Ist es die Kunst des Krieges

Aus Trigardon
Wechseln zu: Navigation, Suche

Der Priesterschaft Riamodans, zu Händen den Kapiteln des Hochtempels des Riamodan und dem Kloster des Heiligen Danason,


von seiner Eminenz Denubis, dem äußersten Abgesandten des Heiligen Konzils Der Siebenfaltigkeit, zweiter Legat Des Riacommon, Priester Riasons.


Niedergeschrieben am 23. Sion der 12. Sina im Jahre 24 nach dem Martyrium des Heiligen Karoman.


Ist es die Kunst des Krieges,

die das Schicksal der Völker entscheidet? Oder nicht vielmehr die Gunst, welche ihren Herrschern von Den Göttern gewährt oder verweigert wird? Unsere Vorfahren suchten stets noch das Glück ihrer Stämme in der Schlacht, doch wussten sie wenig von der Kunst des Krieges und fanden darinnen nur Unglück. Auch wussten sie weit weniger als wir, wie man die Gunst Der Götter erwirken kann. Trotzdem vertrauten sie darauf mehr, als auf die Stärke ihrer Waffen, wie man sich erzählt.

Aber ist das wirklich so?

Oder erzählten sie uns, den Kindern und Enkeln des Letzten Großen Krieges, die Geschichten von damals nur einfach anders, als sie wirklich geschehen sind? Sicherlich läßt sich schlecht darüber lügen, wann einer gestorben ist oder welche Seite eine Schlacht gewann. Selbst wenn es sehr lange her ist, wissen die Greise heute noch überraschend genau, welcher Winter ihrer Jugend milde und in welchem Jahr die Ernte schlecht gewesen ist. Diese Dinge erzählen sie getrennt voneinander als wie gemeinsam am Feuer und sie stimmen so oder so stets miteinander überein.

Es ist nicht die Absicht meiner Frage, den Ahnen Lügen vorzuwerfen. Aber erzählten sie uns die Taten vergangenen Lichtes und verronnener Sandkörner wirklich so, wie sie einst geschahen? Wer weiß denn wirklich, was der finstere Botischan dachte, als ihn Gismund erschlug? Wer kennt den wahren Grund dafür, warum Rhack einst Kruls Sohn Gy raubte? Selbst zu der Zeit, in der Jene noch lebten, konnte kein Sterblicher ihre Absichten aus ihrer Schädeldecke lesen. Und doch scheinen die Absichten und Gründe der Vorfahren wenigstens so wichtig für das Erzählen jeder Geschichte zu sein, wie ihre Taten. Aus Neid begann Ischan den Streit mit Natan. Das Vermessene Streben nach Selbstvergöttlichung brachte Botan dazu, Riamodan Die Göttlichen Geheimnisse abzuschwatzen. Trauer machte König Sarymor zum Lügner. Um Recht und Gesetz Dauer zu geben, ließ der Danahson das Siebentorige Gar errichten. Der Hass, der Gars Reich schließlich zerbrechen ließ, wurde von Krul und Rhack gesäht, um Macht zu ernten. Um die endgültige Barbarei abzuwenden, riefen Phejana und Canuphyra zum Fest der Freundschaft. Volkan rettete seine Ehre, indem er sich selber richtete und dies war auch die Absicht seiner Tat. So und nicht anders werden die alten Geschichten erzählt.

Denn am Ende werden ja alle Geschichten so erzählt und es ist schwer vorstellbar, eine Geschichte anzuhören, die zur Gänze aus Ereignissen besteht. Die Erzähler haben häufig gar keine andere Wahl, als neben dem Gewussten auch das bloß Angenommene, im schlechteren Falle gar das unberechtigt Vorgeworfene zu erzählen. Anders lässt sich das Erlebte nicht überliefern. Ja ich behaupte, dass sich nicht einmal erinnern lässt, was nicht erzählt werden kann.

An dieser Stelle mögt ihr mir einen gelehrten Exkurs erlauben.

Am Rande eines Disputes, zu dem unser Heiliges Kloster geladen hatte, sprach ich mit einer teuren Freundin aus den Reihen der Priester der Riaranjoscha. Als Flutländerin mit ruhmreichen Großeltern war sie wie ich gut vertraut mit der Historie der letzten Jahre des Großen Krieges und es zeigte sich, dass einige der ruhmreichsten Bluttaten ihrer Sippe sich fast genau so anhörten, wie die meiner Ahnen. Es zeigte sich ferner, dass die Lieblingsgeschichten meiner Eltern vom gleichen Feldzug handelten, wie die Lieblingsgeschichten ihrer Großeltern. Recht verständnislos frug ich sie, warum ihre Großeltern denn so gerne von einer Abfolge schrecklicher Niederlagen berichten würden. Weil sie sehr fromm war, wurde sie nicht zornig, sondern sie lachte, wie es ihrem guten Wesen und ihrer reinen Seele entspricht. Sie klärte mich auf, dass die Geschichten ihrer Großeltern mitnichten von Niederlagen handelten, sondern von einer Reihe großer Siege über die Arbonier.

"Aber dann müssen entweder Deine Ahnen lügen, oder meine." Sagte ich. Und sie schüttelte den Kopf.

"Was sagen denn deine Eltern, warum sie zum ersten Mal in den Krieg zogen?" fragte sie mich.

"Aus Rache", war meine Antwort.

"Und beim zweiten Mal, warum zogen sie da in den Krieg?" fragte sie dann.

"Sie zogen jedes Mal aus Rache in den Krieg. Das war doch eigentlich immer ihr Kriegsgrund damals." So sprach ich, der sie nicht verstand. Aber sie hatte erwartet, dass ich so antworten würde und fragte mich weiter:

"Warum zogen deine Eltern wieder und wieder und wieder aus Rache in den Krieg, wenn sie jedes mal siegreich waren? Wofür nahmen sie beim zweiten Mal Rache? Wofür beim dritten Mal?"

Ich befürchtete, dass ich nun einen schlimmen Streit mit meiner lieben Freundin bekommen würde, aber stärker wog plötzlich der Zorn in meinem Herzen.

"Du meinst also, meine Eltern würden die Unwahrheit sprechen und dass sie deiner Sippe unterlagen?" So sprach ich lauter und leidenschaftlicher, als es einem frommen Mann wie mir zu Gebote gestanden hätte. Aber in Wahrheit hatte ich sie wieder nicht verstanden und ihrer Weisheit sei es gedankt, dass sie mich zu belehren vermochte.

"Aber nein, mein lieber, ehrwürdiger Freund" entgegnete sie. "Auch meine Großeltern zogen jedes Mal aus Rache in den Krieg. Und in jeder Geschichte, die sie erzählen, obsiegt meine Sippe über die Krieger deines Stammes. Ich habe mir so viele Geschichten über den Krieg angehört, nicht nur Daheim, sondern auch im Tal und in den Bergen und habe doch kaum von Niederlagen gehört. Man könnte fast meinen, unsere Stämme hätten nicht gegeneinander gekämpft, sondern Seite an Seite einen gemeinsamen Feind nieder geworfen. Doch das ganze Land zeigt ja deutlich die Spuren, dass nicht beide Stämme gesiegt, sondern alle nur verloren haben. Aber die Ahnen haben uns dennoch nicht belogen. Die Geschichten von den Siegen sind wahr und wahr ist auch, dass sie mehrmals hintereinander aus Rache auszogen. Mal rächten sie einen Mord, mal einen Raubzug. Und zumeist steht die Rache in den Geschichten für sich alleine und erscheint ohne Grund. Aber sie werden jedes Mal Grund genug gehabt haben. Wenn sie ihn nicht nennen, dann kann man leicht erraten, dass es eine schmachvolle Niederlage ist, die sie verschweigen. Aber streng genommen tun sie selbst das nicht. Wenn die alten Stammeskrieger untereinander sind, erzählen sie nämlich kein bisschen anders.

Dann sagt der eine: Weißt du noch damals, als wir auszogen, dies oder jenes zu rächen?

Und alle rufen: Ja! Das war ein großer Sieg! Und sie lachen und prosten sich zu.

Danach aber sagt ein anderer: Und wisst ihr noch, als wir im Jahr darauf auszogen und blutige Rache nahmen?

Und alle rufen wieder: Ja! Das war ein großer Sieg! Aber keiner lacht und jeder trinkt für sich.

So sagen sie sich alles, was sie darüber sagen wollen und ihr Schweigen ist keine Lücke, sondern ein Teil der Geschichte. Die Geschichten deiner Eltern und meiner Großeltern sind sich sehr ähnlich, aber doch nicht gleich. Dir wurde erzählt, was man mir verschwieg und mir das, was du nicht hörtest."

Da wurde mir gewahr, was die wahre Bedeutung der Worte der Alten Lehrer ist, dass das wahre Große Lied nur ein einziges Mal gesungen werde: keine Überlieferung kann das Vergangene so wiedergeben, wie es wirklich geschehen ist. Dies liegt nicht allein an dem geringen Geist der Sterblichen oder ihrer Sprache, die noch mangelhafter ist. Selbst wenn der perfekte Poet alles wüsste, was seit den Weltvätern geschehen ist und ihm für sein Großes Lied gar die Muttersprache der Götter zur Verfügung stünde, müsste seine Erzählung doch ebenso lange andauern, wie Alles seit Anbeginn der Zeit gedauert hat. Und hätte er gar Jahrtausende Zeit für sein Lied, wann wollte er über das singen, was geschieht, während er singt?

