Entwicklung des arbonischen Ständewesens

Aus Trigardon
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"In Riamodan liegt die Herrlichkeit unseres Stammes" – Ursprünge des arbonischen Adels

Auch im letzten Großen Stammeskrieg war die arbonische Gesellschaft niemals egalitär. Die Bauern und Hirten waren stets geteilt in eine bewaffnete Schicht mit gewissen Rechten und eine besitzlose, unbewaffnete Schicht aus Abhängigen. Die politische Macht lag seit je her bei der militärischen Elite, die selbst nicht arbeiten musste. Nur wer über genügend Ackerland, Vieh und Arbeitskräfte verfügte, konnte ihr angehören. Am Anfang des letzten Großen Krieges waren das die Sippenoberhäupter und ihre nahen Verwandten. Die innere Verfasstheit des arbonischen Stammes unterschied sich damit nicht wesentlich von der des Flutländischen.

Der ständige Kriegszustand bewirkte nun, dass sich größere und damit schlagkräftigere Organisationsformen bilden mussten. In Flutland wurde daher die Zahl der Sippen geringer, während sie an Größe zunahmen. Von dem Umstand begünstigt, dass die überwiegende Mehrheit der Arbonier sesshaft ist, gab es bei ihnen aber schon längst langfristige, sippenübergreifende Bündnis- und Schutzabkommen. Durch die permanente äußere Bedrohung entwickelte sich jedes davon früher oder später zu einem Tributsystem mit gemeinsamem Heerverband. Die Sippen mussten nicht größer werden, um größere Heere aufstellen zu können.

Anders als unter den Flutländern war in Arbon auch das Konzept von individuell vererbbarem Besitz immer vorhanden. Daher wurden Land, Tiere, Rechte und Abhängigkeiten nicht jede Generation neu verteilt, sondern blieben auch über den Tod eines Sippenhauptes hinaus bestehen. Von jedem Sippenoberhaupt wurde (und wird) erwartet, dass sie ihre Angehörigen angemessen an ihren Ressourcen beteiligt. In vielen Generationen des Kriegszustandes stabilisierte sich so ein Ständesystem, in dem nicht mehr nur entscheident war, an welcher Stelle eine Person innerhalb ihrer eigenen Verwandtschaft stand.

Wer zur Sippe eines Heerführers gehörte, definierte seine Identität bald allein über den Kriegerstand und war damit de Facto von Adel. Schon damals nannten sie sich "ruhmreich", "ehrenhaft", "edel", "vornehm" oder "adelig", eine Abgrenzung von den Begriffen "Reiter", "Ridder" oder "Waffenprächtiger" gab es aber noch nicht. Am Ende des Stammeskrieges hatten bei ihnen eigene landwirtschaftliche Tätigkeiten nur noch eine untergeordnete Rolle. Sie konnten sich darauf verlassen, ausgezeichnet versorgt zu werden. Meist war es sogar unnötig, Rechte mit Hilfe ihres Drohpotentials durchzusetzen oder mit dem Nachweis edler Abstammung zu begründen, denn die allgemeine Bedrohung durch die Flutländer war objektiv vorhanden. Dass das arbonische Heer einer überregionalen Führung durch eine professionelle Kriegerschicht bedurfte, war unbestreitbar und lag im allgemeinen Interesse. Wie diese Schicht sich zusammen setzte, war kein allgemeines Diskussionsthema.

Die Mitglieder der übrigen Sippen waren schließlich kaum mehr dazu in der Lage, eigene Berufskämpfer aufzustellen und politische Macht auszuüben. Ihre Krieger bildeten nur noch selten selbstständige taktische Körper mit eigenen Befehlshabern. Im Heer verblieb ihnen eher die Rolle der breiten Masse – der wehrpflichtigen Fußkämpfer. Persönliche Tapferkeit und Heldentaten Dieser kamen oft nicht mehr ihren eigenen Sippen zugute. Stattdessen qualifizierte man sich damit, eine Stellung als privilegierter, aber persönlich unfreier Gefolgsmann einzunehmen oder gar durch Hochzeit, Adoption oder rituelle Verwandtschaft einen prestigeträchtigeren Namen zu erlangen.

