Der arbonische Staat - Gerichtsbarkeit

Aus Trigardon
Wechseln zu: Navigation, Suche

Die Druckversion eines Readers zu den staatlichen Strukturen von Emendons Reich ist hier: Datei:Der Arbonische Staat (Betaversion).pdf

Gerichtsbarkeit

Es überrascht nicht, dass sich die Rechtsprechung in Trigardon nicht auf einen umfassenden Gesetzeskorpus verlässt. Man nimmt die geschriebenen Gesetze durchaus ernst, diese haben aber nicht den Anspruch, jeden möglichen Streitfall mit einer Regel zu versehen. Trigardonische Gesetze sind eher als grobmaschiges Netz zur Klärung von Zuständigkeiten, Pflichten und Privilegien zu verstehen. Als eigentliche Quelle der Rechtsprechung dienen traditionale, mündlich überlieferte Rechtsnormen in Verbindung mit dem siebenfaltigen Gerechtigkeitsbegriff.

Auch hier gilt also: Glaube und Überlieferung sagen den Menschen, was Recht und Sitte ist.

Der siebenfaltige Gerechtigkeitsbegriff

Der siebenfaltige Gerechtigkeitsbegriff ist sakral: Es geht dabei nicht einfach nur um Frieden zwischen den Menschen. Durch das Herbeiführen "gerechter Zustände" erhofft man sich, göttliches Wohlwollen (und damit auch zukünftiges Glück) für die Gemeinschaft zu erlangen.

Stark vereinfacht lässt sich das Heilsversprechen der Siebenfaltigkeit darauf reduzieren, dass wahrhaft gerechte Zustände für alle Menschen die Götter schließlich dazu bewegen werden, sich miteinander zu versöhnen, was die paradiesischen Zustände der ewigen Tagnacht (dem angenommenen, harmonischen Ursprungszustand der Welt) zurückbringt.

Der siebenfaltige Gerechtigkeitsbegriff zielt auf Interessenausgleich: Streitfälle sind möglichst so zu lösen, dass beide Seiten unbeschadet und unter Wahrung des Gesichts weiter ihren Tätigkeiten zum Wohle der Gemeinschaft nachgehen können. Deshalb ist Entschädigung wichtiger als Strafe. Wahrheitsfindung wird diesem Ziel untergeordnet.

Auch der Gott der Gerechtigkeit, Riason, geht in den Mythen so vor. Nur in extremen Fällen bestraft er die anderen Götter. Seine weisen Schlichtungen machen ihn zum "göttlichen Richter". Das hat natürlich auch damit zu tun, dass Götter sich ungleich schwieriger bestrafen lassen, als Sterbliche. In Trigardon kann das Durchsetzen von Regeln durch Strafandrohung und Abschreckung wichtig werden, um die Autorität von Normen und Führungsfiguren zu demonstrieren.

Diese Seite der Rechtsprechung wird aber dem Ziel untergeordnet, die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft so rasch wie möglich wieder herzustellen.

Der siebenfaltige Gerechtigkeitsbegriff ist kollektiv: Individuelle Interessen haben sich immer den Interessen der Gemeinschaft unterzuordnen. Schädigungen von Einzelpersonen werden nicht so ernst genommen, wie die Schädigung der Gemeinschaft.

Diese Besonderheit lässt sich anschaulich am Beispiel Mord illustrieren: Mord gilt zwar auch in Trigardon immer als schweres Verbrechen, das in der Regel mit Vogelfreiheit bestraft wird. Die Schwere der Schuld richtet sich aber auch danach, welcher Schaden den Hinterbliebenen des Opfers entsteht. So wird beispielsweise der Mord an freien Bäuerinnen oder Bauern (Ernährern von Familien) als etwas Schlimmeres angesehen, als der Mord an Hörigen oder Kindern. Entsprechend höhere oder niedrigere Entschädigungsleistungen werden bei einer Verurteilung vom sozialen Verband des Täters oder der Täterin zu leisten sein.

Es gibt eine ganze Reihe von Verbrechen, die man in Trigardon als schlimmer ansieht als Mord, weil sie dem Gemeinwohl weit mehr schaden. Beispiele dafür sind:

  • Besonders grobe Formen von Götterlästerung
    • (z. B. Tempelschändung,
    • Gewässervergiftung,
    • Priestermord
    • oder die Ausübung besonders verwerflicher Schwarzer Künste),
  • Hochverrat,
  • gefährlichere Brandstiftung (z. B. in trockenen Wäldern, Steppen oder in dichter Bebauung)
  • und bestimmte Fälle von besonders folgenschwerer Desertation.

Nicht für Mord, sondern nur für diese besonders schlimmen Schädigungen des Gemeinwesens kommt die Todesstrafe in Frage.

Die Tötung von Rechts wegen ist etwas, womit die Trigardonen in Friedenszeiten sehr vorsichtig sind. Denn mit diesem Eingriff in den Schicksalslauf könnte sich die Gemeinschaft den Unwillen höherer Mächte (und wenn es nur die Ahnen des Verurteilten sind) zuziehen. Wenn es also zur Vollstreckung eines Todesurteils kommt, verfolgt dies zugleich den Zweck, den Verurteilten einer Schicksalsmacht zu überantworten und die Götter oder Geister damit zu besänftigen. Auch wenn es das sonst nicht mehr gibt – In der Todesstrafe hat sich eine Art Menschenopfer erhalten.

Genauso wie die Folgen für die Opfer eines Rechtsbruches bei seiner Bewertung eine große Rolle spielen, müssen Richter immer auch abwägen, welche Folgen die Sühneleistungen für den sozialen Verband haben werden, der sie ableisten muss. So ist dem Gemeinwesen nicht geholfen, wenn eine Sippe verelendet, weil sie einer anderen Sippe zu hohe Entschädigungen leisten muss.

