46/11/29 Zum Rat an geheimem Orte

Aus Trigardon
Wechseln zu: Navigation, Suche

Eine PDF-Version zum Download ist hier: Datei:Zum Rat an geheimem Orte.pdf

Eine IT-Druckversion gibt es noch nicht

Wanderer siehe,

einst, in der finsteren Zeit des Letzten Großen Stammeskrieges, zogen die Waffenprächtigen Ermengar aus Borunds Haus und Batruschec aus dem Hause Rhack in ein fernes Land, um ihrem Schicksal zu folgen. Ermengar war ein von Yddrasaje-Riaplot geliebter Mann, dessen Schild Verndarving vom Muttervater selbst gefertigt worden war, auf dass er Ermengars Sippe stets schützen möge. Denn Ermengars Sippe war so zäh und duldsam, als wären sie vom Kleinen Volke anstatt Menschen – eine Duldsamkeit und Kraft, wie man sie noch heute in ihren Nachfahren, dem Stamme der Dros-Rocker, erkennen kann.

Die beiden Waffenbrüder erreichten eine sonderbare Insel, die wie kein Land war, dass sie je zuvor gesehen hatten. Auf seinen blühenden Auen weideten Auerochsen und in seinem Hochland hatten die Yaks silberne Hufe. Und nichts geringeres als leibhaftige Greifen machten Jagd auf sie. Die Menschen, die sie trafen, waren von hohem Wuchs und in gefärbtes Tuch gekleidet. Sie nannten ihre Insel Hallarand und berichteten von den vielen Völkern und Königen, die dieses Land ihre Heimat nannten.

Ermengar und Batruschec bereisten einige dieser Reiche, doch sollten sie ihr Glück an diesen Orten nicht finden. Denn wie es schon einst gewesen, brachte der Fleiß der Götterfürchtigen den Faulen und Gottlosen die Muße, in Botans Erbe nach dem Geheimnis ewigen Lebens zu suchen. Und was sie fanden, verwandelte sie in Wesen der Gier, in Lebende Tote und in Bewohner der Schatten. Weil sie all jenen, deren Unterjochung ihnen gelingt, die Lebenszeit rauben, um ihr verdammtes Dasein zu verlängern, nennt das Kleine Volk sie die Schait-Ganabim, die Diebe der Zeit. Diese also überzogen Hallarand mit Krieg und blieben vorerst siegreich. Ermengar und Batruschec kämpften erbittert gegen den Feind, doch konnten sie ihm schließlich nicht mehr widerstehen. Als Ermengar fiel, konnte Batruschec nur noch den Kiefernzapfen seines Gefährten in die Heimat bringen, nicht aber seine Asche und auch Verndarving ging verloren. Batruschec aber gelangte nach langer Reise wieder in die Heimat, wo seine Urne gemeinsam mit Ermengars Kiefernzapfen bis in unsere Tage hinein aufbewahrt wurde, wenngleich man die Bedeutung der Waffenbrüder und ihrer Hinterlassenschaften mit der Zeit vergaß.

Ungefähr zur gleichen Zeit, doch ohne Wissen um den arbonischen Königssohn oder den Schildkarl Ermengar, machte sich auch Jari anh Harog, in ihren Tagen die kundigste Lehrerin des Kleinen Volkes, auf den Weg nach Hallarand. Nachdem sie den Kindern Ischans und Natans das Grab der Weltväter gezeigt hatte, wo heute das Kloster Der Allverzeihenden steht, nachdem ihr Gatte aus dem Leben getreten war und nachdem sie Zeugin davon werden durfte, wie ihre Enkel das Laufen gelernt hatten, hörte sie erneut den Ruf der Götter. Im Schein Riasinas und Glanz Riasions trug es sie nach Morad Dûn, einem Königreich des Kleinen Volkes auf der Insel Hallarand, wo sie einen Ort finden durfte, an dem sie aus Geschichten lernen konnte. So stieß sie auf Geschichten vieler Sippen jener Länder und schloss sich schließlich einer verborgenen Gemeinschaft von Getreuen an. In dieser Gemeinschaft fand sie auch ihren neuen Gefährten, Periglom Mit-der-dunklen-Faust, den das Schicksal auf ähnlich wundersame Weise nach Hallarand verschlagen hatte, denn er stammte aus Nachal-Ewenn, das wir heute Steinbeck nennen, einem Land des ewigen Sommers jenseits von Hallarand. Doch auch die Gemeinschaft der Getreuen entging nicht der Verfolgung durch die Diebe der Zeit. Und als Jari zum Sterben kam, gab sie ihrem Gefährten ihre letzten drei Wünsche mit auf den Weg: Den geheimen Zufluchtsort der Getreuen zu schützen, ihrem Gefährten treu zu bleiben und in ihre Heimat zurückzukehren. Und in all der Zerstörung blieb ihr als Urne nur ein Schmuckkasten mit einem großen Stein.

