Arbonisches Sippenwesen

Aus Trigardon
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Begriffsklärung: Stamm, Sippe, Familie, Haus

Der Stamm der Arbonier ist von einem komplexen Geflecht familiärer Bindungen, realer und fiktiver Abstammungsgemeinschaften und ethnischer Identitäten geprägt. Da diese Bindungen wichtige ökonomische und politische Recourcen sind, unterliegen sie einem steten Wandel. Entsprechend dieses Wandels sind die Begrifflichkeiten, mit denen sie bezeichnet werden uneinheitlich und ändern sich auch. So kann das Wort "Arbonier" gleichzeitig einen Untertanen des Grafen von Arbon bezeichnen, als auch einen Menschen mit arbonischen Vorfahren, der nicht in der Grafschaft Arbon lebt.

Der Stamm der Arbonier wird auch als Stamm von Weltvater Natan bezeichnet und sein Oberhaupt gilt als edelster Nachfahre dieses Heiligen. Heute ist dieses Oberhaupt per rechtlicher Definition gleichzeitig Graf von Arbon, aber in der Vergangenheit war das nicht immer so.

Seit Arbon als Grafschaft existiert, bezeichnet man Menschen mit arbonischen Vorfahren als "Stammesarbonier". Ob dieser Begriff Arbonier innerhalb Arbons ausschließt oder Arbonier ausserhalb Arbons einschließt, ist dabei kontextabhängig. Das politische Arbon und das ethnische Arbon sind jedenfalls nicht deckungsgleich. Der Siedlungsraum der Stammesarbonier wird in Abgrenzung von den Flutlanden "Die Festlande" genannt. Dieser Begriff kann aber kontextuell auch alles Land beschreiben, dass nicht Flutland ist, nicht Sumpf ist oder auf das die Flutländer einen Anspruch erheben könnten, weil es ja nicht "Arbon" heißt.

Als "(einfache) Stammesleute" bezeichnet man alle nichtadligen Arbonier oder den Stand der Freien in der Grafschaft Arbon. "Stammeskrieger" meint den Stand der Freien in der Grafschaft Arbon oder die konkret bewaffneten Wehrtüchtigen eines Krieges oder Feldzuges.

"Der Stamm" ist entweder der Stamm der Arbonier oder ein arbonischer Teilstamm. Die Teilstämme benennt man entweder nach Siedlungsraum in "Flussvolk", "Steppenvolk" und "Bergvolk", nach dem ersten König, den die Legenden dieses Stammes kennen (z. B. "Stamm des Timor" oder "Stamm von Phadra") oder nach dem häufigsten oder prestigeträchtigsten Sippennamen innerhalb dieses Stammes (z. B. "Die Tesch").

Die Sippe ist eine Gruppe verwandter Großfamilien mit einem gemeinsamen Familienoberhaupt, gemeinsamem Erbrecht und Homogenität bezüglich des Adelsstandes (also ist eine Sippe entweder adelig oder nicht; es sind nie Teile adelig und Teile nicht). "Sippe" bedeutet manchmal zugleich einen Teilstamm. Wenn dem so ist, wird damit gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass diese Sippe als politische Größe zu verstehen ist, der mehrere Familien nachgeordnet sind, die untereinander wiederum keine Verwandtschaft kennen. So sieht sich das Flussvolk des Südostens als Teilstamm, dessen Oberschicht gänzlich mit der Sippe Garesch verwandt ist, untereinander aber nur über diese Sippe. Also nennt der Teilstamm sich "Stamm von Garesch", das Adelsgeschlecht "Haus Garesch"; "Sippe Garesch" kann aber beides meinen. Ein ähnliches Modell gibt es in Argaine – also bei den beiden personenstärksten Adelsfamilien.

In manchen Fällen ist mit Sippe nur eine einzige Adelsfamilie gemeint. Als Familie im engeren Sinne fasst man in Arbon alle Nachfahren eines bevorzugten Großelternpaares auf, sowie alle eingeheirateten Ehegatten, die damit ihre eigene Familie verlassen. In der Oberschicht kann eine Hochzeit aber auch dazu führen, dass zwei Familien zu einer zusammen wachsen, weil kein Großelternpaar bevorzugt wird.