Aus Gründen der Heerführung waren auch die Sippen des Kriegerstandes untereinander nicht gleichwertig, sondern es etablierte sich ein zunehmend erbliches Gefolgschaftssystem: Die Oberhäupter und Erben der größten oder ruhmreichsten Sippen hatten stets das schlagkräftigste Gefolge und damit das größte Gewicht bei militärischen und politischen Entscheidungen.

Entsprechend der strategischen Erfordernisse bildeten sich drei verschiedene Heerverbände und damit drei Machtblöcke:

  • Der heiß umkämpfte Norden, in dem die Sippe Rhack die Heerführerschaft unangefochten für sich beanspruchen konnte,
  • der Westen mit seinen gefürchteten Reiterkriegern, in dem die Sippe Argaine am häufigsten die Heerführer stellte
  • und schließlich der verhältnismäßig friedliche Süden, in dem die Sippe Garesch alle Konkurrenz erfolgreich in Abhängigkeit brachte.

Die strategische Bedeutung des Nordens war am höchsten, weshalb bald fast nur noch Häuptlinge des Hauses Rhack zum obersten Heerführer der Arbonier gewählt wurden, während der Süden diese Position nie erfolgreich besetzen konnte. Am ruhmreichsten waren die Reiterverbände aus der Steppe. Bedingt durch ihre häufig nomadische Lebensweise waren sie mobil und allseits umworben. Daher konnten ihre Krieger problemlos ihre Zugehörigkeit zu einer Gefolgschaft individuell auswählen oder auch wechseln. Aber wegen eben dieser Vorteile bildeten sie damals auch – mit Ausnahme des (teilweise sesshaften) Hauses Argaine – keine stabile Führung aus.


Barone, Stammeshäupter und Grafen (ca. 7 v. K. bis ca. 21 n. K.)

Spätestens, als sich unter Karoman anh Rhack – dem späteren Heiligen Karoman – ein arbonischer Sieg abzeichnen zu schien, wuchs das Interesse an den alten Zeiten, in denen noch kein Krieg gegen die Flutländer geherrscht hatte. Mythen über ein Goldenes Zeitalter mit gerechten Königen und stolzen Städten hatte es zwar immer schon gegeben, doch nun wurden sie öfter erzählt, genauer ausgeschmückt und allgemein bekannter. Daher lag es für die Anführer der drei arbonischen Machtzentren nahe, sich mit Hilfe dieser Mythen zusätzliche Legitimation zu verschaffen. Die Machtfülle, die sie aufgrund der aktuellen Notwendigkeiten innehatten, wurden nun zusätzlich als ursprünglich von den Königen des Goldenen Zeitalters verliehene Rechte begründet. Die Häupter der mächtigsten Sippen nannten sich nun "Baron", was auch heute noch sinngemäß nichts anderes bedeutet, als Jemand, der vom König oder Hochfürst Herrschaftsrechte über Land und Leute bekommen hat.

Die Barone von Argaine, Rhack und Garesch waren nicht die einzigen, die aus den Mythen vom "Alten König auf Gar" politisches Kapital schlugen. Denn weder das Erzählen, noch seine Interpretation stehen exklusiv nur den Mächtigsten zur Verfügung. Auch geringere Edle stellten eine Abstammung zu den vielen Figuren der arbonischen Sagenwelt her. Vor allem aber die Priester sammelten, ordneten und definierten diese Sagenwelt, so dass das Alte Königreich von Gar immer mehr den Charakter eines idealen Religionsstaates bekam (eine Umdeutung, die schließlich in der Geschichte vom Heiligen Danason ihren Höhepunkt erreichte).

Als Karoman anh Rhack im letzten Jahr des Stammeskrieges auf rätselhafte Weise verschwunden war, wollte seine Sippe die Neuwahl eines neuen obersten Heerführers verhindern, scheiterte jedoch. Beim Stammesthing – der wahlberechtigten Heerversammlung – zeigte sich die endgültige Veränderung der arbonischen Elite an zwei Punkten: Erstens durfte der Heerführer nur noch von denen gewählt werden, die dies mit edler Abstammung begründen konnten (was eben meist unter Rückgriff auf die Mythen vom Alten Gar geschah) und zweitens war es spätestens jetzt unstrittig, dass die Edlen mit dem Heerführer "den Edelsten unter ihnen" wählen würden. Damit war natürlich nicht die genaue Blutlinie gemeint, denn die Wahl erfolgte gemäß den Prinzipien der Realpolitik, wonach die größte mobilisierte Gefolgschaft gewinnt. Aber unstrittig war, dass wer auch immer gewählt werden würde, damit für sich beanspruchen konnte, der edelste Nachkomme von Weltvater Natan zu sein. Ab nun war der oberste Heerführer der Arbonier das Gleiche wie das Oberhaupt des ganzen Stammes – und musste es auch in der Vergangenheit schon immer gewesen sein.