Diese pragmatische Überlegung führt oft zu Urteilen, die wir in der realen Welt als Klassenjustiz anprangern würden: Wer mehr Reichtum hat, kann entstandenen Schaden nicht nur besser ersetzen, sondern hat für das Gemeinwesen auch einen größeren Wert. Sie oder ihn zu sehr zur Verantwortung zu ziehen schädigt das Gemeinwesen eventuell mehr, als das ursprüngliche Vergehen. So trifft einfache Pächter häufig die volle Härte des Gesetzes, während Großbauern für die gleiche Tat weit bessere Chancen auf milde Bestrafung haben.

Für Repräsentanten eines größeren sozialen Verbandes (wie Grundherr/in oder ein bedeutendes Sippenoberhaupt) gelten schließlich gänzlich andere Maßstäbe; solche Leute werden extrem selten für Alltagsdelikte verurteilt, geschweige denn überhaupt angeklagt. Auch das ist Teil des siebenfaltigen Gerechtigkeitsverständnisses – den Gleichheitsgrundsatz gibt es nicht.

Fehde und Rache – die Durchsetzung von Recht ohne staatliches Gewaltmonopol

Die traditionalen Rechtsnormen Trigardons entstammen unsicheren Zeiten. Die Anwendung von Gesetzen wurde nie (auch heute nicht) durch ein staatliches Gewaltmonopol garantiert. Nur wer sich auf einen sozialen Verband stützen kann, darf darauf hoffen, das Recht auch durchzusetzen. Trigardon ist nach modernen, realweltlichen Maßstäben kein Rechtsstaat. Es gibt viele Formen von Selbstjustiz, die allgemein akzeptiert werden (z. B. das Töten von Straßenräubern ohne Gerichtsverfahren). Andere Handlungen mögen in der heutigen realen Welt als illegale Selbstjustiz gelten, in Trigardon aber nicht.

So gilt die Fehde als legitimes Mittel zur Durchsetzung von Recht, solange sie bestimmten Regeln folgt. Diese Regeln sind nicht kodifiziert, aber allgemein bekannt und werden im Großen und Ganzen auch befolgt. So haben de facto nur noch Grundherr/innen das Recht, Fehde zu erklären und zu führen, während Unedle damit sogar Rechtsbruch begehen, worüber aber im Verlauf von Schlichtungen oft hinweggesehen wird, wenn keine der anderen Regeln verletzt wurden.

Diese Regeln sehen ungefähr so aus:

  • Fehde und Rachepflichten müssen öffentlich angekündigt und begründet werden.
  • Auf Vermittlungsversuche ist einzugehen und Schlichtung ist bindend.
  • Dritte Parteien sowie Geistliche, sakrale Orte und die wichtigsten Wohnstätten der Gegenseite dürfen nicht geschädigt werden.
  • Es darf nicht wesentlich mehr Gewalt angewendet werden, als zum Erreichen des angekündigten Ziels notwendig ist.

Mit der Fehde überlappt sich das Institut der Rachepflicht. Es kommt aus einem Kontext, in dem Sippen und lokale Bevölkerungsgruppen sich der Abschreckung durch Gewalt bedienen mussten, um die Angehörigen ihres sozialen Verbandes vor Totschlag, Raub, Mord und Verschleppung zu schützen. Auch wenn die Zeiten friedlicher geworden sind, folgt die Rache nach wie vor dieser Abschreckungslogik.

Rachepflicht entsteht theoretisch bei jedem Verbrechen, das eine gewisse Gewaltschwelle überschreitet, sofern Täter/in und Opfer unterschiedlichen sozialen Verbänden angehören. Üblicherweise qualifizieren sich dafür Tötungen, Verschleppungen und extrem schwere Körperverletzungen, wobei das "Verbrechen" aber keiner gerichtlichen Feststellung bedarf, sondern subjektiv für den Verband des Opfers vorliegt. Dieser Verband ist meist die Sippe oder der Haushalt des Opfers, aber respektable Personen haben oft mehr als nur einen zur Solidarität verpflichteten Verband. Alle möglichen Gruppen und Einzelpersonen können, solange sie eine mehr als nur rudimentäre Verbindung zum Opfer haben, zu der Ansicht gelangen, dass nun ihre Rachepflichten wirksam werden: Eltern haben Rachepflichten für ihre Kinder, Kinder für ihre Eltern, Ehepartner füreinander, Haushaltsvorstände für ihre Angestellten und Leibeigenen, Gastgeber für ihre Gäste, Grundherr/innen für ihre Untertanen, Adlige für ihre Vasallen, Vasallen für ihre Herr/innen, Ritter für ihre Knappen, Knappen für ihre Ritter, der Hochfürst für einen jeden Priester usw. usf.

Rache wird in vielen Fällen unmittelbar bzw. affektiv vollzogen, z. B. bei Messerstechereien, kämpferischen Fehdehandlungen oder sonstigen Gewalteskalationen, was dann gerne im Nachhinein vor Gericht oder im Schlichtungsverlauf festgestellt wird, um einen Schlussstrich unter einen Konflikt zu ziehen. Doch im Regelfall erfolgt die Reaktion (Rache) mit einiger zeitlicher Verzögerung auf die Aktion (Gewaltverbrechen). Und sie ist alles Andere als anarchisch: Jemand wird Vorrang bei der Entscheidung beanspruchen, ob und wie man das erlittene Unrecht der Angehörigen rächt.