Adelsfamilien verwenden manchmal das Wort "Haus" (z. B. "aus dem Haus Rhack") für sich. Dieser Begriff deutet an, dass es sich nicht nur um eine Familie handelt, sondern ein Grundbesitz mit einem Haushalt mit dazu gehört. In diesem Fall gehören dem Haushalt fast immer nachgeordnete Vasallen, abhängige Freie und Hörige an.

"Gute Ahnen": Familienoberhaupt, adelige Abstammung und Leibeigenschaft

Arbonier denken nicht unbedingt wissenschaftlich. Es gibt in der trigardonischen Gesellschaft keine Genetik und keine Mendelsche Erblehre. Für einen Arbonier ist es vielleicht nicht wahrscheinlich, aber absolut im Bereich des Möglichen, dass ein Fluss oder ein Waldbrand (beide dann als Geist oder Halbgott aufgefasst) eine Frau schwängern oder bei lesbischem Sex Kinder gezeugt werden können (dann natürlich nur Töchter). Natürlich gehen Arbonier dabei nicht so weit, dass sie Frauen miteinander verheiraten – denn das ist eine barbarische, flutländische Sitte – aber an einer ungeklärten Schwangerschaft muss durchaus kein Mann beteiligt sein. Auch das Konzept eines durch Inzest verkleinerten Genpools würde kein Arbonier verstehen. Inzest ist aus einem anderen Grund heikel. Da die Götter gerne auch mal Lebende für die Taten ihrer verstorbenen Vorfahren bestrafen können, ist es ein Risiko, zwei Personen mit dem gleichen Stammbaum zu verheiraten. Denn wenn ein Gott gegen diese Linie einen Groll hegt, wird er seinem Zorn am liebsten dann Luft machen, wenn er sicher ist, nur die Richtigen zu erwischen. Aus diesem Grunde bleiben viele Ehen zwischen engen Verwandten kinderlos, so sehr die Beteiligten sich auch bemühen. Missbildungen stehen damit in keinem Zusammenhang, sondern sind eher ein Beweis dafür, dass die Frau Unzucht mit Feen oder Elben getrieben hat. Da man aber weiß, dass diese Wesen ihre Zauberkräfte nur zu gerne nutzen, um ahnungslose Frauen in Gestalt ihrer Ehemänner zu verführen, ist auch das verzeihlich – für die Mutter, nicht für das Kind. Denn das Kind hat schlechte Ahnen und wird Unglück über die Familie bringen, wenn man es behält. Entstehen aus einer Verbindung enger Verwandter allerdings gesunde Kinder, bedeutet das für diese Abstammungslinie, dass die Götter sie wirklich sehr gern haben. Um diesen Beweis zu erbringen, werden in Arbon also nach wie vor enge Verwandte verheiratet.

Die Ahnen sind entscheidende Faktoren für das Glück oder Unglück einer Familie. Auch umgekehrt wollen gute Ahnen lieber in einer glücklichen Familie wiedergeboren werden. Diese Vorstellungen sind es, die einem Sippenoberhaupt in Arbon so große Macht verleihen. Das Sippenoberhaupt hat die alleinige Verantwortung für die Heiratspolitik ihrer Angehörigen. Sie hat Sorge dafür zu tragen, dass die Geschäfte ihrer Angehörigen günstig verlaufen, damit die Seelen frommer Verstorbener – die gewiss einen höheren Entscheidungsspielraum bei ihrer Wiedergeburt haben, als Seelen, die von den Göttern weniger geliebt werden – in die eigene Sippe zurückkehren. Und das Sippenhaupt hat selbstverständlich die besten Ahnen, die in der Sippe zur Verfügung stehen. Dafür sorgt das Erbrecht, das die Sippe von den Ahnen geerbt hat und von den Sippenhäuptern überliefert worden ist.