Periglom Mit-der-dunklen-Faust begab sich in den Dugor Harog und übergab die Urne an Jaris Sippe, um danach in seine eigene alte Heimat zurückzukehren. Den Stein indes erbat er für sich selbst als Erinnerung, was die anh Harog ihm gewährten.

Mehr als sieben Menschenalter vergingen, in denen nicht nur die Taten Jaris und Batruschecs und Ermengars beinahe in Vergessenheit gerieten, sondern auch ganz Hallarand. Denn den Dieben der Zeit gelang es, auf der ganzen, gewaltigen Insel eine Herrschaft der Schatten zu errichten. Obwohl sie vom Neid auf die Lebenden zermartert wurden, obwohl die Gier auf das Leben sie blendete und obwohl die Saat der Zwietracht zwischen ihnen immer neue Früchte der Verderbnis trug, so waren sie sich doch einig in ihrer Furcht vor dem neuen Sonnenaufgang, den die Völker der Welt eines Tages auf ihre gestohlene Insel bringen würden. Um diesen Tag so weit wie möglich hinauszuzögern, schickten sie böse Geister an ihre Küsten, um alle mit Wahn zu schlagen, die sich von den Meeren her nähern wollten. Auch brachten sie eine Unzahl von Flüchen und Spionen an die Häfen der Welt, mordeten die Edlen unter den Seefahrern, bestachen den Abschaum unter ihnen und schüchterten die Übrigen so sehr ein, dass niemand mehr ein Wort über ihre ins Dunkel gefallenen Länder verlieren wollte. Und weil sie sich Botans Geheimnisse zunutze machten, verstrichen für sie die Jahre wie Monde, sodass sie noch selbst erleben konnten, wie die Menschengeschlechter Hallarand allmählich vergaßen. Die Zeit verging, es kamen und gingen die Tage Hectors und die des Heiligen Karoman, uns erreichten die Worte der Heiligen Schrift und die Gesetze der Hochfürsten, wir ertrugen die Montrowische Plage, schlugen die Bestienheere in Ost und West, unterwarfen Cajetans Land und Okostria und Weitere und fanden das Blut der Könige des Alten Gar unerwartet auch im Lande Dros Rock vor. Die Zeit verging und es kamen unsere Tage.

Zum Erntefest im sechsundvierzigsten Jahr nach dem Martyrium des Heiligen Karoman erschien unserer lieben Frau Rycarda der Heilige Denubis im Traum. Er führte sie an den Ufern des Derian entlang, der rückwärts floss und sie schließlich fast bis zur Quelle führte. Doch die Quelle lag verborgen unter den Waffen ihres Gatten. „Nur der Besitzer dieser Waffen kann den Blick auf die Quelle freilegen!“, sprach der Heilige Denubis.

Am nächsten Morgen drückte sie die Sorge, doch sprach sie ohne Zögern zu Laertes: „Der Heilige Denubis, der unsere Hochzeit schützte, will, dass du deine Waffen nimmst.“

„Wohin soll ich ziehen?“, fragte der Landnehmer.

„Ich weiß es nicht,“ entgegnete unsere liebe Frau Rycarda, „aber das Schicksal wird es uns früher offenbaren, als es uns jetzt noch gefällt.“

Und so kam es. Wenige Tage später besuchte das Orakel des Heiligen Danason ein Gesicht, welches ihr Taten und Hinterlassenschaften von Batruschec und Ermengar offenbarte. Tief unten im Bärenfels suchte und fand sie Ermengars Kiefernzapfen bei Batruschecs Urne.

