beratungsinstanz des Herrschers. Dort versammelten sich nicht mehr nur arbonische Adelige, sondern sämtliche Vasallen des Hochfürsten sowie auch die Priester seines Reiches.

Doch all der Nervosität und den hohen Kosten der stetigen Kriegsbereitschaft zum Trotz erlebten die meisten Untertanen Emendons von 36 bis 41 fünf ausgesprochen gute Jahre in überdurchschnittlich friedlichen und stabilen Verhältnissen. Auch deshalb sieht man in Emendons Reich, wie es sich mit der Reichsteilung formte, kein vergängliches Zufallsprodukt, sondern ein dauerhaftes Gebilde. Vor allem gehörten ihm neben der Grafschaft Arbon nun auch Altberg und die Ostprovinz an, deren vielfache wirtschaftliche und persönliche Verflechtungen von seinen Bewohnern als vorteilhaft empfunden wurden. Auch die Formen der Machtausübung in diesen drei Gebieten ähnelten einander mittlerweile sehr.

Als es in Folge von Marsianes Proklamation nach neuerlichem Bruderkrieg roch, beschloss Gräfin Amsira ihren trigardonischen Titel und ihre indirekte Herrschaft über Altberg aufzugeben, um ihre Heimat Vada aus dem Konflikt herauszuhalten. Ihr bergischer Verwalter Adalbert von Katernberg ließ sich daraufhin von den Edlen seines Stammes zum Heerführer wählen und organisierte Vasallenverbindungen aller altbergischen Grundherren zum Hochfürsten. Die Gründe dafür waren die gleichen, aus denen sich Altberg zwanzig Jahre zuvor überhaupt erst Trigardon angeschlossen hatte: Man orientierte sich politisch wieder am Kleinen Volk und wollte die günstige Lage als Handelsplatz zwischen Arbo und Thalan absichern. Emendon „ernannte“ Adalbert also zum Marschall von Altberg und übertrug seinem Amt gräfliche Befugnisse.

In der Ostprovinz gestaltete sich die politische Gemengelage ähnlich. Auch hier erschien der regionalen Elite eine Zugehörigkeit zum arbonischen Reichsteil als sinnvoll. Emendon bestätigte dem Statthalter (nun „Seneschall“ genannt) die gräflichen Befugnisse seines Amtes und definierte gemäß Algonkins Vorschlägen zwei Baronien in der Ostprovinz, die er diesem und seinem ehemaligen Knappen als Lehen gab.

Mit Ausnahme Yddlands, das sich vorerst Marsianes Reich anschloss, gehörten Emendons Reich nun alle trigardonischen Territorien an, in denen sich flächendeckend regionale Ordnungsprinzipien auf der Basis von Grundherrschaft entwickelt hatten. Die Legitimität dieser Ordnungsprinzipien hing von lehnsrechtlichen Konstruktionen ab, deren Quelle nunmehr überall in seinem Reich der Hochfürst war. Im flutländischen Reichsteil war das nur ansatzweise oder gar nicht der Fall. Insbesondere nach Yddlands Unabhängigkeitserklärung, die nur wenige Monate nach der Reichsteilung erfolgte, spielten dort grundherrschaftliche Organisationsformen und Lehnsverträge kaum noch eine Rolle.

Das Verhältnis zwischen den Teilreichen bedurfte natürlich früher oder später der Klärung. Auch wenn Beide ihre inneren Angelegenheiten augenscheinlich selbst regeln konnten, oftmals besser als zuvor, gehörten sie dem Namen nach als Hochfürstentum Trigardon zusammen und die Geistlichkeit legte Wert darauf, dass diese Tatsache nicht in Vergessenheit geriet. Auch waren Emendon und Marsiane offiziell immer noch verheiratet.

Im Jahr 41 war es dann Trogan, der Emendon die Hand zum Frieden ausstreckte, was dieser mit Vorsicht, aber ohne Zögern annahm.
Beim Fest der Freundschaft einigten sich beide Seiten darauf, den gegenwärtigen Status Quo als rechtmäßig anzuerkennen, künftig wieder gemeinsame Danturniere auszurichten und das Tribunal als Schlichtungsinstanz zwischen den Teilreichen einzusetzen. Für dieses neue Verhältnis wurde die Formel geprägt, dass beide Hochfürsten ihre Schutzbefohlenen „unter dem gleichen Dach, aber an zwei Herdfeuern“ versammeln.

Von Marsianes Vorwürfen war keine Rede mehr. Trogan berief sich zwar darauf, im Namen seiner Adoptivmutter zu handeln, führte die Flutländer aber nach dem Vorbild Arybors mittlerweile weitestgehend allein.

Wie auch schon bei der Reichsgründung waren es neben rechtlich-religiösen Motiven wieder strategische Interessen, die den Anlass für eine Einigung lieferten. So waren die Flutländer im Westport von den dort lebenden Orks in Bedrängnis gebracht worden und konnten ihre aggressive Grundhaltung gegen die Arbonier nicht länger glaubwürdig aufrecht erhalten. Auch Emendon hatte durch die beginnende Aussöhnung endlich den Rücken für seine eigenen, schon seit Jahren gehegten Kriegspläne frei.