Die arbonische Moral billigt der Keuschheit keinen eigenen Wert zu. Je nach Situation wird sexuelle Enthaltsamkeit als Trägheit diskriminiert oder als Selbstkontrolle gelobt. Unverheiratete müssen keine moralischen Verurteilungen fürchten, wenn sie Kinder bekommen. Trotz all dieser Freizügigkeiten sind der sexuellen Selbstbestimmung eines Arboniers durch die Macht des Sippenoberhauptes klare, ja eiserne Grenzen gesetzt. Und je besser die Abstammung des Individuums, um so höher und enger sind diese Grenzen. Ein adliges Sippenhaupt würde es niemals riskieren, den Bastard ihrer Tochter mit einem Hörigen ihren Namen tragen zu lassen, da man hier nie weiß, welche Ahnen man sich ins Boot holt. Auch umgekehrt könnte gerade in diesem Bastard die Seele eines der besten Vorfahren gelandet sein, die nun der Hauptlinie fehlt. Natürlich hat ein Sippenhaupt gewisse Spielräume, in denen sie auf die Wünsche ihrer Angehörigen eingehen kann. Auch nützt eine unglückliche Ehe der Sippe sehr wenig. Trotzdem ist Ihre Autorität in Fragen der Eheschließungen absolut und bei den meisten anderen Themen sehr groß.


Die Formel "hast du gute Ahnen, dann hast du auch Glück – hast du Glück, dann hast du gute Ahnen" erklärt viele arbonische Eigenarten. Denn es ist auch möglich, vom Glück anderer zu profitieren. So ordnet man Personen mit Reichtum und Macht unbewusst positive Eigenschaften zu. Bereitwillig gibt man den eigenen Namen auf, wenn man dafür sozial aufsteigen kann, etwa durch eine Hochzeit. Krieger identifizieren sich mit den Ahnen ihrer Heerführer, Bauern mit den Ahnen ihrer Grundherren. Wenn jemand zum Ritter geschlagen wird, der keine adeligen Vorfahren hatte – was auf etwa sechs Siebtel der ersten Rittergeneration zutrifft und danach kaum noch vorkam – werden die adeligen Vorfahren wie selbstverständlich angenommen. Eher war dann in den Überlieferungen etwas falsch, als dass der Ritterschlag Unrecht oder die adelige Abstammung nicht vorhanden war. Entsprechend wurden viele der Stammbäume der ersten trigardonischen Rittergeneration nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip neu konstruiert und zur Wahrheit erklärt. Eine Wahrheit, die niemand anzuzweifeln für lohnenswert hält, weil es beleidigend und sinnlos ist. Ebenso gut könnte man das Vorhandensein von Wolken anzweifeln, wenn es regnet. Jemand mit ungeklärter Elternschaft wird zwar bedauert, aber nicht zwingend diskriminiert. Im Gegenteil: Wenn er Glück bei seinen Unternehmungen hat, steht er sofort im Mittelpunkt des Interesses. Hat er weiterhin Glück, werden ihn alle lieben. Verlässt ihn das Glück, wird man über ihn herfallen und einen Betrüger nennen. Personen mit ungeklärter Elternschaft sind eine Roulettekugel in der arbonischen Gesellschaft.

Die meisten Hörigen stammen aus sozial schwachen freien Familien. Wer frei ist, aber durch schlechte Ernten oder unglückliche Geschäfte die materielle Grundlage zum Ableisten des Kriegsdienstes verliert, ist akut von der Leibeigenschaft bedroht. Kann oder will seine Sippe ihm nicht helfen, wird er zum Hörigen seines Grundherren. Das hört sich allerdings schlimmer an, als es ist. Das Leben der Freien ist genauso von harter Arbeit geprägt, wie das der Hörigen. Ein Höriger erarbeitet zwar nur Erträge für seinen Herren, heiratet in der Regel nicht und ist auch sonst nicht geschäftsfähig, aber er ist nun ein Teil des Haushaltes seines Herren. Er wird versorgt, selbst wenn er zu alt zum arbeiten ist, er wird rechtlich und physisch von seinem Herren beschützt und er hat die Perspektive, von Angehörigen wieder freigekauft zu werden. Die Leibeigenschaft in Arbon ist auch ein soziales Sicherungssystem. Leibeigene gelten eher als lebenslange Kinder denn als Gegenstände. Da sie wie Kinder ihres Herren sind (jedoch keinesfalls zu seiner Sippe gehören), haben sie auch Anteil an seinen guten Ahnen. Geht es den Herren gut, geht es auch den Hörigen gut. Und ein Herr, dem es gut geht, aber seine Hörigen schlecht behandelt, riskiert nicht nur einen Gesichtsverlust – Er riskiert zusätzlich den Gesichtsverlust seiner Ahnen und damit sein politisches Kapital. Denn hätte er gute Ahnen, könnte man das auch an seinen Hörigen sehen.