Derweil erreichten uns zwei Briefe, einer ging an unseren hochfürstlichen Herrn, Emendon den Frommen, und einer an Laertes Landnehmer. Ihr fürderhin unbekannter Absender stellte sich als Alberic Ohneland vor und lud die Fürsten, die Weisen und die Waffenprächtigen vieler Völker zum Rat. Jener Bruder Alberic lebte ein Leben in vollendeter Demut und war von den Göttern für ein außergewöhnliches Schicksal vorgesehen, um den Sterblichen zugleich ein Wunder und ein Rätsel zu offenbaren: Das silberne Wissen um die verborgene Insel Hallarand erneut aufleuchten und die Lüftung des Geheimnisses unter dem Schutz von Geheimnissen geschehen zu lassen. Doch noch konnte das weder Emendon der Fromme, noch Laertes Landnehmer verstehen. So beschlossen sie zweierlei: Laertes sollte die Einladung annehmen, als wäre sie treuen Willens ausgesprochen, aber dennoch mit einer Falle ihrer zahllosen Feinde rechnen. Und nachdem sie es beschlossen hatten, prüften sie die Worte, die Bruder Alberic ihnen geschickt hatte. Denn Letztgenannter hatte ihnen sowohl von Ermengar, als auch von der weisen Jari geschrieben, wovon die meisten der Gelehrten der trigardonischen Lande nichts mehr wussten. Und siehe: Die Erinnerung an die Reisen der Ahnen nach Hallarand war noch nicht ganz verloren. So machte Laertes sich nicht ohne Misstrauen, doch mit der Mahnung an die Siebzehn Verse auf den Weg und mit ihm ging das Orakel des Heiligen Danason.


Zum Rat an geheimem Orte

empfing sie bescheiden aber trefflich Bruder Alberic. Unter seinem Dach versammelten sich mit ihm und Laertes noch Königin Ain, Herzog Danwyn, ein Erbvasall von Königin Viviane, ein Vasall von Herzog Theoderic, ein Heerführer der Valaren, ein Bote der Priesterfürstin von Steinbeck, eine Botin aus Selphiriol und Weitere und sogar Boten der Verstoßenen.

Zuvor hatte ein Geisterbote aus vergangenen Tagen auf verschlungenen Pfaden seinen Weg zu Bruder Alberic gefunden und ihm Einblicke in die Schicksale nicht nur von Ermengar, Batruschec und Jari, sondern auch von Vorfahren jener aus all dieser anderen Herren Länder gegeben, die dereinst mit ihren Taten je ihre eigenen Spuren in Hallarand hinterlassen hatten. Treu wie ein Hütehund erfüllte der Bote seinen Dienst weit über den Tod derer hinaus, die ihn dereinst geschickt hatten und war dabei um ein vielfaches weiter gekommen, als jede Brieftaube fliegen kann.

Die Gäste staunten und verwunderten sich sehr über das erstaunliche Geistertier, das sie an Alberics Seite erblickten, als er sie empfing. Denn es hatte sich für die Augen der Lebenden sichtbar gemacht mit einer Gestalt, wie keiner der Gesandten sie je zuvor gesehen hatte: Wie ein Geschöpf aus Meerestiefen, aber kein Fisch, in den Farben von Sternenlicht und Regenbogen, aus Fleisch wie gewobenem Licht. Seine Art die Nüstern zu blähen, die Mähne zu schütteln, zu knurren, zu schnurren oder zu wedeln war es, seine Farbe zu verändern. Leider verstand es niemand. Obgleich es viele Menschenalter überdauert hatte, war es dennoch sterblich, wie sich später erweisen sollte. Und weil es so alt war und vielen dabei half, ihr verschüttetes Ahnenwissen freizulegen, benannte man es mit einem Wort der alten jovischen Sprache: Das Luminare, womit man eine Art von Blendlaterne beschreibt. Man sollte es mit „Erleuchter“ übersetzen, wenngleich sein wahrer Name vergessen ist, obwohl er gepriesen sein sollte. Zunächst misstrauten alle dem Geistertier ob seiner Fremdheit und fragten, ob es ein Spion des Feindes sei. Ein schlechter Spion wäre es aus zwei Gründen gewesen: Der Feind hatte weit bessere Spione, wie sich später zeigen sollte, die weniger auffielen. Daneben ist fraglich, ob es die Worte der Menschen überhaupt verstand, denn seine eigene Sprache bestand aus Bildern und Erinnerungen, die allein mit dem sechsten Sinn gehört werden können. Worte waren zwar auch Teil seiner Botschaft, doch blieben es stets die Worte Anderer, die seiner Herren aus der vergangenen Zeit.