Es kann also bei der Historie niemals darum gehen, die Dinge wiederzugeben, wie sie wirklich waren. Das Vergangene ist vergangen. Wir müssen uns darauf beschränken, das Wenige, das wir wissen, so zu überliefern, dass es ausreicht, damit kommende Geschlechter den Leuchtenden Pfad zu finden vermögen, der schließlich, wie wir alle hoffen, uns zur Brücke über dem Schlund führen wird.

Unsere Vorfahren suchten die Gunst der Götter in der Schlacht, denn sie wussten es nicht besser. Alles, was sie fanden, waren Riamodans grausige Liebesdienste. Es heißt, der Heilige Karoman habe Seine wahre Natur geschaut, als ihm Die Waffe, Die Den Frevel Sühnt, gegeben wurde. Aber Alle stimmen überein, dass er danach im Auftrag Der Götter, im Sinne Des Riacommon, handelte. Mag es sein, dass der Heilige erst das ganze Wesen des Entsetzens schauen musste, als er Den König Auf Dem Flammenthron erkannte, um sich von der Liebe nur Dieses Einen Gottes abzuwenden? Sicher ist, dass er danach Krieg führte, um die Herrschaft Des Kriegsgottes einzudämmen. Nur so konnte der Weg geebnet werden für ein Reich des Gesetzes, in dem die Menschen heute Gelegenheit haben, Alle Sieben so zu verehren, wie es für unser Glück notwendig ist.

Das Ziel des Heiligen Krieges war der Frieden. Eben dies aber ist auch die Grundlage aller Kriegskunst: Dass es ein Ziel gibt. Dass nicht Krieg um des Krieges Willen geführt wird. Was auch meint, dass der Krieg endet, wenn das Ziel erreicht ist. Und so gesehen muss das Ziel jeden Krieges der Frieden sein. Sonst ist er von Unglück, denn er kann von Den Sieben nur Einen erfreuen. Die Kunst des Krieges ist eine Gunst, die den Herrschern von Den Göttern gewährt oder verweigert wird. Deshalb ist es auch die Kunst des Krieges, die das Schicksal der Völker entscheidet.

Die Ereignisse des jüngst vergangenen Krieges

mögen auf den ersten Blick eine finstere Bestätigung meiner Worte sein, ein Beispiel, in dem die Gunst verweigert wurde und das Unglück folgte.

Im Laufe meiner Beweisführung werdet ihr mir vorwerfen wollen, ich widerspräche mir selbst. Aber am Ende werdet ihr einsehen, wie recht ich habe und ihr werdet die gleichen Lehren aus dem Vergangenen ziehen, wie ich.

Karoman dem Zweiten wurden viele Vorwürfe gemacht, die einerseits seine angeblich unentschlossene Kriegsführung betreffen, andererseits seine mangelnde Frömmigkeit im Allgemeinen. Wenn wir wieder die Kriegskunst als Göttliche Gabe verstehen, wird deutlich, dass wohl beides zusammen hängt.

Aber wenn Vorwürfe erhoben werden, gebietet mein Herr Riason, dass sie geprüft werden müssen und dass abgewogen wird zwischen Fürsprache und Anklage. Und dies gilt auch jetzt noch, zwei Jahre danach, ja sogar um so mehr, als weil der Hochfürst tot ist und plötzlich niemand mehr Fürsprache für ihn erheben will.

Schauen wir als erstes, wer Karoman den Zweiten am lautesten anklagt: Der Graf von Dunkelwald nennt die Strategie gegen die Altberger in Wort und Schrift halbherzig. Der Hohepriester Riasinas nennt den Lebenswandel des Hochfürsten ketzerisch. Hat nicht der Erste sein viel zu geringes Aufgebot in der entscheidenden Schlacht vom Felde geführt, ohne überhaupt gekämpft zu haben? Es mag stimmen, dass die Dunkelwälder Streiter nicht viel hätten bewirken können und dass ihnen ohnehin nichts zugetraut wurde. Daher mag die Verurteilung wegen Hochverrats danach etwas übertrieben wirken. Aber wie man es auch dreht und wendet, mit der Wahl seines Exils sprach Philonius sich endgültig schuldig.

Nun zum zweiten prominenten Kläger: Phyrain pflegt öffentlich Kontakt mit Halbmenschen, nicht nur gelegentlich, sondern an jedem Tage. Einer seiner Schüler ist ein solcher. Zur Mittagsstunde hörte man ihn schon vom Wein betört Die Sonne beschimpfen, Dass Sie So Hell Sei und ihm Kopfschmerzen bereite. Und ich bin überzeugt, Euch nicht erst darlegen zu müssen, warum die Lehren der Riasinatischen Schule, die er so wortgewaltig vertritt, schmerzhafte Irrungen sind.

Vergleiche ich Kläger und Beklagten, will ich es so zusammen fassen: Zwei lebende Raben werfen einer toten Elster vor, schwarz gewesen zu sein!

Nun komme ich zu den Vorwürfen im Einzelnen, die ja nicht falsch sein müssen, nur weil sie unter Anderen auch von Ketzern und Verrätern vorgebracht werden.

Halbherzig nannten viele Karomans des Zweiten Kriegsführung vor allem wegen zweier Ereignisse. Zum Ersten, weil er zu Beginn der Waffentaten mit seinem Heer schon die Aldburg eingekreist hatte, aber sowohl auf die Belagerung, als auch auf die Erstürmung verzichtete. Die Altberger nennen diese Entscheidung ein großes Rätsel, denn sie sagen, er hätte ja an diesem Tage siegen können. Stattdessen zog er seine Trigardonen zurück und wich den Streitkräften der Aufständischen aus. Er ließ sie gar den Arbo überqueren, bis sie ihn in die Weiten Tejaduns verfolgt hatten. Kaum einen Steinwurf von Norderns Toren entfernt erst suchte er die Schlacht und versammelte darüber hinaus auch noch zu Wenige. Er habe den Krieg halbherzig begonnen, ihn halbherzig fortgeführt, schließlich halbherzig die Entscheidung gesucht und deshalb zurecht verloren, lautet heute zumeist das Urteil.

Aber war das wirklich so? Kann es wirklich sein, dass der sonst so streitlustige Hochfürst, Nachkomme von im Kriege stets ruhmreichen Ahnen, der in jeder Schlacht, die er jemals führte, in der ersten Linie focht, aus Unentschlossenheit einen sicheren Sieg verschenkte?

Nun will ich Fürsprache halten. Ja, es mag richtig sein, dass er vor den Toren der Aldburg viel mehr Bewaffnete hatte, als Graf Uwe von Altberg. Aber waren es auch genug zum Erstürmen der Mauern? Weil es nicht geschehen ist, kann das letztlich niemand wissen. Wir wissen aber, dass die Feste der Aufständischen recht trutzig ist, dass die Trigardonen es nicht gewohnt sind, um befestigte Orte zu kämpfen und dass die größere Zahl im Gebirge noch lange nicht im Vorteil ist. Wer hätte Wurfmaschienen bauen sollen, wenn nicht ausländische Söldner? Und hätten nicht die mit den Bergischen verbündeten Burgunden solchen Söldnern weitaus mehr bezahlen können? Hatte unser Hochfürst nicht auch berechtigten Grund, weiteren Verrat zu fürchten? Immerhin wurde er noch zwei weitere Male während dieses Krieges verraten. Was hätte sein großes Heer essen sollen, während man die Aldburg belagert hätte? Wo hätten seine Krieger schlafen sollen? Wie sich wärmen, stand doch der Winter vor der Tür?

Das große Rätsel der Altberger ist keines. Der Hochfürst hätte mit weniger Kriegern nicht belagern oder stürmen können, so viele, wie er hatte, konnte er aber nicht versorgen. Also tat er das einzig Richtige: Er zog ab.

Ein Makel mag bestehen bleiben und ich finde kein Argument, um ihn dagegen zu verteidigen: Karoman der Zweite hat wohlmöglich die Trutzigkeit der Aldburg, ja die Macht von Festungen im Allgemeinen überschätzt. Diesen Vorwurf habe ich häufig gehört, aber ich hörte ihn stets verbunden mit tiefer Sorge, ja manchmal sogar mit furchtsamer Stimme gesprochen. Denn wenn der Hochfürst dieses Makels schuldig ist, wer von allen Kriegsherren und Waffenprächtigen im Land der Trigardonen ist es nicht? Die Sorge ist berechtigt: Die Kriege der restlichen Welt, oder zumindest die unserer Nachbarn, sind wohl Festungskriege, aber unsere Heere rüsten noch immer zur Schlacht, wie unsere Vorfahren es taten. Die Schulen des Ischan täten gut daran, sich fremdländische Köpfe einzukaufen, die diese für uns neue Kunst des Krieges unterrichten können. Aber ich weiß nicht, ob sie das nicht auch inzwischen getan haben und letztlich ist all dies nicht mein Gebiet, sondern das Eure.