Der Glaube an die Macht der Ahnen ist kein zwingender Bestandteil der Siebenfaltigkeit. Aber die Heilige Schrift widerspricht diesem Glauben nicht, sondern impliziert ihn in vielen Belangen. Aus diesem Grund ist die Macht der Sippenhäupter über ihre Familien ungebrochen und allein die Geistlichen können sich ihr manchmal auf individueller Ebene entziehen, diese Macht aber nicht für sich beanspruchen – es sei denn, jemand ist Priester und Sippenhaupt zugleich.


"Ich, Kind meiner Mutter": Ehe, Stammbäume, Kinder

Jede Eheschließung in Arbon ist stets als Vertrag zwischen zwei Sippen aufzufassen. Falls nur eine Sippe an der Eheschließung beteiligt ist, bezweckt dies, den Beweis guter Vorfahren zu erbringen, etwa um die Kinder der folgenden Generation prestigeträchtiger zu verheiraten. Die meisten Ehen werden aktiv von den Sippenoberhäuptern ausgehandelt. Paare, die selbstständig auf den Gedanken kommen, zu heiraten, brauchen dafür zumindest die Zustimmung ihrer Sippenhäupter. Ohne diese Zustimmung besteht sofort ein Scheidungsgrund. Auch riskiert das Paar mit einer heimlichen Eheschließung großes Unglück über sich und ihre Nachkommen zu bringen. Aus diesem Grund gibt es in Arbon keinen einzigen Fall einer heimlichen Eheschließung, in der nicht entweder die Ehe wieder geschieden wurde, die Sippenhäupter die Ehe im Nachhinein absegneten oder die soziale Ächtung so groß war, dass das betreffende Paar ihre Heimat verlassen und Zugehörigkeit und Kontakt zu ihren Sippen aufgeben mussten (was wiederrum – welch Überraschung – großes Unglück über die Nachkommen dieser Paare brachte).

Der Vertag, den die Sippenhäupter mit einer Eheschließung aushandeln, beinhaltet alle erbrechtlichen Konsequenzen der Ehe. Die wichtigste dieser Fragen ist die der Sippenzugehörigkeit der Eheleute. Meist ist es so, dass eine Sippe ein Mitglied an die andere verliert. Dafür muss die Sippe, die ein Mitglied dazugewinnt, materielle Kompensation leisten: Den Brautpreis (auch in dem Falle, dass der Mann in die Sippe der Frau übergeht, spricht man von "Brautpreis", nicht etwa "Bräutigampreis"). Welche Sippe ein Mitglied verliert und welche eines dazugewinnt, richtet sich einerseits nach Ansehen und Reichtum der Sippen (tendenziell gewinnt die angesehenere Sippe ein Mitglied dazu), der Position der beiden zu verheiratenden Personen in ihrem jeweiligen Erbrecht (ein Sippenhaupt wird ihren direkten Erben nicht so ohne weiteres in eine andere Sippe geben) und der Frage, ob Mann oder Frau Kinder in die Ehe mitbringen (was die Wahrscheinlichkeit erhöht, die eigene Sippenzugehörigkeit zu behalten oder den Brautpreis enorm erhöht). In der Unterschicht ist es weit häufiger, dass ein Mann in die Sippe seiner Frau gegeben wird, in der Oberschicht ist beides etwa gleich häufig. Es gibt auch die seltene Möglichkeit, zwei Personen unter Beibehaltung ihrer jeweiligen Sippenzugehörigkeit zu verheiraten. In diesem Fall wird wird kein Brautpreis bezahlt und nur ausgehandelt, welcher Sippe die potentiellen Kinder angehören werden. Dabei entstehen viele komplizierte Möglichkeiten, die detailliert festgehalten werden und deren innere Logik sich nur eingeweihten Kennern erschließt. Sind die beteiligten Eheleute nah an der Haupterblinie beider Sippen, können diese nach nur einer Generation zu einer einzigen Sippe werden.