Eine dritte Wissensquelle hatte Bruder Alberic an diesem Ort zusammengetragen. Neben dem Ahnenwissen der Versammelten und den Botschaften des Enthüllers war auch ein Schiffskapitän in seiner Gewalt, der für die Schattenherrscher Hallarands Ware geschmuggelt hatte und voller Scham und Schrecken über den eigenen schwärenden Wahn seine Verderbnis gestand. Im Grunde seines Herzens sehnte er sich nach Sühne für seine Schlechtigkeiten, doch nur mit der Mühe einer harten Hand ließen sich ihm die Geheimnisse der Seewege nach Hallarand abringen.

Gemeinsam berieten die Gesandten mit Bruder Alberic alles, was sie über die Vergangenheit der vergessenen Insel noch zusammentragen konnten. Auch brachten die Boten aus Steinbeck den Stein von Periglom mit. Diesem Stein sei es gegeben, sagten sie, den Übergang gesprochener Worte von der sichtbaren Welt in die Unsichtbare, wie auch das Umgekehrte, zu erleichtern. Das Orakel des Heiligen Danason wusste, dass Jaris Geist sich seit je her nicht dazu hingab, mit ihren Nachkommen nur vermittels Weihrauches an ihrer Urne zu sprechen und die Träume, die sie gesandt hatte, waren stets undeutbar geblieben. Der Stein des Periglom musste nun aber das Zeichen sein, Worte mit der alten Lehrerin zu wechseln.

Jari sprach das Folgende: In den vergangenen Jahrhunderten sei es für sie zu früh gewesen, in den Hallen der Allverzeihenden auf die Wiedergeburt zu warten. Denn die Pflichten ihres Lebens seien unerfüllt geblieben. Fürderhin sprach sie das Folgende: In Hallarand gebe es unzählige geheime Orte, die gewiss noch heute der Verderbnis durch die bösen Geister der Schait-Ganabim trotzten. Allein sie heute noch zu offenbaren, sei ihr von Ferne aus unmöglich.

Sie sprach auch von einem Ort der gestaltgewordenen Treue, einem Ort also, der in besonderem Maße vom silbernen Licht der Göttin der Treue berührt worden sein muss. Doch ihr blutete das Herz, als sie erkannte, dass die Natur dieses Mysteriums, das sie dereinst erfahren hatte, bereits in den Nebeln des Vergessens lag.

Folgendes sprach die alte Lehrerin: Sie erfreute sich daran, dass die Versammelten Steine des Schutzes gefunden hatten, mit denen sich die Fluchbringer des Feindes bannen ließen und wünschte sich, sie hätte solche Segensbringer selber schon zu Lebzeiten gehabt.

Jenen Rat gab uns die Kundige: So wie Hallarand groß und weit ist, so hatte es schon vor der Schattenherrschaft viele Völker und Herrscher gekannt, die einander nicht immer friedlich begegnet waren. Und nicht anders sei es heute zwischen den Herren der Lebenden Toten, die einander stets misstrauten.

Folgende Warnung sprach Jari: Das schwarze Pech der Verderbnis dürfe niemals und von keinem je berührt werden. Es erscheine an den schlimmsten Orten der Verfluchung in Hallarand.