Karoman der Zweite zog also ab und entließ auch nicht geringe Teile seines Heeres. Dies ist keine Unentschlossenheit, sondern die Entscheidung, die er für richtig hielt. Zum einen hatte er ja schon die Erfahrung gemacht, dass die Überzahl ihm keinen Vorteil gebracht hatte. Zum anderen aber entließ er nicht alle aus dem Waffendienst, die er von seinem Heer fortschickte. Sondern er verteilte auch Bewaffnete über das Land, die kampfbereit blieben. So erfuhr er stets genau, wo sich das Heer des aufständischen Grafen aufhielt.

Eine dieser auf das Land verteilten Gruppen vermochte es später gar, die Leute von Fahlgen für ihren Verrat zu bestrafen. Dadurch blieb der Großteil des Montrowischen Landes trigardonischer Besitz, statt an die Altberger zu fallen. Dort hat man die Lehren gezogen und das neu errichtete Cernadun ist zur Zeit ja die prächtigste Grenzfestung, die das Reich hat!

Jedefalls sind die Entscheidungen, die Karoman der Zweite auf seinem Rückzug traf, nicht die, die jemand trifft, der völlig überrascht davon ist, dass der Feind ihm folgt. Warum ließ man die Aufständischen und ihre Söldner den Arbo überqueren? Dies ist eine Frage, die sich einem Verteidiger stellt. Ein Verteidiger hätte dem Feind das übersetzen sicher verwehren wollen. Aber Karoman der Zweite war nicht der Verteidiger. Er war der Hochfürst, der einen Aufstand niederschlagen wollte. Und als solcher war er Angreifer. Ist es denn unwahrscheinlich, dass er den Feind weiter und weiter weg von seinen Territorien locken wollte? Sind nicht die weiten Ebenen des Westens das Schlachtfeld, auf dass die Arbonier ihre Gegner stets locken wollen? Er, der aber sich als Hochfürst aller Trigardonen verstanden wissen wollte, wählte das Schlachtfeld so weit nördlich wie möglich, oder, um es genauer zu sagen, so nahe am Flutland, wie möglich.

Wie kann man ihm Unentschlossenheit vorwerfen? Es ist doch schon eine Leistung, dass er die Wahl des Schlachtfeldes nicht dem Feinde überließ! Und er wählte gleichsam taktisch und symbolisch. Ehrgeiz lese ich darin, keine Halbherzigkeit! Ehrgeiz ist es auch, dass er die Schlacht mit dem persönlichen Aufgebot der drei Grafen schlagen wollte, die er noch auf seiner Seite wähnte, anstatt Heerhaufen der Stammeskrieger ins Feld zu führen. Und hätte Uwe von Altberg sich freiwillig einer Übermacht auf offenem Feld gestellt? So wie Karoman der Zweite es tat, handelt einer, der nach Ruhm strebt und die Vorbedingungen der Entscheidungsschlacht zu den eigenen Gunsten gewählt hat. So handelt kein Zauderer!

Und doch sollte er verlieren. Warum nur? Seit zwei Jahren seid ihr damit beschäftigt, Euch diese eine Frage zu stellen und ich habe noch keine echte Antwort gehört. Wenn ihr euch nun unberechtigt von mir belehrt fühlt und mir entgegnen wollt, ich möge bei meinen Angelegenheiten bleiben und Fragen des Krieges Euch Priestern Riamodans und dem Adel überlassen, dann muss ich Euch sagen: Ja, ihr habt recht, die Theosophie des Krieges gehört nicht dem Kloster Des Riason. Aber muss ich ein Pferdezüchter sein, um gelbe Zähne zu erkennen? Muss ich ein Schmied sein, um Rost auf dem Messer einen Schaden zu nennen? Muss ich ein Schütze sein, um zu sehen, ob ein Pfeil trifft? Sicher wisst ihr mehr als ich über den Aufstand der Bergischen. Wenn ich aber Unrecht habe, so müsst ihr mir den Fehler in meinen Ausführungen zeigen können. Was mich betrifft, so habe ich jedes meiner Argumente geprüft und nach meinem Urteil sind sie fehlerfrei.

Und ich kann Euch auch sagen, warum Karoman der Zweite den Krieg verloren hat. Es ist ja unbestritten, dass die Bergischen und ihre Söldner viel mehr Blut auf dem Schlachfeld lassen mussten, als die Trigardonen und dass die Entscheidung nur damit fiel, dass der Hochfürst, sein Vetter Ardor der Zweite und auch noch Aribor anh Krul in Gefangenschaft gerieten, während Graf Philonius seine kleine Schaar vom Felde führte. Was im Einzelnen diese Wende in der Schlacht brachte und wer dort welche Fehler machte, wisst ihr natürlich besser, als ich. Aber der wahre Grund für die Niederlage ist nicht in den Einzelheiten dieser Schlacht zu finden. Ich habe versucht, Euch zu beweisen, dass der Hochfürst sowohl besonnen, als auch entschlossen handelte. Philonius mag ihn damals schon verraten haben, aber auch das ist wohl kaum der Grund für den schlechten Ausgang der Waffentaten. Schlimme Fehler in den Wochen vorher, wie es vielleicht der Sturm auf die Aldburg oder die bloße Verteidigung des Westufers gewesen wären, waren vermieden worden.

Ein einziger Ausspruch Karomans des Zweiten

mag Aufschluß geben, was wirklich geschehen ist. Als er seinen Vetter, sich selbst und das Stammeshaupt der Flutländer in Gefangenschaft wusste, soll er gesagt haben: "Ach Riamodan, am Ende bist Du doch auch Der Gott Der Schlechten Witze!"

Viele haben ihn verdammt für diesen Ausspruch, manche bestreiten, dass er es jemals sagte und ihr habet ja sehr deutlich gemacht, dass ein solcher Spruch ganz klar und eindeutig keine Blasphemie sei, sondern Riamodan in der Tat eine Eigenschaft besitze, die der Sterblichen Idee von Humor nahekomme, nur dass wir ihn schwer verstehen und oftmals für grausam befinden. Auf der Anderen Seite ist der Ausspruch des Hochfürsten gewiss keine Offenbarung seiner Frömmigkeit. Ich kann nicht sagen, ob es stimmt, denn ich war nicht dabei.

Aber dass es Karoman dem Zweiten an Frömmigkeit mangelte, darin sind wir uns ja einig. Alle seine Taten in diesem Krieg zeigen, dass er Riamodan sicher an seiner Seite wähnte und er dem Adel und den Stämmen an an einem einzigen Tag in offener Schlacht Die Liebe Des Kriegsgottes beweisen wollte. Nur gefiel es Riamodan, den allzu selbstsicheren Heerführer scheitern zu lassen und den Ungläubigen den Sieg zu schenken. Nur ein bisschen weniger Umsicht, nur ein wenig schlechtere Disziplin, dann wäre unser Heer noch früher gestrauchelt und es hätte weit schlimmere Folgen für das Reich gehabt. Mehr Umsicht und bessere Disziplin aber hätten auch nichts genützt. Denn kein Stratege kann einen Plan ersinnen, der sicher ist, wie ihr selber immer sagt. In jedem Krieg der Welt, seit Anbeginn der Zeit, hatten Glück und Unglück ihre entscheidende Rolle.

Und hier ist die Stelle, wo ihr glauben werdet, ich wiederspräche mir selbst. Wenn Karoman der Zweite alle Regeln der Kriegskunst beachtet hat, Riamodan ihn am Ende aber doch scheitern ließ, werdet ihr mich belehren wollen, dann war es ja doch nicht die Kriegskunst, die das Schicksal der Trigardonen und der Bergischen entschieden hat, sondern allein Riamodans Gunst.

Hier aber muss ich entgegnen, dass ich nie behauptet habe, Karoman der Zweite habe alle Regeln der Kriegskunst beachtet. Ich habe ihn lediglich vom Vorwurf der Unentschlossenheit freigesprochen. Ich habe aber auch etwas anderes bewiesen: Dass er nämlich über alle Kampfhandlungen hinweg mit seinem Glück gespielt hat. Sein Plan war von großer Kunstfertigkeit und er war ein Künstler des Krieges. Die Kunst des Krieges ist aber keine Sache für Künstler, sondern für Sieger. Eine Eurer wichtigsten Regeln lautet ja zu recht, dass ein komplizierter Plan schlecht sei. Ein paar exotische Hebel-Wurfmaschienen wären sicher besser gewesen und vom mechanischen Standpunkt aus betrachtet gewiss ebenfalls von großer Kunstfertigkeit. Sicher fallen Euch noch mehr einfache Alternativen ein.

Eben hier offenbart sich, dass die Kriegskunst sich genau so verhält, wie andere Gaben Göttlicher Gunst: fordert man sie ein, als stünden sie einem von Natur aus zu, so werden sie einem sehr schnell entzogen. Und Karoman der Zweite ist ein ausgezeichnetes Bespiel dafür. Es ist unmöglich, ihn vom Vorwurf mangelnder Frömmigkeit loszusprechen. Aber wieder ist es nötig, genau zu sein, um nicht in den Chor der Ketzer einzustimmen, die ihm scheinbar das Gleiche vorwerfen.