Natürlich erlischt die Verwandtschaft zur Familie seiner Eltern nicht, wenn ein Ehegatte seine Sippe verlässt um in eine andere Sippe einzuheiraten. Aber für die Ahnenreihe und das Erbrecht der Sippe, die er verlassen hat, spielt er nun keine Rolle mehr. Sein Stammbaum geht sozusagen in den Besitz der Sippe seiner Ehegattin über. Nicht aber der seiner Geschwister (die natürlich exakt den gleichen Stammbaum haben), deren Ahnenreihe in der elterlichen Sippe relevant bleibt. Auf diese Weise können in mehreren Sippen die gleichen guten Ahnen vorhanden sein. Ihre Abstammung verfolgen Arbonier sowohl matrilinear als auch patrilinear, wenngleich manche Sippe die väterliche Abstammung bevorzugt und die überwiegende Mehrheit der Sippen die Mütterliche. Es ist üblich, dass nichtadelige Arbonier den Namen ihrer Mutter mit den eigenen Namen zusammen nennen (Martyan, Sohn der Phedayca). Dabei ist es gleich, ob das Erbrecht der väterlichen Abstammung den Vorzug gibt. Weil Frauen als der wichtigere ökonomische Faktor eingeschätzt werden, drückt man damit auch die Abstammung von einem Haushalt aus. Bei den vielen unehelichen Kindern der Unterschicht bestimmt die Mutter die Sippenzugehörigkeit. Bei vorehelich geborenen, ehelichen Kindern ist die Mutter die sichere, erwiesene Abstammung, selbst wenn der Vater die Sippenzugehörigkeit bestimmt.