Nichts wusste sie zu berichten von den Menschenkindern, die Hallarand bereist hatten und deren Namen die Versammelten inzwischen zusammengetragen hatten. So sprach Jari anh Harog, Tochter der Guril anh Harog, gepriesen sei ihr Name. Man berichtete ihr von den Taten ihrer Nachkommen, so wie es Sitte ist. Man weiß nicht, ob sie erneut zu uns sprechen wird oder ob sie ihre Pflicht nun als erfüllt ansah, da sie von der Nachwelt die Versicherung erhalten hatte, dass man die geheime Insel nicht im Dunklen belassen würde.

Auf diese und viele andere Arten berieten die Gesandten mit Bruder Alberic also alles, was sie über die Vergangenheit der vergessenen Insel noch zusammentragen konnten.

Dabei ereilte den Hochfürsten besorgniserregende Kunde aus dem Phönixreich. Der Großen Und Herrlichen Riaranjoscha wird es bald schon gefallen, sich selbst zur Königin über dieses Land zu machen und es mit Fischen zu bevölkern. Daher sucht das Volk von Königin Ain eine neue Heimat. Emendon der Fromme versprach Hilfe in zweierlei Weise: Getreide und Zuflucht.

Schreckliche Kunde brachte Vivianes Erbvasall aus Kirson: Schon vor fünf Jahren hatten die Lebenden Toten es mordbrennend in die Finsternis gestoßen und alle getötet, die nicht hatten fliehen können. Wir beten für die Lebenden und für die Seelen der Märtyrer.

Die Anwesenden versprachen einander gegenseitig Rat und Hilfe.

Die Anwesenden beschlossen auch das Folgende: Bruder Alberic wird an geheimem Orte mit seinem Haushalt Zuflucht finden und nur jene, die es beschlossen, wissen, wer in den Kreisen des Rates ihm seinen Schutz gewährt. Und nur jener allein darf wissen, wo Bruder Alberic künftig mit dem gesammelten Wissen leben wird.

Fürderhin fasste der Rat folgenden Beschluss: Laertes Landnehmer wird das Licht des Wissens ins Dunkel Hallarands bringen. Wer ihm folgen will, den verlorenen Verndarving erneut zu gewinnen, Häfen und Orte der Zuflucht in Hallarand zu finden, den Kampfeswillen der Geknechteten in den Reichen der Schattenherrscher anzufachen und die Diebe der Zeit herauszufordern, der solle seiner Führung vertrauen. Alle jubelten. Und seinem Ratschluss soll es obliegen, von welchem Hafen und mit wie vielen Schiffen sie in See stechen werden. Alle sagten, dass es so sein solle. So wurde am dreizehnten Sion der elften Sina im sechsundvierzigsten Jahr nach dem Martyrium des Heiligen Karoman Laertes Landnehmer aus Borunds Haus zum Heerführer gewählt. So wurde es gesprochen und so soll es geschehen. Als dies gesprochen und geschehen war, warnte uns der Erleuchter noch ein letztes Mal vor dem Hochmut seiner alten Herren, der seinen Beitrag zu ihrer Niederlage beigesteuert hatte. Sodann verstarb das treue Geistertier. Im Kreis seiner Getreuen übergab Laertes Landnehmer den Kiefernzapfen Ermengars, der sieben Menschenalter an Batruschecs Urne gewartet hatte, dem König der Unterwelt und versprach Rache.


Drei Hiebe führte der Feind

gegen uns aus: Einen durch Flüche, einen durch Spione und einen durch Verlockung. Denn obwohl man an geheimem Orte Rat hielt, war es dem Feind dennoch nicht gänzlich verborgen geblieben.

Der erste Hieb brachte böse Geister ins Haus von Bruder Alberic. Zunächst befielen sie die Gemüter mit einer Kälte, die mächtig genug gewesen wäre, um Einsamkeit, Furchtstarre und Irrsinn auszulösen. Die Versammelten aber unterwarfen sich dem Gastrecht mit einer Strenge, die den Rössern der Zwietracht alle Freiheit nahm. Sie ehrten das Herdfeuer mit Liedern und Geschichten. Sie lachten laut an der Tafel und keiner verstieß seinen Tocelem aus dem Kreis. Vor so viel Sittsamkeit konnten die Schadgeister des Feindes nicht bestehen, weshalb sie einen anderen Weg suchen mussten.