Ich habe ein Beispiel dafür, von welcher Natur des Hochfürsten ständige Sünde der Vermessenheit gewesen ist. Ja es ist mehr als ein Beispiel, da es moglicherweise die Saat des Unheils über seine Herrschaft gebracht hat. Wenige wissen, dass unmittelbar vor der Heerschau eine Brandweihe stattgefunden hat. Ein Priester Riamodans war nicht zugegen, aber ich war es, der den Dolch des Mahavir zum Hochfürsten brachte. Und alles, was ich tat, habe ich in Erfüllung meiner Pflicht als Diener Der Sieben getan. Auch wenn das Ritual kläglich scheiterte, handelte ich nach bestem Gewissen, wenngleich ich dabei versagte, über mich selbst hinaus zu wachsen, sodass ich den Unbelehrbaren nicht belehren konnte.

Und so ist es geschehen:

Ein junger und gesunder Edler vom Flussvolk erkrankte scheinbar in Parvynsbrück, wo sich der Hochfürst aufhielt, da es ein guter Ort war, um beiderseits des Derian das Heer zu versammeln. So heftig schüttelte es den jungen Mann, dass er den Krug, den er dem Hochfürst bringen wollte, zur Hälfte über dessen Gewand vergoss und danach zu Boden fallen ließ, wo er zerbrach. Karoman der Zweite lachte laut darüber, wie es seinem Wesen entsprach, zur Hälfte um den Pagen mit Spott zu strafen, zur Hälfte, um ihm zu vergeben. Als der aber zu Boden sank und sich weiter schüttelte und gar nicht mehr aufstehen wollte, schickte man nach den Ärzten. Als keiner sich das Fieber des jungen Mannes erklären konnte, da es am Morgen noch nicht gewesen war, sagten alle, dass es sich um einen dieser unsichtbaren Sommergeister handeln müsse, gegen die es Keine Heilung gibt. Man erwartete also seinen Tod für die Nacht. Gegen Mitternacht brannte die Stirn des Pagen so heiß, wie sonst kein Fieber brennt, aber er starb nicht und alle waren ratlos. Nur der Hochfürst war es nicht. Er hatte zwei fremdländische Sternenkundige in seinem Hofstaat, beides Ungläubige, die er nach dem Laufe von Riadugoras Wandelstern fragte. Die beiden, anstatt Auskunft zu geben, zerstritten sich aber lieber über den Namen des Sterns: Almuschtarie Aschtar, sagte der eine, Jovpater der andere und schließlich kam ein dummer, hässlicher Riasinat hinzu, der sich sichtlich freute, den Streit weiter anzuheizen, indem er beide schalt, man möge das Gestirn Jahans Haus nennen und niemals anders. In den frühen Morgenstunden hatten die drei sich zum Glück darauf geeinigt, dass "Jahans Haus in der Kleinen Hand" das gleiche ist wie "Almuschtarie Aschtar im Almaschrecken", was gleich ist mit "Jovpater im Orion". Als sie das endlich geschafft hatten, konnten sie immerhin schnell das Datum für die Konstellation bestimmen: In sechs Nächten werde es sein.

Noch vor Sonnenaufgang schickte der Hochfürst nach sieben prächtigen Auerochsen und sandte mich aus, den Dolch des Mahavir aus Riamodans Hochtempel zu holen. Da begriff ich erst, worum es ging und dass das Fieber des jungen Edlen eben kein Fieber war, sondern das Jahansbrennen. Kräftige Ruderer brachten mich den Derian herab und den Arbo hinauf und wann immer sie ermüdeten, konnte ich dank des Herrscherzeichens das Boot wechseln, sodass ich am übernächsten Tag zur Mittagsstunde die Reliquie in Händen hielt und vor Mitternacht drei Tage nach meinem Aufbruch zurückkehrte.

Während der Reise dachte ich viel über mein Schicksal nach und regelte im Geiste schon meine Angelegenheiten. Aber den Göttern gefiel es, mein Leben zu verschonen. An dieser Stelle beginnen noch nicht die Fehler. Es sind einige Vorgänger von mir bekannt, die nicht scheiterten und doch verschont wurden. Und wäre es nicht auch Vermessenheit, wenn ich mein Martyrium selbst herbei sehnte? Als ich zurückkehrte, war jedenfalls kein Priester Riamodans zugegen, bedenket dies, wenn ihr über mein Versagen urteilt. Es mag zwar stimmen, dass Karoman der Zweite nicht nach Euch schickte, aber auf der anderen Seite hat er die Brandweihe auch nicht geheim gehalten.

Zu Riasons Stunde, kurz vor meiner Ankunft, hatte man den dritten Auerochsen geschlachtet und röstete gerade sein Fleisch, als ich vor den Hochfürsten trat.

"Wofür hole ich in deinem Namen die Reliquie, mein Herr, wenn du doch schon die Opfertiere schlachtest?" fragte ich ihn zornig.

"Dies ist noch nicht das Opfer an Riamodan, ehrwürdiger Vater. Ich danke dir für deinen Dienst und deine rasche Rückkehr." Entgegnete er.

Sodann lud er mich an die Tafel, wo die ersten Reiter und Edlen des Heerbanns schon schmausten und tranken. Da es schon dunkel war, nahm ich an, dass es angemessen sei, in die Feierlaune einzustimmen. Ich glaubte, man habe schon zur rechten Zeit geklagt und geweint. Dann erst merkte ich, dass keine frische Urne an der Tafel war. Und als ich danach fragte, bekam ich zur Antwort, dass ja auch gar niemand gestorben sei! Meiner Sorge zum Trotze wahrte ich die Sittsamkeit und suchte erst nach dem Mahl das vertraute Gespräch mit dem Hochfürsten.

"Was feiern wir, mein Herr?" begehrte ich zu wissen.

Er aber schien meine Frage gar nicht zu verstehen, gab er doch nur zur Antwort, dass es natürlich die Brandweihe sei, die wir feierten und dass er eben in jeder Nacht, in der niemand bestattet werde, stattdessen das ruhmreiche Opfer seines Pagen feiere.

Fürwahr, gepriesen sei sein Name! Damit es nicht vergessen werde, ihm zu gedenken, will ich seinen Namen in goldenen Lettern schreiben: Es war Belwynn Jardomer anh Tarlan, Sohn der Nyrte anh Tarlan vom Stamme der Arbonier, gepriesen sei sein Name, der vom König Der Unterwelt ausgewählt worden war, den rastlosen Toten den Weg zu erleuchten. Gepriesen sei sein Name!

Aber das Ritual war falsch begonnen worden und das durfte ich nicht verschweigen. "Du kannst nicht jeden Tag einen Auerochsen schlachten, am Siebenten den Dolch des Mahavir dafür verwenden und dies dann ein Opfer an Den Herrn Riamodan nennen." Sprach ich also.

"Warum nicht? Ich würde doch nicht sieben Tage nacheinander ein Festmahl für gewählte Gäste geben, wenn nicht Brandweihe wäre. Erwartest du etwa, dass ich am siebenten Tag so viele Opfertiere mit Mahavirs Klinge töte, dass ich ein Festmahl für das ganze Heer geben kann? Ich fürchte, solch reiche Geschenke geben weder die Weiden her, noch mein Arm." So verspottete mich Karoman anh Rhack, der Zweite seines Namens. Also erklärte ich ihm das Problem:

"Ein einziges Tier hätte genügt, so lange es ein Besonderes ist. Ich aber fürchte, dass wenn du jeden Tag einen Auerochsen schlachtest, es am Siebenten Tag dein Schlachtross sein muss, welches du Dem Riamodan schenken musst. Dieser aber sähe dich sicher lieber darauf in den Krieg reiten. Also beende jetzt deine sinnlosen, täglichen Opfer, denn vielleicht ist es noch nicht zu spät!"

Dies sei aber unmöglich, beharrte der Hochfürst. Er habe ja jetzt schon begonnen, seine Ritter zu bewirten und jene, die noch nicht erschienen seien, weil sie von weiter her kämen, würden jene, mit denen er schon gefeiert habe, als ungerecht bevorzugt ansehen. Kurz vor Beginn des Krieges könne er sich das nicht leisten und Riamodan müsse das eben verstehen.

Dass Der Riamodan eben überhaupt nichts muss, wenn es um uns Sterbliche geht, warnte ich ihn daraufhin, aber er sagte nur:

"Er wird es aber bei mir. Denn mich liebt Er."

Dies mag die angemessene Haltung für den Heerführer aller Trigardonen sein, aber in der Sache der Auerochsen irrte er sich und darauf beharrte ich meinerseits, auch wenn es nichts änderte. Zum Schluss frug ich ihn noch, ob er schon den Namen des rastlosen Toten herausgefunden habe und natürlich war dem nicht so. Dies würde er aber vertrauensvoll in meine Hände legen.

Am nächsten Tage versuchte ich mühevoll, den Geist, den es ja geben musste, irgendwo aufzufinden. Aber es war laut geworden in Parvinsbrück, weil so viele Fremde angekommen waren. Vielleicht hätte ein anderer den Wind verstehen können, mir war es unmöglich. Wegen der vielen Menschen und Tiere, waren auch die Vögel unruhig und die Hunde und alle anderen Haustiere. So konnte ich in ihrem Verhalten nichts ablesen. Und die Einwohner bestanden darauf, dass es in Parvynsbrück nicht spuke.