Wem wird dieser Vorrang eingeräumt? Derjenigen Person, die dafür genügend soziale Autorität besitzt, in der Regel das Sippenoberhaupt des Opfers bzw. sein/e Nachfolger/in, wenn das Sippenoberhaupt selbst zu rächen ist. Falls das Sippenoberhaupt nicht die soziale Stärke besitzt, Vorrang bei den Rachepflichten zu behaupten (weil sie oder er zu jung, zu alt, zu arm oder der Gegner zu stark ist), wird jemand anderem aus dem Umfeld des Opfers diese Rolle zufallen: Für gewöhnlich zuerst dem Haushaltsvorstand, danach anderen Blutsverwandten entsprechend dem Grad der Verwandtschaft und wenn sich auch hier niemand mit ausreichender Autorität findet, fällt schließlich Grundherr/in, Lehnsherr/in, Gönner/in oder verschworenen Freunden des Opfers der Vorrang bei den Rachepflichten zu. In diesem Fall offenbart die Sippe des Opfers extreme Schwäche, was zum Autoritätsverfall des Sippenoberhauptes und unter Umständen sogar zur Auflösung des Sippenverbandes führen kann. Doch das ist immer noch besser, als wenn das Gewaltverbrechen unbeantwortet bleibt: Damit würde ja implizit ausgedrückt, dass das Opfer und seine Angehörigen Freiwild sind. Rachepflichten wahrnehmen zu können, ist im doppelten Wortsinn die Messerprobe für das Funktionieren jeden sozialen Verbandes.

Wenn sich eine Rachegemeinschaft um ihre/n Wortführer/in gebildet hat, fallen ihr folgende Aufgaben zu:

  • Dem Opfer bzw. seinem Haushalt ist Nothilfe zu leisten (materiell, medizinisch, seelisch und in Form von physischem Schutz).
  • Die Rachegemeinschaft muss Präsenz zeigen, z. B. indem sie sich im Haushalt des Opfers oder des Wortführers versammelt.
  • Der Wortführer muss den Unterstützern seine Strategie vermitteln: Versucht man, des angenommenen Schuldigen habhaft zu werden oder ihn zu töten? Versucht man das mit einem seiner Angehörigen, z. B. seinem Sippenoberhaupt? Versucht man, mit dem sozialen Verband der Gegenseite zu verhandeln? Klagt man vor Gericht und wartet evtl. ein Verfahren ab? (Auch in diesem Fall hat die Rachegemeinschaft dem Wortführer als Zeugen und als Drohkulisse zur Verfügung zu stehen.) Versucht man eine Kombination der oben genannten Strategien?
  • Die Rachegemeinschaft muss die Strategie des Wortführers umsetzen.

Die Wortführer brauchen meist enormes Charisma, um die Autorität über ihre Rachegemeinschaften zu bewahren und deren Aktionen zielgerichtet einzusetzen. Immerhin müssen sie ihre Entscheidungen in emotional hoch angespannten Situationen gegenüber mitunter sehr heterogenen Gruppen durchsetzen. Daher liegt es für die Trigardonen nahe, bei der Tötung einer Autoritätsfigur den Nachfolger oder die Nachfolgerin im Wortführer einer Rachegemeinschaft zu sehen, selbst wenn dadurch vorherige Nachfolgeregelungen verletzt werden können.

Die Autorität der Wortführer ist auch aus einem anderen Grund essenziell: Rachetaten lösen für gewöhnlich Rachepflichten bei der Gegenseite aus. Die Wortführer beider Seiten sind schließlich diejenigen, die einer Schlichtung zustimmen müssen und danach wichtige Garanten des Friedens werden. Denn Rache hat weniger den Zweck, der Gegenseite symmetrisches Leid zuzufügen, sondern dient primär der Abschreckung. Beiden Seiten ist klar, dass sie ihren Konflikt eher früher als später durch einen Schiedsspruch beilegen müssen. Man hat abschreckende historische Erfahrungen mit nicht enden wollenden Blutfehden, die in kriegerischen Auseinandersetzungen gipfelten. Manche Gelehrte glauben darin den Grund für den letzen großen Stammeskrieg erkannt zu haben. Um diese Gefahr zu bannen, orientiert sich auch das Institut der Rache an den heutigen Regeln der Fehde. Und wer diese Regeln bricht, verliert nicht nur Verbündete, sondern riskiert spätestens jetzt die Einmischung dritter Parteien. Dennoch kommt es nach wie vor dazu, dass aus Rachepflichten Blutfehden werden – dies ist eine bedeutende Komponente aller bewaffneten Auseinandersetzungen in Trigardon und hat großen Einfluss auf die politische Gruppenbildung sowie Konfliktführung.

Obwohl auch für die Trigardonen offensichtlich ist, dass sie durch Fehde- und Rachemaßnahmen in Widerspruch zur religiösen Gerechtigkeitsauffassung geraten können, nehmen sie das notgedrungen in Kauf. Man glaubt, dass es die Aufgabe aller ist, dem Recht zur Geltung zu verhelfen und eine Gesellschaft, in der nur eine Minderheit dazu bereit ist, dafür zu den Waffen zu greifen, verloren sein muss. Es ist nicht die Aufgabe der Repräsentant/innen des Staates, sich selbstständig um jeden Rechtsbruch zu kümmern. Schließlich haben Adel und Klerus auch noch andere Pflichten. Richter sollen dann zur Verfügung stehen, wenn jemand Klage erhebt. Natürlich sehen sich Autoritätspersonen aus den unterschiedlichsten Gründen gelegentlich dazu veranlasst, von sich aus tätig werden. Aber das verlangt man nicht von ihnen – Es gilt der Grundsatz: "Wo kein Kläger, da kein Richter".