Leider fanden sie ihn. Die Mägde und Knechte Bruder Alberics waren wenige an der Zahl und hielten ihm wie auch einander stets die Treue. Mit ihm hatten sie bereits stattliche Reisen bewältigt, da er schon seit längerer Zeit den Nachstellungen des Feindes auszuweichen gelernt hatte. Daher waren alle auch fremd an dem geheimen Orte des Ratschlusses. Alle bis auf einen, denn einen Getreuen muss man stets haben, der den Ort des Herdfeuers aller besser kennt. Dieser war Jäger am Orte und hatte schon zu lang allein dort gelebt, man weiß nicht, aufgrund welchen Zwists mit seinen Ahnen. Er war es gewohnt, allein im tiefen Wald zu wandeln. Weil er ein Geschick darin besaß, brachte er oftmals reiche Beute heim und keiner fragte, wie weit ihn seine Füße das nächste Mal tragen würden. Und da er noch wenig vertraut mit Alberics Haushalt war, unterschätzte er die Gefahr, die von der Ankunft der Gäste auch für ihn ausging. So fanden die bösen Geister der Schait-Ganabim, die im Hause sich geschlagen geben mussten, den Jäger einsam in der Dunkelheit. Es gelang ihnen, von seinem Geist in seinen Leib zu fahren und mehr zu tun, als nur Fieber oder Ausschlag zu bringen, wie andere Geister es tun. Mit der gestohlenen Macht aus Botans Erbe waren sie fähig, sich in sein Fleisch zu kleiden durch eine perverse Verhöhnung des heiligen Geburtsaktes, was freilich den Jäger mit qualvoller Langsamkeit zu Tode brachte. Durch dieses Schicksal wurde sein Name zur grausigen Mahnung daran, dass der Einzelne nichts, der Haushalt aber alles ist. Und sein Name war Jakob Feldhaas, der ohne Schande und Verrat sein Leben geben musste am zwölften Sion der elften Sina im sechsundvierzigsten Jahr nach Karomans Martyrium. Möge seine Seele den Weg in ein besseres Leben finden und die Warnung seines Todes, dass die Einsamen eine Gefahr für alle sind, niemals verhallen.

Die fleischgewordenen Daimonen, nun ausgestattet mit Macht, in der sichtbaren und in der unsichtbaren Welt zugleich zu wirken, zögerten nicht, das Haus mit ihrer Schlechtigkeit zu überziehen. Dazu begingen sie dreierlei Taten: Ihre giftige Saat derart zu versprühen, dass die Sterblichen ihrer üblen Frucht zur Nahrung werden würden. Die Kundigen unter den Gästen aber wussten Rat, denn es ist ein Kraut gegen Solcherlei gewachsen. Durch die Gnade der Meret-Riaplot forderten die gifttriefenden Klauen der Unholde keine weiteren Todesopfer. Zugleich hörten sie nicht damit auf, den Seelen der Anwesenden nachzustellen. Sie erschienen ihnen in Träumen, in Schatten und sogar über dem heiligen Herdfeuer. Nur Schrecken zu verbreiten und auf Gelegenheit zur Mordtat zu warten war die Absicht ihrer Taten, wie es zunächst schien. Doch diente ihnen das auch zur Ausführung ihrer dritten Tat: Der Herbeirufung ihres Leitwolfs, eines in nachtschwarze Häute gekleideten Wesens von unbeschreiblicher Hässlichkeit, einer Harpye nicht unähnlich, doch nur so, wie eine Fratze einem Lächeln ähnelt. Von dessen Hilfe erhofften sich die Ungeheuer den Sieg im Kampfe. Dies Wesen brauchte, um leibhaftig zu erscheinen, die Witterung der Beute. Nicht selten nehmen Geisterwesen die Witterung auf, indem sie zuerst die Träume ihrer Opfer vom Ahnensegen trennen und sich als Alpdruck auf die Herzen setzen. Doch dadurch sind auch die Opfer gewarnt. Diesen Umstand wussten die Kundigen zu nutzen, indem sie sich nicht auf ein langwieriges Kräftemessen aus Bann und neuerlichem Fluch und neuem Bann einließen, sondern indem sie selbst die Scheußlichkeit zum Schlachtfeld ihrer Wahl riefen. Und dort obsiegten die Unseren. Denn ein auf Sicht geschossener Pfeil bringt Gefahr, ein Pfeil aber der dorthin fliegt, wo der Feind stehen wird, bevor er es noch selber weiß, der bringt den Tod.