Gewählt wurde Volkan Sarymor anh Garesch, aber er behielt seine Position weniger als ein Jahr. Denn Karoman anh Rhack kehrte zurück und versammelte sofort den Heeresteil, der seiner Sippe unmittelbar verpflichtet war, sowie einen erheblichen Anteil des westlichen Machtpotentials.

Dass diesmal auch flutländische Kriegsherren auf seiner Seite kämpften, wird von diesen heute als Beweis für deren tiefe Gläubigkeit verstanden, während die Arbonier die Bedeutung solch ungewohnter Unterstützung gern herunterspielen. Man weiß natürlich, dass die geschwächten Flutländer sofort die Gelegenheit ergriffen, sich bei inneren Zwisten der Arbonier einzumischen. Aber auch die Tatsache, dass die Religion zum ersten Mal Grund und Anleitung zum Krieg lieferte – nämlich den Kampf gegen "Halbmenschen" und "Elbenfreunde" – macht diesen letzten Akt des Letzten Großen Stammeskrieges zu einem Sonderfall. Daher grenzt die trigardonische Geschichtsschreibung ihn auch als "Heiligen Krieg" ab.

Sein offensichtliches Ergebnis war die endgültige Zerschlagung der letzten verbliebenen politischen Strukturen der Elben (mit Außnahme des zu Winningen gehörenden Königreiches von Taur Kyriad), und die Abhängigkeit des Kleinen Volkes, deren Führer sich nun entweder den Arboniern oder den Flutländern unterordnen mussten. Für die Arbonier waren jedoch andere Entwicklungen weit folgenschwerer:

Volkan Sarymor machte die Unterordnung seines Stammes unter den Führungsanspruch des Hauses Rhack mit einer drastischen Geste deutlich: Seiner Selbsttötung. Auf diese Weise vermied er spätere Bestrafungen durch die Sieger, sodass seine Nachkommen sein Machtzentrum bewahren konnten.

Aus der Sicht des Hauses Rhack hatten sich die Flutländer Karoman unterworfen, als sie ihm in den Heiligen Krieg gefolgt waren. Es gab also auch keine zwingende Notwendigkeit, den Krieg gegen sie fortzusetzen.

Das Haus Argaine wäre die einzige mögliche Opposition gegen Karomans Führungsanspruch gewesen, hatte sich aber im Heiligen Krieg für die Sieger entschieden.

Da die Priesterschaft plötzlich ein Wenig politische Macht in den Händen hatte, konnte sie sich nun dafür einsetzen, dass es nicht der Götter Wille sei, dass Krieg zwischen den Stämmen herrsche.

Karoman anh Rhack war der nächste logische Herrscher aller Stämme, nur wurde er ermordet und wird seither "der Heilige" genannt. Seiner Position konnte niemand nachfolgen. Die Flutländer bestanden darauf, sich nur einem religiösen Führer untergeordnet zu haben, nicht seiner Sippe. Und die Arbonier hatten in ihrem Stammesoberhaupt vor allem einen Heerführer gesehen. Ohne Krieg gegen die Flutländer brauchte man also kein Neues wählen. So kam es, dass das Haus Rhack unter den mächtigen Drei Sippen nur die Erste unter Gleichen blieb.

Aber der Gedanke eines gemeinsamen Reiches hatte Form angenommen und vor Allem kam es ein paar Jahre zu keinen nennenswerten Kriegshandlungen. In den folgenden 17 Jahren behauptete der sich formierende Klerus seine gesellschaftliche Sonderstellung und allgemeine Akzeptanz dafür, dass Geistliche in erster Linie dem Glauben zu dienen haben, nicht ihren Stämmen, Sippen und Familien.