Kurz nach dem Mittag erschien Aribor mit seinem Gefolge, ein paar Tage früher als erwartet. Das ließ mich wieder hoffen. Noch vor der Schlachtung am Abend trat ich vor den Hochfürsten und die Flutländer, auf deren abergläubische Furcht vor Geistern und Hexenkunde vertrauend.

"Mein Herr, du weißt hier spukt eine ruhelose Seele, denn Riamodan hat uns das Zeichen dafür gezeigt. Aber ich kann sie nicht finden, weil es zu laut ist am Orte. Wenn du jetzt, bevor der Rest der Streitkräfte hier eintrifft, die schon versammelten Waffenträger nur eine halbe Wegstunde von hier fortmarschieren lässt, könnt ihr später wieder sicher hier rasten."

Habe ich damit Karoman dem Zweiten nicht eine goldene Brücke gebaut? Hätte er nicht auf diese Weise von den verfrühten Schlachtungen ablassen können, ohne dass jemand sich ob des versäumten Festmahles hätte benachteiligt fühlen müssen? Wenn es ihm wirklich um die Brandweihe in ihrem ursprünglichen Sinne gegangen wäre, dann hätte er nun auf mich gehört. Aber wie immer lachte er bloß.

"Keine Sorge, ehrwürdiger Vater! Ich habe gefunden, was du nicht finden kannst." Sagte er an dieser Stelle das Unglaubliche.

"Mir sind ein paar bergische Kundschafter ins Netz gegangen. Die richte ich hin, dann haben wir die ruhelosen Toten, die Belwynn in die Unterwelt führen kann."

Und alle lachten und am lautesten die Flutländer, weil die sich vor den Arboniern keine Blöße geben wollten. Nur ich konnte das Gehörte nicht glauben und mir war, als sei alle Vernunft zu Bruch gegangen, ja als ob wir in die Barbarei zurück gefallen wären und wir Priester wieder die Geisterbeschwörer und Verbändewickler der brutalen Herren meiner Kindheit geworden wären.

Irrigerweise wollte ich noch glauben, dass alle gelacht hatten, weil es ein Scherz gewesen war. Nach dem verschwendeten Mahl und Gelage des Abends belehrte mich der Hochfürst in einem letzten vertrauten Gespräch jedoch eines Besseren. Erneut begann ich, ihm zu erklären, dass ich den ruhelosen Geist, der hier irgendwo spuken müsse, nicht finden könne und erst recht sein Name nicht herauszufinden sei. Auch bei den Grabesurnen der ansässigen Edlen, der Quellgrunder Sippe und ihren Schutzbefohlenen, hatte sich Kein Hinweis finden lassen. Und erneut wollte er mich damit beruhigen, dass ja morgen nach der Hinrichtung alles beisammen sei, was das Ritual benötige.

Nach kurzen Augenblicken ungläubigen Schweigens brach dann endlich mein Zorn aus. Hatte Zorn ihn, den König des Zornes, jemals zu etwas bewegen können? Aber ich bedachte meine Worte nicht, sondern ich schleuderte ihm entgegen:

"Was du eine Hinrichtung nennst, ist in Wahrheit ein niederträchtiger Mord, eine widerliche Barbarei, ja ein Bruch mit aller Kultur! Damit verlässt du alles, was uns Menschen vom Tier abhebt! Menschenopfer forderst du, nichts anderes als das! Du stellst alles auf den Kopf! Du verhöhnst Ischaras Leid ebenso wie das Opfer des Heiligen Jahan mit dieser Tat! Wenn du das Fleisch der Hingerichteten zum Festbankett servierst, machst du deinen Frevel kaum größer!"

Ich musste ihn getroffen haben, denn er verteidigte sich. Für gewöhnlich war er es ja gewohnt, Anklagen gegen sein Verhalten stets als Unsinn abzutun.

"Die morgen hingerichtet werden, die Sterben als Verräter und Aufständische! Ich werde sie nicht ermorden, denn ich bin kein Mörder! Zu Gericht sitze ich über sie und sie werden erhalten, was sie verdienen! Ich habe jedes Recht, das zu tun, denn ich bin ihr Herr und Hochfürst und sie haben gegen jedes Recht und ohne Grund die Hand gegen mich erhoben! Und du Denubis, wirst sie bestatten, wie es deine Pflicht als Priester ist!"

Das Letzte hatte ich geahnt. Jedes Kind weiß, dass die Bergischen ihre Toten nicht wie unsereins verbrennen, sondern dass sie für die einfachen Leute Gruben rund um ihre Tempelmauern ziehen, wo sie sie hinein werfen und verscharren, während die Edlen in verschwenderisch großen Sakophagen unter dem Fußboden des Tempels beigesetzt werden. Auch Karoman der Zweite wußte das natürlich und vermutete zurecht, dass wenn die bergischen Verräter nach ihrer Hinrichtung auf Scheiterhaufen brennen und in Urnen nach Hause geschickt würden, sich ihre Seelen aus Zorn über den Bruch mit den Sitten ihrer Vorfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen den natürlichen Weg zu Den Hallen entscheiden würden. Was aber hätte ich tun sollen? Weigerte ich mich, wie es mir bei Verrätern ja durchaus zugestanden hätte, überließe ich die Toten den Krähen und Ratten und aus der der Wahrscheinlichkeit wäre eine Sicherheit geworden. Oder der Hochfürst würde Anderen, ungeweihten Leuten befehlen zu tun, wozu der grausame Denubis nicht bereit wäre. Er hatte mich in der Falle.

"Die Götter verdammen dein Handeln, Haus Rhack!" brach ich das Schweigen. "Aber ich werde meine Pflicht tun."

Das Jahansbrennen erstreckt sich stets über sieben Tage

und sieben Nächte, weshalb ich mich darauf verlassen konnte, dass die Sternkundigen keinen Fehler gemacht hatten. Ich wusste also beim nächsten Morgengebet, dass mir noch dieser und der nächste Tag blieb, um den rastlosen Geist zu finden, denn wenn die siebte Nacht begann, musste ich ihn mit seinem Namen ansprechen können, um ihn auf das Licht hinzuweisen, mit dem Belwynn ihn in Riadugoras Reich führen würde. Obwohl bis jetzt alles falsch begonnen hatte, blieb mir die Hoffnung, alles noch zum Guten wenden zu können. Die wichtigsten Bedingungen waren ja erfüllt:

Der gute Belwynn war zwar noch ein Page, aber ich hatte mir berichten lassen, dass er dennoch schon sein Blut im Kampfe vergossen hatte. Seine edle Abstammung stand außer Frage, sein Blut war also Blut von Weltvater Natan. Nichts sprach dagegen, dass er Jahans Symbol sein konnte, ja während des Ritus Jahan sein würde. Unbestreitbar war der Hochfürst als Enkelsohn des Heiligen Karoman, Hochfürst der Trigardonen und Haupt der Sippe Rhack, aus deren Reihen ja schon so lange die Arbonischen Heereshäuptlinge erwählt worden waren, der edelste Nachkomme Natans hier am Orte und auch sonstwo. Selbstverständlich würde er Mahavir sein, so wie ich Mahavir gewesen war, während ich die Reliquie zu ihm brachte. Obwohl er mit seinen Rittern jetzt schon seit vier Tagen Auerochsen fraß und behauptete, das sei für Den Waffengott und um an den Heiligen Jahan zu erinnern, würde er am letzten Tag sein Opfer vielleicht ehrlich meinen. Wenn gut gemeint das Gegenteil von gut ist, ist dann ehrlich gemeint das Gegenteil von ehrlich? Er vertraute darauf, dass Riamodan erfreut über das Blut des Auerochsen sein würde. Obwohl ich davon weniger überzeugt war, musste ich auf ein freundliches Schicksal vertrauen. Mahavir war von Jenen gestört worden, denen unsere Frömmigkeit ein Dorn im Auge ist. Da mir auf meiner Reise kein Mordbube, Ungeheuer oder dergleichen begegnet war, würde der Hochfürst noch einen Kampf gegen Widersacher des Glaubens kämpfen müssen. Aber dafür hatte ich schon einen Plan. Es blieb die bohrende Frage nach Ischara. Wer war sie? Wie war ihr Name? Ohne das zu wissen, war das ganze Ritual sinnlos. Hätte Ischara in ihrer Vermessenheit nicht die Götter verflucht, wäre es zu Alledem niemals gekommen.