In Arbon kennt man die Scheidung und sie ist gängige Rechtspraxis, wenngleich sehr selten. Für eine Scheidung müssen Gründe vorliegen, wie etwa häusliche Grausamkeiten unter Duldung des verantwortlichen Sippenoberhauptes, Vernachlässigung des Ehevollzugs, Ehebruch, blasphemische oder ahnenbeleidigende Handlungen eines Ehegatten. Diese Gründe müssen mit Zeugen vor Gericht bewiesen werden. Der zuständige Richter ist aber fast immer das Sippenhaupt, welches dazu tendieren wird, eine Scheidung zu verhindern, da sie fast immer mit einem Ansehensverlust verbunden ist und sogar zu einem fehdeähnlichen Streit zwischen zwei Familien führen kann. Die enorme soziale Macht des Sippenhauptes verbunden mit den Peinlichkeiten eines Scheidungsprozesses führt dazu, dass eheliche Konflikte meist einvernehmlich gelöst oder wenigstens unterdrückt werden. Als formaler Rechtsakt besteht eine Eheschließung aus einem öffentlichen Eid beider Partner, einer Segnung durch das Sippenoberhaupt oder einen Priester und dem Vollzug der Hochzeitsnacht noch vor dem nächsten Sonnenaufgang. Da ein Eid vor einem Priester grundsätzlich als öffentlicher Akt verstanden wird, sind theoretisch schon drei Personen ausreichend, um eine rechtsgültige Ehe zu schließen. Natürlich ist diese schlichte Form im Alltag nicht ausreichend, denn ohne große Feier, viele Gäste, Segenswünsche und Geschenke wird die Familie leicht in Verruf geraten. Der Aufwand, der um eine Hochzeit betrieben wird, kann schon bei einfachen Pächtern oder Handwerkern so hoch ausfallen, dass das zuständige Sippenhaupt ihn nur alle paar Jahre bestreiten kann. Wenn dann die materiellen Voraussetzungen für die Hochzeit zusammengespart sind, verbindet man diese Gelegenheit am besten gleich zur Feier mehrerer Hochzeiten und einem Kalenderfest, dem Fest der Freundschaft oder einem sonstigen Feiertag. Aber auch andere materielle Hürden machen eine Eheschließung zu einer schwierigen Angelegenheit: Eine Ehe wäre für Arbonier nicht vollständig ohne Haushalt. Auf der anderen Seite betrachtet man eine Ehe als notwendige Bedingung zur Führung eines Solchen. In der Unterschicht ist diese Einschätzung harte Realität: Eine Pächterstelle kann nicht überleben, wenn die Arbeitsplätze "Bauer" und "Bäuerin" nicht kontinuierlich besetzt sind. Ohne freies Pachtland gibt es hier also auch keine neue Ehe. In der Oberschicht existieren materielle Spielräume, die auch Unverheirateten einen eigenen Haushalt zubilligen. Aber dieser Haushalt wird stets als etwas Unvollständiges angesehen. Gerne entstehen dann Gerüchte über Flüche, sonderbare Begebenheiten oder Charakterschwächen. Das Sprichwort "ist das Ehebett kalt, so ist es auch das Herdfeuer," ist weit verbreitet. Und wenn ein Paar nicht zumindest die sichere Aussicht auf einen eigenen Haushalt hat, wird es auch nicht verheiratet. Aus dieser Mentalität ergibt sich, dass lange Konkubinate – natürlich immer im Konsens mit den beteiligten Sippenhäuptern – an der Tagesordnung sind und als fast ebenso feste Bindung aufgefasst werden, wie rechtsgültige Ehen. Sind Mann und Frau aber erst verheiratet, genießen sie weit höheres Ansehen als Unverheiratete. Erst jetzt gelten sie als voll geschäftsfähig, weil sie eigenständig wirtschaften können, während sie vorher als Lehrlinge oder Hilfsarbeiter behandelt wurden. Wurden sie vorher noch als Anhängsel ihrer Sippen angesehen, so hat ihre Meinung nun plötzlich Gewicht vor dem Sippenhaupt. Ihre Kinder kommen nun selbst für Eheschließungen in Betracht. Ihre Ausrüstung für den Kriegsdienst ist jetzt ihre eigene Verantwortung und ihr eigener Besitz. Die meisten freien Stammeskrieger sind erst mit ihrer Eheschließung eben das: Frei und Krieger.

Zwei Faktoren machen die größere Bedeutung von Ehefrauen gegenüber Ehemännern aus: Erstens die Tatsache, dass verheiratete Frauen als Haushaltsvorstand identifiziert werden, sie also als entscheidende Wirtschaftsfaktoren gelten. Zweitens ihre Möglichkeit, voreheliche Kinder mit in eine Ehe zu bringen. Diese zweite Möglichkeit unterliegt aber einigen Einschränkungen. Frühestens mit Abschluss des vierzehnten und spätestens mit Abschluss des einundzwanzigsten Lebensjahres beginnt für Männer und Frauen das heiratsfähige Alter. Die Entscheidung darüber, wann genau jemand heiratsfähig ist, liegt beim Sippenhaupt, solange die Heiratsfähigkeit nicht anderweitig bewiesen worden ist – etwa durch das Zeugen von Kindern. Sobald aber das heiratsfähige Alter erreicht worden ist, unterliegen freie Arbonier der Wehrpflicht. Eine Frau muss ebenso Kriegsdienst leisten, wie ein Mann, so lange dieser Kriegsdienst nicht von ihrem Ehemann oder ihrem erwachsenen Kind übernommen wird. Das Ableisten des Kriegsdienstes verursacht wegen der häufigen Arbeitsausfälle bei Heermanövern, Wachdiensten oder Kriegszügen enorme Erwerbsausfälle, ganz zu schweigen von den Kosten der vorgeschriebenen Ausrüstung, für die die Stammeskrieger selbst aufkommen müssen. Ein einzelnes Individuum kann diesen wirtschaftlichen Aufwand nicht leisten, braucht also den Rückhalt seiner Sippe. Ein Sippenhaupt wird also ein Interesse daran haben, die Heiratsfähigkeit ihrer Angehörigen möglichst spät zu erklären. Eine Unverheiratete Frau hat zusätzlich so gut wie nie die materielle Grundlage, Kinder selbständig zu versorgen, ist also auch hier auf die Unterstützung ihrer Angehörigen angewiesen. Ohne Absprache mit ihrem Sippenhaupt werden Freie – Männer wie Frauen – also kaum uneheliche Kinder bekommen. Denn trotz des religiösen Fruchtbarkeitsgebotes stehen erprobte Maßnahmen zur Empfängnisverhütung und Geburtenkontrolle zur Verfügung. Dies sind neben den beiden unzuverlässigen Methoden Enthaltsamkeit und Koitus Interruptus auch manche magische Kräuterchen und Zaubersprüche, der allseits beliebte Darm des flutländischen Ochsenfroschs und solche Riamodangefälligen Formen des Liebesaktes, die erfahrungsgemäß nicht zur Zeugung führen.