Auch das Vorbild des Alten Königreiches von Gar mit seinen Wundern und Reichtümern wurde langsam immer begreiflicher. So gelang es schließlich einem Priester des Riason, der auch noch aus den wunderbaren Ländern des Südens eingewandert war, die Mächtigen an einen gemeinsamen Verhandlungstisch zu bringen. Sein Name war Wastan und seine Bedeutung für die Gründung des trigardonischen Reiches ist sogar noch Bedeutender, als die des Heiligen Karoman. Auch sein Wirken erklärt man heute mit Göttlicher Inspiration, obwohl er bisher nicht als Heiliger verehrt wird.

Um im neuen Reichsthing einen trigardonischen Hochfürsten zu wählen, mussten die Arbonier wieder ein Stammeshaupt benennen. Die Häuser Rhack und Argaine einigten sich darauf, sich die Macht zu teilen, sodass im Jahr 19 Karomans Neffe, das Oberhaupt der Sippe Rhack, Ardor, der erste Hochfürst des Reiches wurde, während Rikasch, der Älteste Sohn des Oberhauptes der Sippe Argaine, Sairan, zum Heerführer der Arbonier gewählt wurde. Nach beider Tod und einem flutländischen Aufstand wurde Wastan dann selber auf den hochfürstlichen Thron gewählt, während Ardors Sohn Gimor (heute besser bekannt als Ardor II.) sofort die Heerführerschaft der Arbonier für sein Haus beanspruchte.

Hochfürst Wastan war den Ideen der Priester des Riason verpflichtet und sah es nicht mehr als angemessen an, dass die mächtigsten Positionen im Reich von Heerversammlungen gewählt würden. Nicht die Erfordernisse des Krieges sollten die Herrscher des Friedens hervorbringen, sondern das Gesetz. Die Kriegsherren sollten Richter werden. Also führte er den Titel des Grafen ein, der sinngemäß als "königlicher Richter" begriffen wird. Natürlich musste er dabei die Unterstützung der Mächtigen haben, die als Zugeständnis die Erblichkeit dieses Titels bekamen – und selbstverständlich den Titel. Ardor anh Rhack II. wurde Graf von Arbon und Arybor anh Crul, der Heerführer der Flutländer, wurde Graf von Flutland. Doch Wastan beließ den Titel nicht bei diesen Beiden, sondern machte das reichste Sippenoberhaupt des Dunklen Waldes, Philonius Phadrack anh Ria, zum Grafen von Dunkelwald. Auch Uwe von Altberg wurde freiwillig trigardonischer Vasall und brachte die Grafschaft Altberg zum Reich.

Damit waren die beiden Stammesoberhäupter der Arbonier und Flutländer de facto zu Grafen geworden, obwohl sich später zeigen sollte, dass man zwischen beiden Positionen gedanklich noch immer unterschied.

Denn auch Wastan blieb nicht lange auf dem Thron, sondern wurde bei der ersten Gelegenheit vom Reichsthing wieder abgesetzt. Nach einer Weile erschien der Enkel des Heiligen Karoman, Rerik (heute bekannt als Karoman II.) und machte seinen Führungsanspruch über sein Haus geltend. Ardor II. hatte sich zwar schon als politischer Führer der Arbonier etabliert, respektierte aber die bessere Abstammung seines Großcousins. Dies führte dazu, dass die Arbonier die Macht wieder zwischen zwei mächtigen Männern aufteilen mussten. Karoman II. wurde eingeräumt, Oberhaupt der Sippe Rhack zu sein, Ardor II. verzichtete aber keinesfalls auf seinen Grafentitel. Weil das Sippenoberhaupt nicht Gefolgsmann eines Angehörigen sein konnte, blieb ihnen nur, die Wahl Karomans II. zum Hochfürsten voranzutreiben. Als dies erreicht war, blieb die Frage, wer von beiden nun das Stammesoberhaupt aller Arbonier sein solle, ungelöst. Die Machtverteilung im Hause Rhack war scheinbar mit Hilfe der neuen Reichsinstitutionen – mit dem Grafen als Vasall des Hochfürsten – stabil geregelt. Der Begriff des arbonischen Stammesoberhauptes sollte für einige Jahre aus dem politischen Sprachgebrauch verschwinden, weil zwei Personen dessen Funktionen gleich gut erfüllten.

Das Rittertum, die Freiherren und die Grundherrschaft (ca. 21 n. K bis ca. 26 n. K.)