Ich betete diesen Morgen länger, als ich es für gewöhnlich tue. Dann suchte ich mir einen Seitenarm des Derian, ein kleines Bächlein, und ritt in Windeseile zu dessen Quelle, um mich darin zu waschen. Zwar ging mir langsam die Zeit aus, aber ich wusste ja, das während des Jahansbrennens Die Götter und die Geister sehr genau hinsehen. Heerlager sind ein Sündenpfuhl und daher musste meine Reinheit viel ausgleichen. Noch wichtiger war aber, jedes Sakrileg zu vermeiden, auch die versehentlichen, die sich ja bei Heiligen Kulthandlungen viel zu häufig einschleichen, wie ihr gewiss auch selber aus leidvoller Erfahrung wisst. Während meiner Waschung hatte ich plötzlich eine Eingebung:

Es waren ja durchaus welche am Ort, die zu den gleichen Heiligen beteten, wie die Bergischen! Ungläubige, ja, aber sie waren gar nicht dumm, konnten sie doch, wie Erwachsene, ohne Priester beten. Ich hatte mich in der vergangenen Woche noch rechtschaffen darüber empört, denn es handelte sich um des Hochfürsten eigene Leibwache! Da durchflutete mich neue Kraft und eine verzweifelte Idee nahm Kraft meiner Vorstellungsgabe Gestalt an. Es war möglich, den Frevel zu verhindern, den es bedeutet, absichtlich die Seelen armer Sünder zum rastlosen Geisterdasein zu verurteilen!

Rechtzeitig, um meine Gewänder für die Rechtsprechung zu wechseln, kehrte ich nach Parvynsbrück zurück. Kurz bevor der Hochfürst seinen Platz einnahm, ergriff ich die Gelegenheit, nocheinmal das Wort an ihn zu richten. Er zürnte mir wegen meiner harschen Worte in der gestrigen Nacht noch immer, weshalb ich ihn gar nicht erst um Unterredung bat, sondern mich bis zu seinen Leibwächtern vordrängelte.

"Mahavir musste Feinde des Glaubens im Kampf überwinden!" Rief ich ihm entgegen. "Und die Verräter sind freie, waffenfähige Männer!"

"Glaubst du, ich kenne die Überlieferungen des Stammes nicht, dessen Haupt ich bin, Priester?" Schnappte er zurück.

"Darauf bin ich selber schon gekommen!"

Wer kann sagen, ob er wirklich von selbst darauf gekommen ist? Ärger war der Ausdruck, der auf sein Gesicht geschrieben stand, was jedes Zeichen der Lüge, das es vielleicht gegeben hätte, überdeckte.

Turaljon sprach gegen die Verräter und ich hielt Fürsprache. Wie erwartet, wollten die Angeklagten Graf Uwe von Altberg nicht verdammen, weshalb der Hochfürst auch nicht in die Not geriet, ihnen Gnade gewähren zu müssen, obwohl sie auf mein Anraten hin auf Knien darum baten. Sodann wies ich laut darauf hin, dass sie einen Schicksalsentscheid verlangen würden. Vom Heer, von dem an diesem Tage etwa der fünfte Teil schon in Parvynsbrück versammelt war, erklangen Protestrufe. Zu recht, denn wo käme man hin, wenn jedem Feigling und Verräter ein Urteilsspruch durch Zweikampf erlaubt würde? Streng genommen hatten die Bergischen ihre Ehre und damit ihr Recht darauf verwirkt. Aber ich wusste ja, dass der Hochfürst es gewähren würde. Und so geschah es dann auch. Zur Stunde des Riason am Abend würde der Zweikampf geschehen und das Urteil verkündet und zur Stunde des Riason am Morgen würde, im Falle der Schuld, das Urteil vollstreckt. Turaljon wollte schon nach seinem Rüstzeug schauen, da verkündete Karoman der Zweite, dass er selber kämpfen wolle. Und die Protestrufe schlugen natürlich um in Jubel.

Versammlungen hatte er immer im Griff. Verschwörungen, wie wir heute wissen, dafür um so weniger. Was ist also wichtiger für einen Herrscher?

Zur Stunde Des Göttlichen Richters sprach ich die Gebete und segnete den Kampfplatz. Der Hochfürst erschien nach dem Kämpfer der Angeklagten, der übrigens meinen Segen brüsk zurückwies. Als der Hochfürst die Waage küsste, flüsterte ich ihm zu:

"Bete knieend auf dem Kampfplatz. Und wenn ich rufe, dass ihr beginnen sollt, dann bete weiter. Kämpfe erst, wenn er mit seinem Angriff dein Gebet unterbricht!"

Da strahlte er mich an wie ein Geschwisterkind, mit dem gemeinsam er einen Honig gestohlen hat. Ja das schlimmste war: Er zwinkerte mir zu! Ich fühlte mich elend und beschmutzt. Und er tat, wie ich ihm geheißen hatte.

Ich sprach die angemessenen Worte zu den Versammelten. Dann sprach ich: "Es möge beginnen!"

Der Hochfürst blieb auf seinen Knieen und betete, nicht ohne die Wachsamkeit zu wahren. Und sein Gegenüber rührte sich nicht.

"Also wissen wir die Augen der Sterblichen auf diesen Moment des Schicksals gerichtet, der also beginnen möge!" Rief ich aus.

Der Hochfürst betete, der Bergische rührte sich nicht.

"Also wissen wir Die Augen Der Götter auf diesen Moment des Schicksals gerichtet, der nun also beginnen möge!" Rief ich aus.

Ich hatte getan, was ich konnte. Ich hatte es drei mal Ausgerufen. Wollte ich die Form wahren, konnte ich nicht weiter gehen. Welcher Gerichtskampf wird schon sieben Mal ausgerufen? Ein einziges Mal muss reichen!

Der Hochfürst betete so lange, dass es anfing, peinlich zu werden. Die ersten Ritter warfen sich beschämte Blicke zu. Der Altberger aber unterbrach das Gebet einfach nicht. Verflucht sei seine Ehrenhaftigkeit! Er spottete nicht mal, sondern stand nur ganz ruhig da. Endlich stand der Hochfürst auf und warf mir einen finsteren Blick zu. Dann sprach das Schicksal die Angeklagten schuldig des Verrats.

Karoman war so zornig auf mich, dass man mir riet, ihm eine Weile aus dem Weg zu gehen. Am nächsten Morgen erschien er nicht einmal zur Hinrichtung. Durch einen Boten ließ er mir mitteilen, dass jeder Verräter die Möglichkeit bekommen solle, sich selber zu Entleiben. Aber die Verurteilten tauschten ihre Ehre lieber gegen eine letzte Viertelstunde. Ich muss zugeben, dass der Vorwurf des Menschenopfers ungerecht gewesen ist und ich darüber hinaus ob des eigenen Zornes versäumte, mich dafür zu entschuldigen.

Obwohl der Bergische das Gebet nicht unterbrochen hatte und deshalb nur schwer als Feind des Glaubens deutbar war, konnte immer noch alles gut gehen. Immerhin war er ein Ungläubiger gewesen und die Ungläubigen rebellierten gegen die rechtmäßige Herrschaft des von Den Sieben gewollten Herrschers. Da ich immer noch keine Ahnung hatte, wie ich den Namen des ruhelosen Geistes herausfinden sollte, beschränkte ich mich vorerst auf das Verhüten von Sakrilegien. Es war der letzte Tag des Jahansbrennens, daher wurde ich unruhig. Die Zeit lief mir davon. Noch vor Sonnenuntergang würde der brave Belvynn sterben. Dann musste das Jahansbrennen als Scheiterhaufen fortgeführt werden und wenn dieser abgebrannt war, würde der Page den Platz des Heiligen einnehmen und das Licht in die Unterwelt bringen.

Zum Glück hatte ich schon in der Nacht angewiesen, einen zusätzlichen Scheiterhaufen zu errichten und musste mich darum nicht bekümmern. Keiner würde den Verrätern eine Träne nachweinen, also hatte ich bei den Vorratskammern Zwiebeln gesucht und gefunden und ein paar Mägte dafür bezahlt, die Klageweiber der Bergischen zu sein. Auf ein Festmahl nach Sonnenuntergang konnte ich mich ja verlassen. Mein Plan sah vor, die Bergischen sowohl auf unsere, als auch auf ihre eigene Weise zu bestatten, beziehungsweise bestatten zu lassen. Wie gerne hätte ich auf die Verbrennung verzichtet! Aber eine Bestattung nur zum Schein ist ein Sakrileg, also musste ich es richtig machen, selbst wenn es nur geschah, um den Hochfürsten zu täuschen.

Ich sprach die angemessenen Worte für Ungläubyge, die Die Götter ja so viel mehr fürchten müssen, als wir, wenn sie nach dem Tode plötzlich für sie gänzlich unerwartete Dinge erleben. Die Mägte weinten wie es sich gehört, wenigstens zu Anfang. Aber sie waren diese Arbeit nicht gewohnt und zwei mal musste ich einer mit der flachen Hand das Kichern aus dem Gesicht schlagen. Nach einer Viertelstunde entließ ich sie, mehr konnte ich nicht verlangen. Während die Feuer loderten, eilte ich erst zu Belwynn, der aber noch bei seinen letzten Kräften war, hernach zu den Leibwächtern des Hochfürsten, die gerade keinen Dienst verrichteten. Mit ihnen verabredete ich, dass sie, wenn es dunkel geworden war, die Gebeine der Verräter, die ich mit dem Lehmtrick gerettet hatte, heimlich aus den Scheiterhaufen suchen sollten. Als nächstes wies ich ein paar Knechte und Stammeskrieger an, einen Graben um den kleinen, Riaranjoscha geweihten Brückenschrein auszuheben. Ich erzählte ihnen, dies geschehe, um Unfälle mit den großen Fuhrwerken, die das Heer gewiss mit sich führen werde, zu vermeiden, denn der Schrein könnte ja beschädigt werden. Am nächsten Tag, als die Gebeine verscharrt waren, erzählte ich ihnen, ich habe es mir doch anders überlegt, weil ja die Fuhrwerke so leicht in den Graben stürzen konnten. Freilich wusste ich, dass das Heer gar keine Fuhrwerke mit ins Bergland nehmen würde. Als die Scheiterhaufen der Verräter niedergebrannt waren, sammelte ich ihre Asche für die Urnen und brachte sie zum angemessenen Orte.