Schiedsgerichtsbarkeit

Die meisten Rechtsstreitigkeiten fallen zwischen den Mitgliedern überschaubarer Gruppen an: Probleme innerhalb einer Sippe, einer Siedlung, einer Gruppe nomadischer Hirten oder jeder sonstigen Lebensgemeinschaft, in der Jeder Jeden kennt. Hier kommt eine Gerichtsbarkeit zum Einsatz, die einwandfreie Rechtsverbindlichkeit besitzt, Streitigkeiten aber gewissermaßen "intern" löst. Das heißt, dass man keinen öffentlichen Prozess abhält, sondern die Streitperteien ihren Fall in mehr oder weniger diskretem Rahmen vor einem Schlichter darlegen, der dann die für alle Seiten beste Konfliktlösung festlegen muss. Öffentlich wird diese Lösung dann möglichst als Konsens der Streitparteien kommuniziert. Auf diese Weise wird der Großteil aller Rechtsstreitigkeiten gelöst. Die diskrete Konfliktlösung und die Fähigkeit dazu, wird als tugendhaft im Sinne Riasons angesehen. Der Richtergott Riason ist schließlich nicht allein der Gott der Richter, sondern jedes Menschen, der in seinem Sinne handelt.

Irreführender Weise nennt man das in Trigardon gerne "Schiedsgerichtsbarkeit" – mit der Schiedsgerichtsbarkeit der heutigen realen Welt hat das aber nur bedingt zu tun. Trigardonen unterstellen ihrer Schiedsgerichtsbarkeit gerne, das Urteile durch die Akzeptanz aller Konfliktparteien und ohne Vollstreckungsandrohung wirksam werden, wobei sie die Ausnahmen ausblenden. Doch es ist normal, das hier auch strafrechtlich relevante Sachverhalte verhandelt werden. Entscheidend für den Einsatz von Schiedsgerichtsbarkeit ist weniger die Schwere der verhandelten Fälle, sondern dass die Konfliktparteien dem gleichen sozialen Verband angehören und eine gemeinsame Autoritätsfigur als neutrale Instanz annehmen können.

Diese Autoritätsfiguren nennt man genauso "Richter", wie man es auch bei Graf und Grundherr/in tun würde. In der Grafschaft Arbon sind diese Richter die Sippenoberhäupter – jeder Angehörige des Stammes der Arbonier, des Kleinen Volkes und der Montrowen hat einen Sippenverband mit einem Oberhaupt, dass bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Sippenangehörigen anzurufen ist. In der Ostprovinz wird diese Funktion von den sogenannten "Ältesten" erfüllt – Respektspersonen, die für einen bestimmten Bezirk auf dem Land oder in einem Stadtviertel von den Freien für eine gewisse Zeit gewählt werden. In der Grafschaft Altberg gibt es weder gewählte Älteste, noch die arbonische Sippenstruktur. Doch hier haben die Grundherr/innen so überschaubare Herrschaftsbereiche, dass sie die Funktion der Sippenoberhäupter relativ mühelos für ihre Lehnsuntertanen übernehmen können. Daneben ist es überall in den trigardonischen Landen statthaft, dass Konfliktparteien sich einvernehmlich an Geistliche wenden, um ihr Schiedsgericht zu leiten. Darauf wird vor allem dann zurückgegriffen, wenn mächtige adelige Sippenoberhäupter eine Fehde zu schlichten haben.

Natürlich versuchen Richter von Schiedsgerichten, gemäß den religiösen Lehren tragfähige Kompromisse auszuhandeln und möglichst keine Partei ins Unrecht zu setzen. Doch im Fall von Gewaltverbrechen oder ähnlich schwerwiegender Delikte kann hier auch Schuld oder Unschuld festgestellt werden und Schuldige zur "Sühne" verurteilt werden. "Sühne" besteht zwar meist in Entschädigungsleistungen, kann aber auch um Leibstrafen erweitert werden.

Darüber hinaus hat jedes arbonische Sippenoberhaupt die rechtliche Möglichkeit, Sippenangehörige im Rahmen eines Schiedsgerichtes aus der Sippe zu verstoßen, wenn dessen Vergehen dem angemessen scheint. In Altberg und der Ostprovinz hat dieser Vorgang seine Entsprechung darin, dass ein Schiedsgericht sich für nicht zuständig erklärt und so Vorverurteilte vor der/dem Grundherr/in verklagt. Und auch in Arbon werden zuständige Grundherr/innen sich fragen, welches Verbrechen denn das Los der Sippenlosigkeit rechtfertigt – von der eigenen Sippe verstoßen zu werden, hat bei Freien und Edlen den Standesverlust zur Folge, was bei Adeligen von Rang eine sehr öffentliche, politische Dimension bekommt und rein gar nichts mehr damit zu tun hat, irgendetwas "intern" zu lösen. Sippenlosigkeit ist nur einen Halbschritt von der Vogelfreiheit entfernt. Das Ansehen jeder Sippe leidet darunter, eine oder einen der Ihren zu verstoßen. Daher ist dieser Vorgang zumeist ein Begleitakt zu einem sich ohnehin anbahnenden Urteil wegen Mord, Verrat oder Ähnlichem, was dann der Zuständigkeit von Grundherr/in oder Graf unterliegt.