Schon Wastans Herrschaft hatte gezeigt, dass der Hochfürst ohne die Zustimmung der Grafen – insbesondere derer von Arbon und Flutland – kaum reale Herrschaft ausüben konnte. Die Freistatt Nordern, zu diesem Zeitpunkt das einzige Territorium Trigardons, dass keiner Grafschaft angehörte und der direkten Kontrolle des Herrschers unterstand, war zwar schon damals ein prosperierendes Handelszentrum, aber im Vergleich zu den Grafschaften viel zu klein, um die Grundlage für eine hochfürstliche Hausmacht zu sein. Die Streitkräfte, mit denen Karoman II. seine Entscheidungen absichern oder gar durchsetzten hätte können, existierten noch nicht. Sein Name, seine Leibwache aus ausländischen Söldnern, seine persönliche Überzeugungskraft, aber vor allem die Akzeptanz der Grafen für seine Gesetzgebung, blieben seine einzigen Herrschaftsinstrumente. Dies mag ein Grund dafür sein, warum er sich darum bemühte, Krieg mit einem oder mehreren Nachbarländern zu beginnen.

Die ersten Maßnahmen, um dem Thron mehr Bedeutung zu verschaffen, bestanden in Gesetzgebung und gekonnter Symbolpolitik. Die einzige jemals versuchte Volkszählung schickte allen Stämmen und Sippen eine klare Botschaft. Ungeachtet ihrer Erfolglosigkeit und bizarren Ergebnisse (wegen Mehrfachzählung ein Vielfaches an Hirten, Jägern, Gauklern und fahrendem Volk gegenüber sesshaften Bauern, die eben nur einmal gezählt wurden) erfuhr das ganze Land, dass der Herrscher im Blick hatte, wer welche Reichtümer besaß. War Ardor I. noch für Tributforderungen des Thrones angefeindet und schließlich ermordet worden, so bekam Karoman II. geringe, aber beständige Einkünfte aus dem Reich.

Das Adelsedikt Karomans II. verschriftlichte nicht nur die gewohnten Herrschaftsrechte, sondern deutete sie auch in seinem Sinne um. Nach seinem Sturz sollte diese Gesetzgebung jenseits von Arbons Grenzen kaum beständige Nachwirkungen haben. Aber für die Arbonier prägte sein Adelsedikt jedes Verständnis von Lehnswesen, Grundherrschaft und Rittertum bis heute.

Der Text des Ediktes definierte verschiedene Stände und Titel und setzte damit Wastans Prinzipien auf unterer Ebene um. Ebenso wie Wastan zwei zusätzliche Grafentitel neben Denen der zwei Hauptstämme eingebracht hatte, vergab Karoman II. neben den Baronentiteln der Sippen Argaine, Garesch und Rhack zusätzliche Herrschaftsrechte und zielte darauf, vor allem arbonische Adelige aus der Bindung an Ardor II. zu lösen und an sich zu binden.

Die Vettern gerieten augenblicklich in Konkurrenz zueinander. Privilegien, die der Hochfürst einem seiner Günstlinge gab (z. B. ein Baronentitel für das Haus Arden), musste er auch einem Günstling seines Vetters geben (z. B. ein Baronentitel für das Haus Erlenfels). Die Barone, deren Territorien in den Grenzen der Grafschaft Arbon lagen, mussten auch dem Grafen von Arbon den Eid leisten. Titel, die sich allein auf den Hochfürsten bezogen, blieben landlos und nicht-erblich. So wurde aus dem Titel des Freiherren und der Freifrau in Trigardon etwas Anderes, als der Baronentitel.

Die wichtigste Neuerung war, dass ein Teil der Kriegerelite ebenfalls mit einem Titel versehen wurde, der zwischen der hohen Mittelschicht und der unteren Oberschicht eine Grenze zog: Der Rittertitel definierte dort von nun an, welche Sippe zum Adelsstand gehörte und welche nicht.

Ohne nennenswerte Territorien war Karoman II. darauf angewiesen, seine Krieger (und ihre Angehörigen) aus seinen Einkünften zu versorgen, oder ihnen Lehen zuzuweisen, die sie zu seinem Leidwesen wieder an Grafen und Barone banden. Daher gab er das Recht zum Ritterschlag niemals aus der Hand und jeder Ritter leistete nur ihm persönlich den Eid. Dort, wo schon traditionelle Tributbeziehungen zwischen adeligen und freien Sippen bestanden hatten, wurden diese in eine Grundherrschaft umgewandelt – die klassischen heutigen Ritterlehen.