Dies war der erste Hieb der Schait-Ganabim. Sie führten ihn mit Flüchen aus und wir parierten ihn.

Der zweite Hieb, nicht weniger tückisch, wurde gleichzeitig mit dem ersten ausgeführt. Er machte sich die Schwäche der Menschen zu nutze. So hatten die Diebe der Zeit sich der Lieben eines Kundigen bemächtigt und ihn durch Drohung dazu gebracht, ihr widerwilliger Knecht zu werden. Er streute falschen Rat und lauschte allen Einsichten, um sie später an seine Herren weiter zu geben, was ihm später vermutlich auch gelang. Doch weil er sich stets hüten musste, seine Absicht zu verschleiern, hielt sich der Schaden, den er damit brachte, in Grenzen. Auch hatte der Feind keine Gelegenheit gehabt, sich einen besseren Spion zu suchen. Der Kundige, den er gefunden hatte, besaß zwar Wissen und Macht in seinem Lande aber keinen guten Leumund unter den Gesandten oder dem Gastgeber. So dachte jeder zweimal darüber nach, was man ihm sagte und prüfte seinen Rat stets gegen die Weisheit und das Wissen anderer. Schließlich muss gesagt sein, dass der Spion seine Taten des Verrats nur widerwillig beging und er sich daher stets für das kleinere Übel entschied.

So wollte er auch Zwietracht schüren, als die Verstoßenen mal wieder unerträglich wurden. Theoderics Vasall hatte schon gefordert, dass der Preis für eine Einigung das Versprechen der Elben sein müsse, im Walde von Brionne niemals wieder Menschenkinder zu stehlen. Dies Versprechen wurde nur zu billig von den anwesenden Verstoßenen gegeben, die keinen Hehl daraus machten, dass sie nie von Brionne gehört hatten und auf diese Weise der gerechten Forderung entsprachen und sie zugleich verspotteten. Es muss jedoch gesagt sein, dass es den meisten Elben die meiste Zeit gelang, ihren Hochmut zu zügeln. Denn sie verstanden die Gefahr durch den Feind genau und hatten also gute Gründe. Nachdem also Theoderics Vasall die Größe gezeigt hatte, den Verlockungen der Zwietracht zu entsagen, versuchte der Kundige im Dienst des Feindes es bei den Trigardonen. Diesen sagte er, dass es doch sehr unvorsichtig sei, sich mit dem Elbenvolke einzulassen, das für seinen Eigensinn bekannt sei. Die Trigardonen gaben ihm zur Antwort, dass sie sehr dankbar für seine Wachsamkeit seien. Denn auf diese Weise könnten sie selbst beruhigt auf ihre Herzen vertrauen. Gewiss sei ihr Verstand voll Misstrauen, doch in der Lage, in der sie alle waren, konnte man dem Verstande allein nicht alle Entscheidungen überlassen. Denn zu gering sei noch das Wissen über all die rätselhaften Dinge, denen man gegenüberstehe. Ihre Herzen aber sagten ihnen, dass alle hier versammelten einander brauchen würden.

So scheiterte die Saat der Zwietracht an der Weisheit.

Einen zweiten Spion schickten uns die Diebe der Zeit. Dieser war ein scheußlicher Wechselbalg von so vollendeter Verdorbenheit in seiner dunklen Kunst, dass er selbst die Geister zu täuschen vermochte, als er die Züge des Hofkundigen von Königin Ain annahm. Er belauschte ihren Rat und versuchte sich daran, die gesegneten Bannsteine zu stehlen, die Jari so gelobt hatte. Doch ob seiner Schlechtigkeit konnte er sie nicht berühren und versengte sich, als er es versuchte. Obgleich es keine Zeugen für diese Tat gegeben hatte und er in allem sehr vortrefflich log, konnte er dennoch nicht bestehen vor dem schicksalhaften Glück der Phönixkönigin. Nach zwei Tagen und einer Nacht an der Seite des Wechselbalges bemerkte sie doch noch, dass ihr vermeintlicher Berater sich eines Betragens befleißigte, das ihr sonderbar erschien. Schließlich folgte sie ihrem Herzen anstatt dem Augenschein und vertraute sich einer Kundigen der Verstoßenen an. Diese, eingeweiht in die Geheimnisse der Täuschung, tilgte den Wechselbalg mit Mut und Mühe.