Gerichtsbarkeit im Rahmen der Grundherrschaft

Die Grundherrschaft hat sich aus militärischen Organisationsformen entwickelt: Reiterkrieger brachten lokale Bevölkerungsgruppen mit einer Mischung aus charismatischer Überzeugungskraft und militärischer Erpressung dazu, ihnen Tribute zu leisten und die Besitzverteilung zu ihren Gunsten zu akzeptieren. Für die Heerführung der Arbonier erwies sich das als erfolgreich, weil sie damit auf gut ausgerüstete, trainierte und vor allem schnell einsatzbereite Reiter zurückgreifen konnte, also wertete sie deren Rechte auf: Sie machte einige von ihnen (ihre Sippenoberhäupter und verdiente Einzelpersonen) zu lokalen militärischen Befehlshabern des Heeres. Da es sich für die Sicherheit der Bevölkerung als dienlich erwies, den Befehlshabern neben der Organisation der regionalen Verteidigung auch den Vorrang bei überregionalen Rachetaten zu überlassen, wurden sie die höchsten lokalen Autoritäten. Dieser Prozess dauerte solange, dass inzwischen einige Sippen von Reiterkriegern für ihren Vorrang den Nimbus des Altehrwürdigen mobilisieren konnten. Weil die Struktur gut funktionierte, wiederholten sich die gleichen Vorgänge in verschiedenen Varianten bis in die jüngere Vergangenheit, als es zum bislang letzten Schritt dieser Entwicklung kam: Nachdem das Trigardonenreich gegründet worden war und Grafen bekommen hatte, erklärte man schrittweise die Vorrechte der lokalen Befehlshaber zu Gesetzen und sie selber bzw. ihre Ehegatten oder Ehegattinnen zu Richtern. Die Siedlungsräume der von ihnen beherrschten Sippen wurden damit zu Gerichtsbezirken. Das verschaffte den Verhältnissen religiöse Legitimität sowie soziale und juristische Stabilität, so dass man heute von "gerechten Zuständen" spricht.

Weil sie als militärisches Organisationsmuster dient, wird Grundherrschaft hierarchisch gedacht: Ein Grundherr ist überregional der oberste Heerführer, diesem unterstehen mehrere andere Grundherren als regionale Heerführer, diesen unterstehen wiederum weitere Grundherren als lokale Heerführer, denen dann die Sippen der Freien unterstehen. Diese Vorstellung besticht durch ihre Übersichtlichkeit. Da sie eine wohl geordnete Gesellschaft impliziert, wird sie von Rechtsgelehrten und Gesetzgebern immer wieder aktiviert und hat das Modell der Lehenspyramide hervorgebracht. Obwohl dieses Modell IT und OT völlig irreführend ist, ändert das nichts an der Tatsache, dass die Arbonier hartnäckig an der Vorstellung einer pyramidenförmigen Hierarchie von Richtern festhalten und ihre Gesetze daran ausrichten. Es gibt eben nur ganz oben, ganz unten, sowie links, rechts und in der Mitte der Pyramide ein paar Ausnahmen – nämlich in all den Fällen, wo sich die Zuständigkeit der Richter nicht an der Grundherrschaft orientiert. Doch der Idee nach hat der arbonische Staat vier Ebenen von Gerichtsbezirken:

  • Das Reich,
  • die Grafschaft,
  • die Baronie
  • und die lokale Grundherrschaft, die man gerne "Ritterlehen" nennt, wobei es dafür auch eine Fülle anderer mehr oder weniger irreführender Begriffe gibt, insbesondere wenn der Grundherr kein Ritter ist.

Die Ebene des Reiches ist kein Gerichtsbezirk im Sinne der Grundherrschaft, sondern ihre ihr übergeordnete Quelle. Die juristische Fiktion sagt nun, dass die Befähigung zur Rechtsprechung von den Göttern an den Hochfürsten gegeben und von ihm an die Grafen weiterverliehen wurde. Diese verleihen diese Befähigung weiter an die Barone und Baroninnen und diese weiter an die Ritter und ihre Frauen. Diese Fiktion ignoriert die Tatsache, dass der arbonische Staat formal gesehen nur ein Teilreich des Hochfürstentums Trigardon ist und es im flutländischen Reichsteil gar keine flächendeckende Struktur hierarchisch geordneter Gerichtsbezirke gibt.

Doch auch in Emendons Reich kommt es zu Abweichungen von der Pyramidenform: So gibt es die Klöster, deren Rechtsprechung rein formal betrachtet selbst dem Grafen bzw. Hochfürsten entzogen ist (und in der Grafschaft Arbon rein gar nichts mehr mit Grundherrschaft zu tun hat). Daneben existiert in der Grafschaft Altberg keine Ebene von Baronien, in der Ostprovinz gibt es Ansätze autonomen Stadtrechts und in der Grafschaft Arbon gibt es einige wenige insulare Gerichtsbezirke, auf die kein Baron richterlichen Zugriff hat. Der Gerichtsbezirk von Jardohoven in der Baronie Arden ist dafür ein Beispiel: Er wurde aus der Baronie Arden herausgelöst, als die Sippe Arden den Baronstitel verlor, um ihrem Sippenoberhaupt ein vom neuen Baron unabhängiges Territorium zu geben. Es hat die Größe eines großzügig bemessenen Ritterlehens, ist aber rechtlich auf der Ebene der Baronie angesiedelt.

Eine andere Abweichung von der bequemen Pyramidenstruktur ergibt sich dadurch, dass die Grafen von Arbon sich stets ein Territorium bewahrt haben, in dem sie selber die Ebene der Barone und Baroninnen ersetzen (früher die Baronie Rhack, heute die Baronie Erlenfels). Auch die Barone und Baroninnen sorgten stets dafür, in bestimmten Regionen innerhalb ihrer Baronien keine anderen Grundherr/innen unterhalb ihrer eigenen Zuständigkeit mehr dulden zu müssen. Das ergibt sich aus den regionalistischen Strukturen und ist sowohl wirtschaftliche, als auch machtpolitische Notwendigkeit.