Sein Ziel war die Eroberung des südlich von Taëria gelegenen Fürstentums Okostria. Schon im Jahr 34 war in Arbon ein sonderbares Schriftstück aufgetaucht, in dem der letzte Wille des entmachteten alten Fürsten von Okostria, Johann von Retraris, festgehalten war. Auf dem Sterbebett hatte er beschlossen, Emendon zu seinem Erben einzusetzen. Innerhalb Okostrias hatte das Testament keine direkten Auswirkungen. Der Usurpator Vladimir de Vries regierte das Land mit harter Hand und stützte sich dabei auf ein Söldnerheer, das sich seinen Veteranenstatus in langem Bürgerkrieg hart erkämpft hatte. Aber die arbonische Geistlichkeit erklärte angesichts des unverhohlenen Einsatzes Schwarzer Künste durch de Vries‘ Getreue, dass der Hochfürst einen Schicksalsauftrag zur Eroberung Okostrias erhalten habe. In den nächsten Jahren war jedoch nicht an einen riskanten Feldzug in der Fremde zu denken. Daher schien dieser Vorsatz so schnell wieder von der Tagesordnung zu verschwinden, wie er aufgekommen war. Unauffällig traf Emendon jedoch weiterhin alle erdenklichen Vorbereitungen. Er ließ nach Bestechlichen in Okostria suchen und schickte Spione dorthin, erlangte die Anerkennung des Testaments von de Vries Nachbarn, versicherte sich König Hagens Unterstützung und fand in Laertes Borund von Dros Rock einen neuen Verbündeten vor Ort, schloss Stillhalteabkommen mit einigen anreanischen Adeligen und ließ die Angriffslust in König Rasims Umfeld so gut ausforschen, wie es eben ging. Geduldig wartete er den richtigen Moment ab, um den Arboniern den großen Sieg zu verschaffen, der die schmerzlichen Erfahrungen der Vergangenheit vergessen machen würde.

Im Jahr 42, in dem alle Trigardonen wieder einen gemeinsamen Dan bekamen, war der Zeitpunkt gekommen. Mit Hilfe der Dros Rocker Verbündeten gelang es, de Vries‘ Hauptheer auf offenem Feld zu stellen, einzukreisen und zu vernichten. Danach wurden Stück für Stück fast alle Städte und Burgen Okostrias belagert, geplündert oder zur kampflosen Unterwerfung gezwungen. Die blutige Landnahme brachte reiche Beute und große Zuversicht in die Heimat. Den übrigen und jeden neuen Widerstand würde man im nächsten Jahr brechen. Obwohl schon von vornherein klar war, dass man auch nach einem Sieg über de Vries mit Problemen in der neuen Provinz würde rechnen müssen und im Krieg wohlmöglich die Saat für weitere Aufstände gelegt hatte, werteten Adel und Klerus in Emendons Reich das Unternehmen als gewaltigen Erfolg. Nie zuvor hatte Trigardon ein so großes Heer fern der Heimat von Schneeschmelze bis Erntezeit im Feld gehalten, nie zuvor einen so gut organisierten Gegner besiegt, nie zuvor einen Feldzug von so langer Hand geplant und durchgeführt. Der Hochfürst hatte die Truppen noch nicht einmal selbst angeführt, sondern einen seiner Ritter, Corgunath Halthred anh Tesch, mit dieser Aufgabe betraut. Er traute dem Frieden mit den Flutländern noch nicht genug, um sein Machtzentrum lange zu verlassen. Daher setzte er seine Lieblingsnichte Rycarda Hecate anh Erlenfels als Statthalterin von Okostria ein und verlobte sie mit Laertes. In diesem Jahr der Versöhnung und des Ruhms, sechs mal sieben Jahre nach Caromans Martyrium, bewiesen die Götter dem arbonischen Reich ihre Gunst. Seine Bewohner blickten auf eine wechselhafte Vergangenheit zurück, in der es an Demütigungen nicht gemangelt hatte. Noch immer waren viele riasinatische Verbrechen ungesühnt, Ardor II. unbestattet und viele finstere Machenschaften, etwa die Herkunft der Montrowischen Plage oder die Absichten der Schwarzen Cirkater, nicht aufgeklärt, würden sich vielleicht nie aufklären lassen. Doch Emendons Untertanen lebten in einem Gemeinwesen, das die Wunden der Vergangenheit mit Mut und Weisheit zu heilen verstand und die Ahnen mit Stolz erfüllte. Es war ein Reich, das Recht und Sitte gegen alle Verschwörungen und Schicksalsschläge zu bewahren gelernt und darin den Schlüssel zum Sieg gefunden hatte.






Bräuche und Sitten

"Erlange Vergebung auf deinem letzten Pfad. Denn siehe: Schuld und Schande sind der Unterwelt fremd. So wie du sie nur unbefleckt betreten darfst, nimmst du von dort nichts mit dir, wenn du geboren wirst."


Rituale im Lebenszyklus – Geburt, Hochzeit, Bestattung

Dingsbums

Kalenderfeste

Wintersonnenwende – Fest der Wünsche – Fest der Freundschaft – Erntefest

Bestandteile von Feiertagen: Orkhatz – Waffenspiel – Evörrsnächte - Sonstiges

Alltagsriten

Morgengebet – Mahlzeiten – Abendgebet

Zeichen für Status und soziale Beziehungen

Sittsame Anrede, symbolische Gesten, Namenskonventionen, Initiations- und Weiheriten

Gastfreundschaft, Herdsegen, Thing und sonstige Versammlungen

Blubb

Sexualmoral

pubertäres Kichern

Mode, Aberglaube und Populäres

Statussymbole, Tracht, Glücksbringer, Redewendungen, Elbenfurcht, Die 8