Dies war der zweite Hieb der Schait-Ganabim. Sie führten ihn mit Spionen aus und wir parierten ihn.

Ihr dritter Hieb überraschte uns am meisten. Sie schickten einen Boten, der stolz verkündete, Herold aller Schattenreiche Hallarands zugleich zu sein. Er schmähte, höhnte und drohte. Aber man sagt, dass er einigen der Gesandten heimlich noch ein zweites Angebot machte: Er sei zwar mit dem Worte aller Schattenherrscher ausgestattet, diene aber eigentlich nur einem davon. Dieser müsse vor seinen Brüdern und Schwestern den Schein wahren, wolle sich aber eigentlich mit den Menschenvölkern, die ja nun den Weg in seine Heimat kennen würden, verbünden. Denn die Schait-Ganabim kennen weder Stamm noch Sippe noch Familie, sondern nur den eigenen Vorteil.

Man kann nicht sagen, ob dies geheime Angebot, so es denn wirklich erfolgte, nur eine Prüfung unseres Bundes oder ein echtes Geschäft sein sollte und, falls Letztgenanntes zuträfe, wann seine Herren die erste Gelegenheit zum Betrug gesehen hätten. Doch wir werden es nicht mehr erfahren, denn wir übergaben den Boten der Lebenden Toten dem König der Unterwelt.

Dies war der dritte Hieb der Schait-Ganabim. Sie führten ihn stümperhaft aus.

Der Feind besitzt Reichtümer, Mächte und Wissen im Überfluss und mag uns darin weit überragen. Doch hätte es ihm mit wenig Mühe gelingen können, den neuen Bund zu zerschlagen, noch ehe er sich gefunden hatte. Die Verlockung zu einem früheren Zeitpunkt, die Spione mit Wissen über die fluchbringenden Geister und umgekehrt, die Tötung des Erleuchters oder nur eine Fackel im Dachstuhl im richtigen Moment, damit hätte der Feind unseren Bund gewiss verhindern können. Doch er vermochte es nicht und vermag es nun nie mehr. Denn trotz all seines Reichtums, seiner Macht und seinem Wissen kann es ihm nicht gelingen, dem eigenen Diener zu vertrauen und auch nicht dem eigenen Herrn. Die einen werden stets Gründe haben, ihr Versagen, und die anderen, ihr Wissen zu verschweigen. Denn sie sind Wesen der Gier und können kein Herdfeuer pflegen. Und wer das Herdfeuer nicht ehrt, dessen Haus muss einstürzen.

Es gelang dem Feind nicht länger, Hallarands neuen Sonnenaufgang weiter zu verzögern. Damit diese geheimnisvolle Insel nicht erneut in Vergessenheit geraten möge, beschloss unser hochfürstlicher Herr, sein Wissen über dieses Land und seine Lage beim Kristallmeer zu teilen.

Er teilte es mit der Hochfürstin, König Hagen, Königin Adelheit und König Heinrich, König Richard, König Ferdinand, König Heinrich dem Normonter, König Hector, König Desmond, Königin Katharina, König Corvinius und Herzog Heinrich dem Avarier, Königin Celeste, Königin Sirinhilde, König Ramiro, Fürstin Amsira, Fürst Wilmar und Graf Sieghard, Fürst Xarxon, Fürst Janal, Herzog Johann, Freigräfin Yasmeen und König Galhádon, Freigräfin Sophie-Christine, den Lichtbrüdern im Lande der Lesath, den Erbländern und Kriegsherren der Inselvölker und Weiteren und dem Tassilo. Wenn König Rasim Emendons Boten empfangen würde, hätte er es sogar mit ihm geteilt.