Daneben ist zu erwähnen, dass aktuell (Stand 2016) zwei Baronien keinen Baron und keine Baronin haben und weder Altberg noch die Ostprovinz eine Gräfin oder einen Grafen hat. Doch für den Zuschnitt der Gerichtsbezirke ist das irrelevant – Amtleute ersetzen die richterlichen Funktionen dieser Titel.

Aber allen Ausnahmen in der Pyramidenstruktur zum Trotz leben alle Freien in grundherrschaftlichen Gerichtsbezirken und können einem Grundherrn bzw. einer Grundherrin zugeordnet werden. Aus Sicht der religiösen Lehren (und aus Sicht der Gesetzgeber) ist das die wichtigste Errungenschaft der Grundherrschaft überhaupt: Sie versorgt flächendeckend mit Richtern. Aus juristischer Perspektive sind die Grundherr/innen Repräsentanten des Zentralstaates. Nach dem Gesetz sind ihre Urteile vorrangig zu Entscheidungen der Schiedsgerichte und den Mechanismen der traditionalen Rechtsnormen, jedenfalls wenn sie tatsächlich zuständig sind. Grundherr/innen haben im Normalfall die Mittel zur Verfügung, ihre Urteile mit Gewalt durchzusetzen, solange sie damit sparsam genug umgehen. Das heißt, dass der Staat theoretisch überall auf seinem Territorium Vorrang in der Rechtsprechung beanspruchen kann. Gemessen an der trigardonischen Geschichte ist das ein geradezu revolutionärer Anspruch. Erhebliche Kompromisse mit der Praxis machen zu müssen, schmälert das sakrale Prestige der juristischen Fiktion keineswegs.

Dieses Prestige persönlich geltend machen zu können, verleiht gewaltige Autorität. Bei Prozessen von gewisser Tragweite bemühen Richter nicht weniger als die Selbstinszenierung als Stellvertreter Riasons. Dies kann natürlich nur gelingen, wenn sie ihre Urteile auch entsprechend des Gesetzes, des religiösen Gerechtigkeitsbegriffes und der allgemeinen Moralvorstellungen fällen. In der Regel führt das dazu, dass Grundherr/innen sich im Großen und Ganzen tatsächlich aufrichtig um Neutralität und Fairness bemühen. Doch den Untertanen stehen mehr Mittel als nur soziale Kontrolle und Gewalt offen, um sich gegen ungerechte Urteile oder parteiische Richter zu wehren:

Aufgrund der Richterhierarchie kann der/die jeweils übergeordnete Grundherr/in das Urteil der/des Untergeordneten revidieren. Kläger/innen haben das Recht, bei einem aus ihrer Sicht inakzeptablen Gerichtsurteil den nächst höheren Richter anzurufen; ein Vorgang, der "Appellation" genannt wird. Dabei muss jedoch der Instanzenweg eingehalten werden:

Sind Kläger mit dem Urteil ihrer Grundherr/innen nicht zufrieden, können sie z. B. nicht den Grafen anrufen, wenn vorher nicht beim zuständigen Baron oder der zuständigen Baronin geklagt wurde. Eine Stufe in der Richterhierarchie zu überspringen ist nur dann angemessen, wenn jemand den eigenen Grundherrn oder die eigene Grundherrin verklagt, was selten, aber nicht exotisch ist. Graf, Barone und Baroninnen schützen sich davor, mit geringfügigen Klagen überschüttet zu werden, indem sie nicht unerhebliche Gerichtsgebühren verhängen. Auch revidiert niemand gern das Urteil eines eigenen Vasallen. Dennoch weist man Appellationen nicht leichtfertig ab: Wenn Kläger sich schon ernsthaft durch die Instanzen klagen, nehmen sie ja nicht nur die Gerichtsgebühr in Kauf, sondern auch den Unwillen ihrer Grundherr/in. Es muss also um etwas Wichtiges gehen.

Neben der Appellation werden die höheren richterlichen Instanzen auch gebraucht, wenn es rechtliche Streitigkeiten zwischen verschiedenen Grundherr/innen gibt. In diesem Fall werden Graf, Baron oder Baronin lieber als Schlichter eines Schiedsgerichtes angerufen, als dass man sich ganz öffentlich verklagt – immerhin kann es leicht zur Fehde kommen, einer potentiell unübersichtlichen Situation bei der es sehr schwer vorherzusehen ist, wie die Richter urteilen.

Selbstverständlich ist es für alle Grundherr/innen naheliegend, sich selbsttätig einzuschalten, wenn offene Konflikte zwischen Edlen auftreten oder wenn ihnen bewusst wird, dass in ihrem Gerichtsbezirk eine Blutrache zu eskalieren droht. Doch es gilt das "wo kein Kläger, da kein Richter"-Prinzip. Wenn keine der Parteien die Angelegenheit vor Gericht bringen will, müssen Richter selber einen Grund finden, die Streitenden zu verklagen (es gibt keine Norm die sie daran hindert, Kläger und Richter zugleich zu sein). Aber Zeugen für einen Totschlag im Zuge von Blutrache zu finden, kann mitunter schwierig werden und der Tatbestand der Fehdeführung ist erstmal völlig legal. Daher gelingt Grundherr/in oder Graf die Wiederherstellung des Friedens weitaus schneller, wenn sie die Konfliktparteien unter Druck setzen, einer Schlichtung zuzustimmen. Als höchst ungehörig gilt es dagegen, wenn sich Graf, Baronin oder Baron ungefragt in die Zuständigkeit der ihnen untergeordneten Richter einmischen, muss man dies doch vor Ort als öffentlichen Vertrauensentzug werten. Die Grundherrschaft wird zwar zentralstaatlich gedacht, stärkt aber die regionalistischen Strukturen mindestens genauso. Falls der lokale Grundherr bzw. die lokale Grundherrin beliebt sind, provoziert äußere Einmischung heftige Gegenreaktionen.