Die Sippschaft als Produktionsgemeinschaft, Gerichtsbezirk und Heerverband

"Haushalt" ist natürlich ein variabler Begriff. Die Mindestvoraussetzungen erfüllt ein Haushalt, wenn er eine ökonomische Grundversorgung ermöglicht, von mehr als einem Erwachsenen und potentiellen Kindern bewirtschaftet wird und eine Stelle für das heilige Herdfeuer vorhanden ist. Unter den Steppennomaden gehört zusätzlich zumindest ein einziges Pferd zum Haushalt. Und selbst von den ärmsten Handwerkern erwartet man, dass sie wenigstens eine ärmliche Werkstatt mit Herd und Schlafstätte gepachtet haben, wenn sie von "ihrem" Haushalt sprechen. Ein solcher Haushalt – und nicht etwa die erwerbstätige Einzelperson – wird als die kleinste wirtschaftliche Einheit in Arbon angesehen. Selbstverständlich existiert ein einzelner Haushalt niemals autonom, sondern immer nur in wechselseitiger Abhängigkeit zu anderen Haushalten. Dabei ordnet das Fehlen oder Vorhandensein von Grundbesitz jedem sesshaften Haushalt seine Bedeutung zu. Bei den Steppennomaden kommt diese Bedeutung den Herden und Weideflächen zu, was aber im Wesentlichen auf des Gleiche hinausläuft.

Weil Grundbesitz das mit Abstand wichtigste vererbbare Gut ist, haben Sippenoberhäupter durch ihre erbrechtliche Funktion eine entscheidende Rolle bei der Verteilung des Landes: Es gibt kaum einen Acker in Arbon, der nicht wenigstens indirekt einem Sippenoberhaupt gehört. Denn Land, das nicht unmittelbar vom Haushalt des Sippenhauptes bewirtschaftet wird – und diese Haushalte weisen mit lediger oder altersschwacher Verwandtschaft, Hörigen und unregelmäßig beschäftigten Tagelöhnern mitunter eine enorme Größe auf – kann verpachtet werden. Bei der Vergabe von Pachtverträgen geben die Grundbesitzer der eigenen Sippschaft den Vorrang, da von einem Sippenhaupt erwartet wird, dass sie die Ihren materiell absichert, wenn sie es kann. Mit einigem Geschick erreicht sie vielleicht sogar, dass auch Handwerksbetriebe in unmittelbarer Umgebung ihres Grundbesitzes von eigenen Verwandten geführt werden, bei denen sie wiederrum Einfluss auf die Vergabe von Lehrlingsstellen üben kann. So ergibt sich, dass manche arbonische Sippe den Großteil ihrer Güter kollektiv erwirtschaftet. Geld spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Mit wenigen Ausnahmen produziert ein überschaubarer Raum, etwa eine Dorfgemeinschaft, fast alle Güter des täglichen Lebens und Überlebens. Überregionaler Handel beschränkt sich neben der Ausfuhr von Überschüssen vor allem auf Luxusgüter, Eisen- und Stahlerzeugnisse sowie seltene Großanschaffungen, z. B. Pferde, Mühlsteine etc.