Im anderen, häufigeren Falle wurde durch einen Ritterschlag jemand als Adeliger bestätigt, dessen Gesellschaftsschicht eigentlich einen Grenzfall darstellt: Familien von Großgrundbesitzern oder Reiterhirten. Angehörige dieser noch heute bedeutenden Klasse kamen am ehesten für den Ritterstand in Frage, ihre Sippenverbände aber waren in der Regel zu groß, um sie komplett mit adeligen Rechten auszustatten. Also suchte man in den Stammbäumen der Betreffenden nach den nächsten Vorfahren oder Ereignissen, die es rechtfertigen konnten, die Kernfamilie des neuen Ritters aus ihrem ursprünglichen Sippenverband herauszulösen und zu einer eigenen Sippe zu erklären. Daher gibt es im niedrigen Adel Arbons – und nur dort – Sippen, die nicht größer als die Nachkommen eines einzigen Großelternpaares sind.

Eine Begleiterscheinung dieser Neuverteilung von Privilegien war, dass man fortan zwischen den juristischen Begriffen "Grundbesitz" (aus dem man Pacht einzieht, wenn man ihn nicht selbst bearbeitet) und "Grundherrschaft" (in der man Abgaben und Arbeitsleistungen einfordert) differenzierte. Vorher war alles schlicht "Tribut" gewesen. Und weil so gut wie jeder Grundherr gleichzeitig auch Grundbesitz innerhalb seiner Grundherrschaft hat, nennt man es oft noch immer so.

Alle diese Veränderungen machten sich nicht sofort bemerkbar. Nach den ersten Jahren der Kanzlerherrschaft gab es aber endgültig keine Sippe mehr in Arbon, die von adeliger Grundherrschaft nicht wenigstens formal erfasst wurde. Ebenso gibt es keine adelige Sippe mehr, in der nicht irgendwann einmal wenigstens ein nicht-erblicher Titel vorhanden gewesen ist.

"Es lebt und herrscht kein König mehr im Alten Gar": Emendon und der Erzkanzler (23 n. K. bis 32 n. K.)

Nach Karomans II. Sturz konnte die Kanzlerherrschaft nicht ohne Arbons Unterstützung existieren. Als Vorsteher des Hochtempels des Riasion in Nordern konnte Phosphoros zwar an Wastans Vorbild eines geistlichen Lehrers als Reichsoberhaupt anknüpfen, war aber auch den Beschränkungen dieser Art der Herrschaft unterworfen.

Wegen Hungersnot und Führungskrise bei den Flutländern hatte er aus dieser Richtung keine Opposition zu fürchten. Der überschuldete Graf von Altberg musste seine Herrschaftsrechte und die kurzfristige Unabhängigkeit seiner Grafschaft aufgeben.

Philonius und Ardor II. bekamen weitere Privilegien: Das Recht zum Ritterschlag und der Vergabe des Freiherren-, sowie Baronentitels, Philonius die Oberherrschaft über Altberg als Markgraf und Ardor II. die oberste Heerführerschaft als Heerzog von Trigardon. Beide hatten auch das Machtpotential des sich immer besser organisierenden Klerus erkannt und gründeten ihre jeweiligen bewaffneten Hausorden, die Bruderschaft des Heiligen Danason (die nach Ardors II. Tod durch eine Ordenszusammenlegung Arbons einziger Cirkaterorden wurde) und die Schattengarde als bewaffneter Arm der Riasinatischen Sekte. Diese beiden Orden stellten nacheinander die Leibwache des Erzkanzlers, bis dieser dann eigene Streitkräfte aufstellte.

Anders als Wastan hatte Phosphoros mit dem Hochtempel des Riasion und der Unterstützung der Riasinaten Schriftkundige und Gelehrte zur Verfügung, mit deren Hilfe er recht effektiv mit seinen Amtleuten kommunizieren konnte. Die Idee keimte auf, dass Territorien nicht nur beherrscht und tributpflichtig gemacht werden, sondern auch verwaltet und kontrolliert werden können. Auch das erste umfassende schriftliche Gesetzeswerk, das Corpus Iuris Trigardonis, entstand in der ersten Hälfte der Kanzlerherrschaft. Die Grafen von Arbon und Dunkelwald hatten aber eine so bedeutende Stellung inne, dass der Erzkanzler darin keine Akzente zur Festigung der Zentralgewalt setzen konnte.