Doch nicht nur in diesen Fällen werden Grundherr/innen selbsttätig als klagende Richter aktiv. Sie sind grundsätzlich dazu angehalten, dem Verdacht auf Verbrechen gegen das Gemeinwesen nachzugehen. Der Verdacht auf Raub, Mord, Verrat, Hochverrat, Götterlästerung, Brandstiftung, aber auch schwerem Diebstahl, Eidbruch und Meineid geht Grundherr/innen aus Prinzip etwas an. Sie haben natürlich keine Polizisten und Forensiker zur Verfügung, um solchen Verdachtsfällen nachzugehen, aber Reichtum, Gefolgsleute, Waffen, Autorität und nicht zuletzt Lehnsuntertanen, die sich dafür verantwortlich fühlen, dem Recht zur Geltung zu verhelfen.

Grundherr/innen können Angehörige des eigenen Gerichtsbezirks zur Sühne verurteilen, was Leibstrafen umfassen kann. Doch sie haben weitergehende Rechte: Sie können über Angehörige des eigenen Gerichtsbezirks Vogelfreiheit verhängen und besitzen Haftrecht auf dem Grund und Boden des Gerichtsbezirks. Sie können also Personen, die eines Vergehens verdächtigt werden, bis zur nächsten Prozessgelegenheit festsetzen, selbst wenn diese dem eigenen Gerichtsbezirk nicht angehören (sogar wenn es sich um Edle handelt). Doch über andere Edle zu Gericht zu sitzen steht ihnen nicht zu (außer als Sippenoberhaupt im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit). Und auch Freie des eigenen Gerichtsbezirks können von ihnen weder zum Tode verurteilt, noch in die Verbannung geschickt werden (ein Urteil, das eigentlich ohnehin für Edle reserviert ist). Für diese Dinge bedarf es der gräflichen Gerichtsbarkeit.

Gräfliche Gerichtsbarkeit

In Trigardon bedeutet gräfliche Gerichtsbarkeit weit mehr, als es in den Mittellanden sonst üblich scheint. Grafen haben quasi-königlichen Charakter.

Das hat historische Gründe: Aufgrund religiöser Vorstellungen sollten die höchsten Ämter im Reich Richterämter sein. Sinngemäß verstehen die Trigardonen unter dem Grafenbegriff "Richter, der stellvertretend für den König richtet". Diese andere Bedeutung des Wortes, die sich aus seiner Stellung in einer fremden Titelhierarchie ergibt, spielt keine nennenswerte Rolle. In Trigardon kommt über dem Grafen nur noch der Fürst/König und jeder Titel dazwischen wird als "sowas wie Graf" oder "sowas wie Fürst/König" übersetzt. Spätere Versuche, Herzogs- und Markgrafentitel zu etablieren, waren nicht erfolgreich – die so Bezeichneten wurden weiter als Grafen oder Fürsten wahrgenommen.

Gräfliche Gerichtsbarkeit ist für Trigardonen Ergebnis einer historisch gewachsenen Rechtsordnung und Ausdruck politischer Identität. Das Hochfürstentum Trigardon bildete sich als eine Art Stammesbund von zwar nicht gleich starken, aber doch mehr oder weniger gleichwertigen ethnischen Gruppen, die ihre jeweils eigenen tradierten Rechtsnormen besaßen. Die Führer der einzelnen Stämme beanspruchten, als höchste Richter ihrer jeweils eigenen Gruppe anerkannt zu werden – als Grafen. Dem Reichsoberhaupt blieb zwischen ihnen kaum Spielraum zur eigenen politischen Gestaltung. Während der Kanzlerherrschaft (der Zeit ohne Hochfürst) bauten die Grafen ihre Autonomie schließlich so sehr aus, dass sie in den eigenen Territorien wie eigenständige Herrscher wahrgenommen wurden. Nicht zuletzt der Graf von Arbon (aber nicht nur er) stattete seine Richterfunktion mit gesetzgeberischen Befugnissen aus.

Gräfliche Gerichtsbarkeit fungiert in Emendons Reich zwar als oberste Instanz der Grundherrschaft, ist aber weit mehr als das: Sie ist ein sowohl effektives als auch symbolisches Instrument zentralstaatlichen Ordnungswillens. Gräfliche Gerichte beschäftigen Schreiber, Diener, Boten und Verwalter. Zwar ist das weit davon entfernt eine bürokratische Infrastruktur zu sein, aber doch die professionellste Form von Justiz, die man in Trigardon finden kann.

Im zivilen Leben kann heutzutage nur gräfliche Gerichtsbarkeit legal Todesurteile und Verbannungen aussprechen, Verrat und Hochverrat feststellen, Edle aburteilen sowie Urteile zu Götterlästerung und Schwarzer Kunst überprüfen. Für die letzten beiden Tatbestände sind die geistlichen und kundigen Berater der gräflichen Richter, Barone und Baroninnen zuständig. Wenn diese ein Todesurteil aussprechen wollen, braucht das die Zustimmung des gräflichen Gerichts (auch wenn sie durchaus damit durchkommen können, das zu ignorieren).