Endlich setzte ich mich an einem zumindest halbwegs ruhigen Ort zur Ruhe und dachte über mein schwierigstes Rätsel nach. Wer war der ruhelose Geist? Was konnte ich noch unternehmen, um seinen Namen herauszufinden? Die Stimmen des Windes hatte ich als erstes befragt, war aber zu taub gewesen, um ihrem beständigen Gemurmel in dieser Umgebung etwas Sinnvolles zu entnehmen. Ich hatte erfolglos versucht, den Vogelflug und das Benehmen der Haustiere zu deuten. Kein Mensch hatte etwas Hilfreiches zu berichten gewußt. Meine Träume, die ich intensiv beobachtet hatte, gaben mir auch keinen Hinweis. Meine Stimmung wurde düsterer. Riadugoras Diener hätten die Winde vielleicht auch in diesem Lärm verstehen können. Ein Waidmann Vogel und Tier besser verstanden. Der Dorfpriester hätte den Leuten bessere Fragen gestellt, aber es gab keinen. Und gerade die besten Traumdeuter suchen zum Deuten der eigenen Träume einen Kollegen auf. Mich hungerte, dürstete, auch fror ich und gähnte. Als ich in Gedanken mich selber schalt: "Zu nichts bist du Nütze, Denubis!" schreckte ich auf. All dies sind die altbekannten Anzeichen einer beginnenden Melancholie, erkannte ich. Dann erinnerte ich mich, dass ich das Frühstück vergessen und in der Nacht kaum geschlafen hatte. Eine Melancholie also, die sich gewaschen hatte, war da im Anmarsch. Ich musste etwas dagegen tun. Zuerst gebot ich meinem Magen, zu schweigen. Hätte ich jetzt gegessen, hätte auch der Schlaf sein Recht gefordert, aber dafür war keine Zeit. Das fehlte noch, dass Riamodan mich an ausgerechnet diesem Tag bei trägem Mittagsschlaf ertappte! Um den Ausbruch der Seelenkrankheit zu verhindern, verschaffte ich mir Abhilfe mit den Worten der Heiligen Schrift. Schon mit den ersten Zeilen besänftigten sich die Gefühle, während der Verstand sich schärfte. Die letzten drei Zeilen des Wanderer Siehe waren wie ein zweiter Sonnenaufgang. Ich las sie erneut:

15 Die Zukunft verbirgt sich in der Vergangenheit. 16 Machst Du sie Dir zur Gegenwart, 17 ist das Tal welches Du durchmessen hast Dein.

Ha! Vogelflug! Stimmen im Wind! Sorglose Bauern! Es war ja Alles viel einfacher! Der Heilige Jahan hatte seinen Weg ja auch ohne Priester finden können! Was ist denn die ganze Brandweihe anderes, als zur Gegenwart gemachte Vergangenheit! Das ist doch das Wesen aller Traditionen und der verborgene Sinn der Riten. In Jahans Geschichte ist alles erzählt, was nötig ist. Vergangene Geschlechter wussten so oft gar nichts von Vogelflug und Traumkunde, haben den Ritus aber dennoch glückbringend vollzogen. Hatten sie nie dass Problem, vor dem ich heute stand? Doch, manche ganz bestimmt, so lange sie auch auf solche Toren hörten, wie den Hochfürsten und mich. Ist doch Torheit ein Ding, an dem es zu keinen Zeiten mangelte. Ha! Glaubst du rückzukehren, in die Barbarei etwa, so ist dein Schreiten in Wahrheit vor, nämlich zur Klarheit der einfachen Lösungen!

Jahan hatte sich nicht einfach selbst verbrannt und war danach in Riadugoras Hallen geschritten. Erinnert Euch, so werden keine Geschichten erzählt. Es folgt nicht einfach ein Ereignis auf das Andere. Jahan hatte Grund und Absicht bei seinem Tun. Er opferte sein Leben aus Liebe zu Ischara, dies mit dem Zweck, sie in Riadugoras Hallen zu führen. Wie widersinnig ist der Gedanke, dass Jahan nicht wüsste, wer Ischara sei! Wenn heute also Belwynn Jahan war, so musste er natürlich auch wissen, wer heute Ischaras Platz eingenommen hatte! Mit der verzweifelten Bitte an Die Götter auf den Lippen, Belwynns Leben nur noch ein bisschen länger andauern zu lassen, eilte ich raschen Schrittes in dessen Kammer. Und Sie erhörten mich.

Er schlief, als ich eintrat. Leise musterte ich sein gezeichnetes Gesicht, ehe ich ihn sanft weckte. Seine glänzenden Augen füllten sich mit Tränen, als sie mich erblickten. Ich befeuchtete seine glühende Stirn und fragte ihn, warum er weine.

"Ist es falsch, dass ich weine, wenn ich doch so jung sterben muss?" Entgegnete er. Sanft nahm ich seine Hand und lächelte ihn warm an.

"Ja, das ist falsch. Denn niemand, der so jung stirbt, wie du, ist jemals so ruhmreich von uns gegangen. Lieber solltest du dich freuen, denn dein Leiden wird bald enden. Und du weißt doch, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern nur eine Rast auf dem Weg zu Deiner Wiedergeburt. Ischara und Jahan werden dich an ihrer Seite willkommen heißen. Und du wirst zu den besten Ahnen gehören, die die Menschen haben können."

"Wie kann ich ein Ahne werden, wenn ich kinderlos sterbe?" Wandte er ein. Ein sehr schmerzhafter Einwand, weil er nicht unberechtigt ist. Aber ich wusste die Antwort darauf.

"Kinderlos zu sterben bedeutet nicht, dass deine Sippe dir nicht gedenken wird. Im Gegenteil. Sie werden deine Asche zu all den Vorfahren stellen und niemand wird das eigene Recht, dir nah zu sein, über das Recht eines Verwandten stellen. Keine Töchter und Söhne werden in künftigen Generationen sagen können: Siehe, dies ist mein Vater, der Edle Belvynn, der von Der Blinden Königin Daselbst zur Zwiesprache geladen wurde. Mit ihm habe ich einen besseren Vorfahren, als selbst das Familienoberhaupt. Keiner wird das sagen können. Sondern alle werden in gleichem Maße ein Recht auf deinen Segen haben, eben weil du ihres Blutes, zugleich aber keiner ihrer Vorfahren bist. Wenn sie dich ehren und lieben, dann wird der Wind es dir berichten. Und wenn sie fromm und tugendhaft sind, werden sie auch deine Botschaften an sie verstehen können. Schon in der übernächsten Generation kann es dann sein, dass du das Reich Der Erde Und Der Sonne wieder betreten darfst. Dann wird es dir, bei all deinem Ruhm, ein Leichtes sein, deine Sippe wieder zu finden und, solltest du befinden, dass sie es verdienen, erneut als einer der ihren in Fleisch und Blut geboren zu werden."

"Woher weißt du das alles? Vielleicht sind das alles nur Geschichten um mich zu trösten!" so zweifelte er. Um meinen folgenden Worten mehr Gewicht zu verschaffen, schwieg ich eine Weile.

"Da hast du recht. Das sind alles nur Geschichten. Und ja, ich erzähle sie dir, um dich zu trösten. Dennoch spreche ich die Wahrheit. Denn ich habe mir die Geschichten nicht ausgedacht. Der größte Teil von ihnen kommt von Menschen wie dir und mir, die in früheren Zeiten lebten. Der zweitgrößte Teil von ihnen kommt von den Geistern der Berge, Seen, Bäume und nicht zuletzt von den Geistern der Menschen aus der Unterwelt, die wir als Ahnen verehren. Der kleinste und wertvollste Teil der Geschichten aber, der kommt von den Göttern selbst. Dies sind die Geschichten, die wir nur vernehmen können, wenn wir reinen Herzens um Erleuchtung bitten."

Damit hatte ich ihn beruhigt. Kein Schluchzen und keine Tränen mehr. Wir beteten gemeinsam, ich reichte ihm Wasser zum Trinken und benetzte seine Stirn erneut. Deutlich fühlte ich, dass mir kaum noch Zeit blieb, aber ich durfte jetzt nichts überstürzen. Edle Jungen in diesem Alter werden schnell trotzig, obwohl die Mädchen ihnen nach meiner Erfahrung in nichts nachstehen. Seine Sorge, kinderlos zu sterben, hatte einen Verdacht bei mir geweckt. Wie alt konnte er sein? Dreizehn, vierzehn? Unter sechzehn auf jeden Fall. In dem Alter denken junge Männer an Vieles, aber selten als erstes an die eigene Nachkommenschaft. Ich gab mich schwatzhaft und konnte seine Aufmerksamkeit erhalten. Die Vorlage zur Zote gab ich mir selber, entsprechend dürftig viel sie aus. Für Belvynn, dieses Fohlen, reichte sie aber aus. Er krähte vor Lachen. Auf diese Gelegenheit hatte ich gewartet.