Die mythische Funktion des Sippenoberhauptes als Garant für die Unterstützung der Ahnen führt zusammen mit ihrer Position als Geschäftsführerin einer Produktionsgemeinschaft dazu, dass sie auch auf der untersten Ebene der Gerichtsbarkeit Autorität hat. So lange rechtliche Konflikte keine Sippengrenzen überschreiten, bedarf es hier auch keiner externen Institution. Im Alltag ist es weit häufiger, dass rechtliche Klagen innerhalb einer Sippe geklärt werden, wo sich das Oberhaupt lieber von einem Priester oder anderweitigen Rechtsgelehrten beraten lässt, als die Einmischung von Ausserhalb zu riskieren. Das schlimmste Urteil, dass hier über eine Person gefällt werden kann, ist es, von ihrer Sippe verstoßen zu werden, was neben der Vernichtung der sozialen Existenz und dem Ausliefern an höhere Gerichtsbarkeit regelmäßig auch zum Entzug der wirtschaftlichen Lebensgrundlage – und damit zur Hörigkeit – führt.

Die Grenzen der Gerichtsbezirke der Grafschaft Arbon verlaufen wenn möglich immer entlang der Grenzen von Siedlungsräumen der Sippen. Diese Siedlungsräume bestimmen gar die Territorien von adligen Grundherrschaften. Ein kleines Ritterlehen muss daher nicht unbedingt ein zusammenhängendes Gebiet sein, Angehörige der gleichen grundbesitzenden Sippe werden jedoch immer der gleichen adligen Grundherrschaft zugehören. Adlige Sippenoberhäupter haben sich in der Vergangenheit erfolgreich bemüht, die Territorien ihrer Grundherrschaft zusammen zu halten. Das Pachtsystem der Freien findet auf den unteren Stufen des Lehenssystems seinen adligen Wiederhall.


Heute ist die Aufstellung der Kontingente von Stammeskriegern nach adligen Grundherrschaften organisiert. Seit über dreissig Jahren hat keine Region Arbons mehr als die Hälfte ihres wehrfähigen Potentials mobilisieren müssen. Daher hat es sich etabliert, innerhalb einer Grundherrschaft Absprachen zwischen Sippenhäuptern und adligen Kriegsherren zu treffen, die die materielle Last des Kriegsdienstes gleichmäßig auf die Sippen verteilt, die wiederrum die Individuen nach dem Rotationsprinzip gleichmäßig belasten. Nichtadlige Sippenoberhäupter haben also noch immer großen Einfluss auf die militärische Organisation. In manchen Regionen – vor allem in der Steppe Tejaduns, aber auch in den Gebirgsregionen – befürworten die Sippenhäupter einen Kriegsdienst ihrer Angehörigen weit über das vom Adel geforderte Maß hinaus, um geringeren Reichtum durch größere militärische Potenz und damit verbundenes politisches Gewicht wettzumachen. Dies sind die wenigen Fälle, in denen sich die Sippe ihren Charakter als Heeresverband bewahrt hat. Der Normalfall in den arbonischen Streitkräften sieht anders aus: Ein Adliger Grundherr und seine Gefolgschaft aus Berufskämpfern – meist ebenfalls Adlige – bildet den Kern eines Truppenkontingents, auf dessen militärische und logistische Bedürfnisse die Mobilisierung der Stammeskrieger zugeschnitten ist, sodass z. B. Handwerker gegenüber Bauern überproportional vertreten sind, in unübersichtlichen Grenzregionen lieber Reiter und zur Unterstützung von Festungswachen lieber Bogenschützen verlangt werden. So entstehen Kriegerhaufen, deren Mannschaft verschiedenen Sippen angehört.