Nun hat der historische Zufall zu einer außergewöhnlichen Situation bei den Grafen und Grafschaften in Emendons Reich geführt: Dem Namen nach sind dem arbonischen Teilreich zwei Grafschaften verblieben (Arbon und Altberg), es gibt drei gräfliche Gerichtsbezirke (zu den genannten Beiden kommt die Ostprovinz, die in allem außer dem Namen eine Grafschaft ist), es gibt nur eine Person mit Grafentitel (den Grafen von Arbon, der zugleich Hochfürst ist) aber vier gräfliche Richter (neben dem Grafen von Arbon sind das der Marschall von Altberg, der Seneschall der Ostprovinz und der Seneschall von Arbon). Wie kommt es dazu und was bedeutet das für das Reich?

Die Situation ist Ergebnis der Reichsteilung, dem Zerwürfnis der Getreuen des Hochfürsten mit der Partei seiner Gattin, der Hochfürstin und Gräfin von Flutland. Zur Vorgeschichte dieser Entwicklung gehört, dass die Grafschaft Dunkelwald erst ihren Grafen und schließlich immer mehr ihre juristische und verwalterische Integrität verlor, während in Folge dieses Zerwürfnisses der Graf von Yddland seine Territorien von Trigardon löste und die Gräfin von Altberg (selbst keine Altbergerin und kaum verwurzelt in Trigardon) ihren Titel aufgab. Flutländer und Arbonier hätten damals leicht in einen Krieg geraten können. Den Edlen der Ostprovinz und Altbergs fiel es zu, sich entweder für die arbonische oder die flutländische Seite zu entscheiden. Dass sie sich in dieser Situation für das arbonische Teilreich entschieden, gab Emendon die Möglichkeit, den Hochfürstentitel ohne Störung durch gräfliche Opposition aufzuwerten: Er belohnte die wichtigsten Edlen Altbergs und der Ostprovinz zwar mit Titeln und Ämtern, ernannte aber keine neuen Grafen. Stattdessen führte er dort grafenähnliche Ämter ein, die formalrechtlich seiner Leitung unterstehen. Damit hat nicht nur zum ersten Mal in der trigardonischen Geschichte das Reichsoberhaupt auch faktisch die größte Macht, sondern es gibt auch zum ersten Mal nennenswerten Spielraum für eine Angleichung der juristischen Verhältnisse verschiedener Grafschaften.

Nun gibt es in den drei gräflichen Gerichtsbezirken sehr unterschiedliche Bedingungen. Allein die Größe ist extrem unterschiedlich – so macht (gemessen an der Zahl semi-autonomer Verwaltungsbezirke) die Grafschaft Arbon etwa 70% des arbonischen Staates aus, die Grafschaft Altberg nur 10% und die Ostprovinz ca. 20%. Letztere ist so weit weg vom Kernland, dass der Seneschall wirklich nur formalrechtlich, faktisch aber überhaupt nicht der Leitung des Hochfürsten untersteht. Aber auch rein formalrechtliche Leitung hat seinen Wert – und irgendwann wird auch über die Nachfolge beim Amt des Seneschalls der Ostprovinz zu entscheiden sein. Die Altbergischen legen traditionell großen Wert auf ihre Autonomie. Emendon respektierte das und ließ ihre Grundherren nach alter Sitte den Marschall selber wählen. Ihn kann der Hochfürst zwar nicht absetzen, ohne den Stamm gegen sich aufzubringen. Aber er hat viele Möglichkeiten, Einfluss auf seine Amtsgeschäfte auszuüben – nicht zuletzt das großzügige Gewähren von Appellation für die Klagen unzufriedener Altberger Grundherren. Der Seneschall von Arbon ist der einzige gräfliche Richter, den der Hochfürst relativ problemlos durch einen anderen ersetzen kann und das ist auch gut so: Er ist für den Erhalt seiner Machtbasis an einer Schlüsselstelle. Überall im Reich versucht Emendon den Adel daran zu gewöhnen, dass die drei höchsten Richter, mit denen man neben ihm selbst zu tun bekommen kann, hochfürstlich bestellte Amtleute sind.

Das Tribunal

Es gibt eine Form von Gerichtsbarkeit, die quasi per Definition über allen Anderen stehen muss, ist sie doch die einzige, von der wörtlich in der Heiligen Schrift gesprochen wird: Das Tribunal. Es wird als fünfköpfiges Richterkollegium beschrieben: Das Stammesoberhaupt der Arbonier, das Stammesoberhaupt der Flutländer, ein Priester und ein Zauberkundiger sollen dort unter dem Vorsitz des Dan (einem in einem jährlichen Turnier erworbenen Ehrentitel) Streitigkeiten unter den Stämmen schlichten. Eigentlich handelt es sich also um eine Form von Schiedsgerichtsbarkeit. Doch diese Funktion erfüllte es buchstäblich noch nie.

Es kam in seltenen Fällen politischer Prozesse gegen Geistliche zum Einsatz und verurteilte im brisantesten Fall der bisherigen trigardonischen Geschichte den Grafen von Dunkelwald zur Vogelfreiheit (eigentlich sogar im Abstand von zehn Jahren zweimal). Das Tribunal ist überhaupt das einzige Gericht dem man zutraut, Grafen zu verurteilen. Meistens war es aber nur zur Klärung für Grundsatzfragen, nicht für konkrete Rechtsprechung von Bedeutung. Da es seit fünf Jahren (Stand 2016) nicht mehr vorstellbar ist, Hochfürst und Hochfürstin gemeinsam in einem Schiedsgericht zu sehen und darüber hinaus kein gemeinsames Danturnier mehr abgehalten wird, kann das Tribunal zur Zeit nicht versammelt werden.

Dennoch ist die symbolische Bedeutung des Dan nach wie vor gegeben: Er äußert sich immer wieder zu rechtlich-moralischen Angelegenheiten und kann sich dabei öffentlichen Interesses sicher sein.

Hier geht es weiter zum nächsten Teil: Abgabenerhebung und Staatsausgaben