"Wie ist es bei dir? Hast du schon bei einem Weib gelegen, oder stirbst du jungfräulich?" Fragte ich heiter.

"Nein, ich bin noch Jungfrau." Sagte er. Und, bei der Macht, die Der Herr Des Himmels Am Morgen Und Am Abend mir verliehen hat, er log vortrefflich. Mit dem Gesicht, dass sonst den Novizen vorbehalten ist, schaute ich ihn zweifelnd an.

"Bist du sicher?"

Da war es. Das gefürchtete vorgeschobene Kinn eines Kindes, dass sich für einen Mann hält.

"Ja", sagte er.

Leider war es nicht angemessen, den Stellvertreter des Heiligen Jahan zu schlagen, so blieb mir nur die schwächste Waffe, die gegen die Jugend ins Feld geführt werden kann: Die Moral. "Du stehst vor der Schwelle zum Tod. Willst du wirklich mit einem lügenbeschmutzten Mund vor Die Todesgöttin treten?"

"Wird sie nicht auch Die Allverzeihende genannt?" Grinste er mich an.

"Du gestehst also die Lüge." Seufzte ich. "Ja, so wird Sie genannt. Aber es ist das Wesen der Vergebung, dass sie nur gewährt werden kann, wenn aufrichtig darum gebeten wird. Also sei ein kluger Junge und beichte ein letztes Mal. Welches Geheimnis verbirgst du? Hast du deinen edlen Samen an eine Hörige verschwendet? Wie heißt sie? Ist ihr ein Unglück zugestoßen? Dies ist weit wichtiger, als du ahnst."

Seinen Augen las ich ab, dass meine Vermutungen in die richtige Richtung gingen. Seinen Starrsin jedoch schmälerte dies nicht:

"Warum mit dem Boten sprechen, wenn doch Die Königin mich an ihre Tafel befiehlt?" Gesprochen hatte der Page, aber die Worte gehörten dem Hochfürsten. Es blieben seine Letzten. Ich hätte schreien und brüllen wollen, Geschirr zerschlagen, das Bett umstoßen. Nichts hatte geholfen. Natans Erben erben Natans Sünden. Jahan würde Ischara heute nicht in die Unterwelt führen. Die Brandweihe war vor ihrem Beginn vorbei. Was noch folgte war ein trauriges Schauspiel, marode und sinnentleert.

Während Belvynns Überreste brannten und ich die Gebete sprach, stand der Hochfürst mit einer prächtigen Ehrenwache da, alle voll gerüstet und mit ernster, feierlicher Mine. Niemand weinte. Starre Disziplin statt Leidenschaft. Die Prozession vom Scheiterhaufen zur Tafel hätte den Marsch der Toten in die Hallen symbolisieren sollen. Was aber nahmen sie zur Hand, um ihre Gesichter zu färben? Schminke! Welche Symbolkraft hat denn Schminke? Das Blut des Auerochsen beschmutzte Belvynns Urne, als Karoman der Zweite ihm den Hals aufschnitt. Die Worte, die er dabei wählte, zeigten, was ich schon befürchtet hatte: Das Opfer war ehrlich gemeint, nicht aber ehrlich. Nur die halbe Prozession zeichnete sich mit dem Lebenssaft des Tieres, weil viel zu Viele mitmarschierten. Das Herzbrot war zur Hälfte trocken und durchgebraten, zur anderen Hälfte war der Teig fast noch roh. An diesem Abend war knapp das halbe Heer eingetroffen und der Hochfürst hatte darauf bestanden, noch jeden einfachen Stammeskrieger einzuladen. Entsprechend dürftig viel das Festmahl aus. Muss ich noch erwähnen, dass Belvynns Urne, anstatt dass für sie eingedeckt wurde, auf einen großen Pfahl gestellt wurde, damit jeder sie sehen konnte? Selbstredent wollte auch keiner mit den Geistern der bergischen Verrräter speisen. Zu spät trafen Belvynns Eltern und Geschwister ein und hörten die halbe Nacht nicht auf zu flennen. Während des Abschiedsmahles, wo doch geschmaust und gelacht werden muss! Ich unterschlug das Brandzeichen, dass jedem Teilnehmer an der Reise des Jahan zugestanden hätte. Dies war keine Brandweihe. Es war ein Schauspiel, nichts weiter.

Zwischen Mitternacht und Morgen sprach ich nocheinmal die hochfürstlichen Leibwächter an, ob wenigstens sie den Sitten ihrer Heiligen nachgekommen seien. Sie zeigten mir die Gebeine und die gekreuzten Balken, die sie dazu gelegt hatten. Für mein Verständnis sah das alles richtig aus und wir schütteten den Graben zu.

"Ich bin dir nun nicht mehr böse, ehrwürdiger Vater Denubis." Erschallte hinter mir eine letzt zu oft gehörte Stimme. Wie hätte ich auch erwarten können, dass die Leibwächter, denen die Treue zum Herrn hundertmal wichtiger war, als ihr Glaube, ein Geheimnis vor dem Hochfürsten bewahren würden.

"Das ist ja sehr nett von dir, mein Herr." Höhnte ich. "Wenn du von dem hier wußtest, warum hast du dagegen nichts getan?"

Und dies sprach Karoman der Zweite:

"Weil es mir nie darum ging, die Altbergischen Sitten zu beleidigen. Sie sind, trotz allem, noch immer meine Untertanen."

Und dies sprach ich:

"Aber nun ist Belvynn alleine in Die Hallen gegangen und hat nicht einer rastlosen Seele den Weg gewiesen. Alles dies war sinnlos."

Und dies sprach Karoman der Zweite:

"Ja glaubst du denn, es ging hier jemals um eine oder zwei oder sieben ruhelose Seelen? Vor uns liegt der Krieg, da werden Viele zum Krähenfraß! Das ist schlimm für die Lebenden und schlimm für die, die sterben werden, aber es ist nicht zu ändern. Nach dem Kriege werdet ihr Priester viel zu tun bekommen. Vorher ist die Zeit zum Töten. Nachher ist die Zeit zum Beten. Hier in Parvynsbrück ging es darum, den Kriegern zu beweisen, dass Riamodan mit mir ist."

Und dies sprach ich:

"Das hast du nicht bewiesen. Das musst du erst noch auf dem Schlachtfeld tun. Die Brandweihe ist nicht dafür da, die Lebenden von einer Sache zu überzeugen, sondern den Toten Ruhe zu schenken. Die Geschichte von Ischara und Jahan nennt man die Überlieferung, auf der der Ritus beruht. Sie heißt nicht: Geschichte von Mahavir, den Riamodan so sehr liebte. Ist dir klar, dass du sehr wahrscheinlich Die Götter gegen dich aufgebracht hast? Ist dir klar, dass das Glück der Trigardonen von deinem Schicksal abhängig ist?"

Und dies sprach Karoman der Zweite:

"Riamodan hilft Denen in der Schlacht, die tapferer kämpfen, nicht Denen, die frommer sind. Sonst würde ich die Priester in den Krieg schicken und die Ritter Zuhause lassen. Es kämpfen aber Diejenigen tapferer, die Den Gott Der Waffen auf ihrer Seite glauben. Mein Heer besteht nicht aus Gelehrten. Sie kennen die Geschichte, nicht den Ritus. Und Mahavir wurde zweifelsohne von Riamodan geliebt. Welches Heer folgt Jahan in die Schlacht? Jahan führt die Menschen in die Unterwelt. Mahavir besiegt den Feind."

Und dies sprach ich:

"Du hast sie alle belogen. Die Kriegskunst mag das erlauben, ja sogar fordern. Eine Sünde ist es trotzdem. Die Lüge mag mit einer Beichtstrafe behoben sein, Ischara und Jahan und Mahavir aber werden sich rächen. Wohl möglich auch Die Götter Der Unterwelt. Du hast dich nicht dankbar gezeigt für das Göttliche Geschenk, welches die Brandweihe ist. Du hast es für Dein Recht als Natans Erbe gehalten, damit frei zu Verfügen als wäre es dein Besitz. Dies wird Unglück über dich und die deinen bringen."

Und dies sprach der Hochfürst:

"Hiermit beichte ich dir meine Lüge. Zeit meines Lebens musst du sie nun für dich behalten. Was mein Glück oder mein Unglück betrifft, werde ich darauf vertrauen müssen, dass die Götter mich lieben, weil sie mir die Herrschaft gegeben haben. Und morgen, nachdem du gebetet hast, verlasse diesen Ort. Für den Krieg werde ich nach den Priestern Riamodans schicken."

Ich vermied die Bemerkung, dass er dies viel früher hätte tun sollen, sondern verbeugte mich und sprach:

"Ich höre und gehorche, mein hochfürstlicher Herr."



Siehe auch: Brandweihe