Als Ardor II. starb und die Macht des Hauses Rhack erodierte, hätte sich vielleicht ein zentrales Verwaltungswesen mit nachhaltigen Auswirkungen in den Provinzen entwickeln können, wenn die Geistlichkeit sich diszipliniert in den Dienst dieser Sache gestellt hätte. Aber aus zwei Gründen kam es nicht dazu:

  • Erstens war der Klerus längst familiär und politisch so sehr mit dem niedrigen Adel und den Grundbesitzern verflochten, dass die Priester nur noch selten ein persönliches Interesse an einer mächtigen Zentralgewalt hatten.
  • Zweitens hatten die beiden wichtigsten religiösen Schulen – die Riasinaten und die Siebenfaltigen – ein so großes Selbstbewusstsein erlangt, dass es ihnen nicht mehr reichte, einfach nur die Herrschaft des Rechts gegen das Recht des Stärkeren zu verteidigen. Sie wollten sehr konkret darauf Einfluss nehmen, wie das Recht auszusehen hat. Ihre unterschiedlichen Philosophien brachten auch unterschiedliche Ideologien hervor. Und beide gerieten nicht nur ständig in Konflikt miteinander, sondern mehr oder weniger oft auch mit der Politik des Erzkanzlers.

So blieben die Versuche, in Trigardon ein zentrales Verwaltungswesen zu schaffen, ohne langfristige Konsequenzen. Im Stammland blieb die Kanzlerherrschaft ein erstaunlich langlebiges Symbol, nicht mehr.

In Flutland und Arbon begann eine Wiederbelebung des Traditionalismus (oder was man darunter verstand), was zugleich als Widerstand gegen die Kanzlerherrschaft empfunden wurde. Und in beiden Stämmen zu sehr verschiedenen, aber jeweils stabilen Ergebnissen führte.

Die Flutländer kehrten zurück zu ihrem Prinzip der Herrschaft von vierzehn Sippenhäuptern, den Ystjarson, was mit der Adoption von ihrem obersten Kriegsherren, Trogan, durch die Ystjarson Crul, Marsiane, abschließend geklärt wurde.

Die Arbonier hoben die Bedeutung, die das Königreich von Gar für ihren Adel hat, zunehmend hervor. Dementsprechend konnte der Eidmeister der Bruderschaft des Heiligen Danason, Emendon anh Erlenfels, schrittweise die Nachfolge Ardors II. antreten. Er verlor nach seiner Bestätigung als Graf keine Zeit, mit seinen eigenen Verschriftlichungen arbonischer Gesetze aufzuwarten und erfüllte schon damit eine der wichtigsten Anforderungen der Priester an einen legitimen Herrscher. Da er ohnehin längst auf die Siebenfaltige Lehre festgelegt und die Riasinatische Sekte in seiner Grafschaft bedeutungslos war, konnte er auch weitere Forderungen des Klerus erfüllen:

  • Ein Bußgeldkatalog wurde als Mittel zur Sühne verbindlich festgeschrieben und damit dem Gutdünken der Richter entzogen,
  • Die Leibeigenen (dort noch "Hörige" genannt) bekamen ein verschriftlichtes Recht auf Schutz und wurden überhaupt zum ersten Mal in einem Gesetzestext erwähnt,
  • Blasphemie und Ketzerei wurden Straftaten und die Priester bekamen die richterliche Zuständigkeit darüber.

Sein Ständeedikt basiert auf dem Karomans II., erklärte nun aber wie selbstverständlich vormals hochfürstliche Rechte zu denen des Grafen von Arbon. Schon im Prolog machte er deutlich, dass er, weil es keinen Hochfürsten gab, sich als einziger legitimer Erbe der Könige von Gar ansieht und seine Stellung nicht etwa vom Erzkanzler verliehen, sondern von den Göttern gegeben sei. Ebenso verkündete er, dass das Haupt des Stammes der Arbonier niemand anderes als er selbst sein kann: Der Graf von Arbon.

In den letzten beiden Jahren der Kanzlerherrschaft, als Emendon und Marsiane sich als Anführer ihrer Stämme etabliert hatten, hatten sie auch ein jeweils spezifisch flutländisches und arbonisches Herrschaftsverständnis verwurzelt. Mit diesen Ideologien ausgestattet konnten beide dauerhaft keinen anderen Herrscher über sich dulden.